Seite:Die Gartenlaube (1875) 778.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


über Starnberg, Murnau, Weilheim, Oberau und den Ettaler Berg. Alle anderen Straßen waren nicht brauchbar befunden worden; mußten doch selbst auf dieser Route ungefähr 60 Durchlässe und kleinere Brücken, sowie 4 größere Brücken, darunter eine von 40 Meter Länge, zuvor verstärkt und unterstützt werden. Die ganze Weglänge von München bis Ammergau beträgt 93,4 Kilometer (ungefähr 12½ Meilen). Davon sind nur 46 Kilometer (also etwa 6 Meilen) horizontal. Bis Oberau, am Fuße des Ettaler Berges, kommen Steigungen und Gefälle von 16 – 24 Procent vor. Der Ettaler Berg selbst hat eine Straßenentwickelung von 1267 Meter Länge, bei einer absoluten Höhe von 175,11 Meter. Einer der beschwerlichsten und gefährlichsten Punkte ist der an der sogenannten Mauer, wo die Straße außerdem noch sehr schmal ist. Unsere Illustration giebt den Moment wieder, wo der Wagen eben diese Stelle passirt.

Auch an der Maschine, welche, seit zwölf Jahren im Betrieb, sich für den Transport großer Lasten vorzüglich bewährte, mußten verschiedene Veränderungen vorgenommen werden, Vergrößerung der Kohlen- und Wasserkästen, dann eine Vorrichtung, die das Befahren dieser großen Steigung möglich machte. Diese Einrichtung überrascht durch ihre Einfachheit und Sicherheit. Außerhalb der beiden Triebräder wurden verzahnte Kettenrollen angebracht, über welche dazu passende Ketten gelegt wurden, die in die Verzahnung der Rolle eingreifen. Das eine Ende einer jeden Kette wird an einem Balancier, der an der Wagendeichsel hängt, befestigt; das andere hängt lose über die Rolle. Um nun den Lastwagen eine große Steigung hinaufzufördern, wird die Locomotive von dem Wagen abgehängt, fährt circa 30 Meter die Steigung hinauf, hält und wird durch eine am Ende derselben angebrachte Windevorrichtung soweit in die Höhe geschraubt, bis die Triebräder vom Boden frei sind. Nun wird die Maschine in Umdrehung gesetzt, die Verzahnung der Rollen greift in die aufgelegten Kettenglieder ein und zieht den Lastwagen langsam und sicher nach. Das andere Ende jeder Kette wickelt sich ab und wird auf jeder Seite der Maschine auf den Boden gelegt. Ist die Kette zu Ende, mithin die Last um 30 Meter vorgerückt, so wird die Maschine durch die Windevorrichtung wieder zurückgeschraubt; die Räder sitzen auf dem Boden auf; die Kette wird abgenommen; die Maschine fährt wieder 30 Meter vor, und die Arbeit beginnt auf’s Neue. Das Ganze ist also ein locomobiler Dampfaufzug.

Die Maffei’sche Straßenlocomotive ist ähnlich einer Bahnlocomotive. Die Kolbenbewegung wird auf eine Kurbelachse übertragen, an deren Ende zwei starke metallene Zahnräder festgekeilt sind. Diese Räder greifen in die Triebräder mit einer inneren Verzahnung ein. Das Gewicht der Locomotive beträgt 350 Centner. Außerdem wurde ein Wagen mit Holz und Winden und ein zweiter mit Kohlen und Wasser beigegeben. Das Arbeitspersonal bestand aus acht sehr verlässigen und ruhigen Arbeitern sowie zwei Fuhrleuten. Bei strömendem Regen fuhr der Transport Donnerstag, den 5. August, früh sechs Uhr von München ab und langte, durch Naturereignisse und andere unvorhergesehene Zufälle öfters aufgehalten, am 10. August in Oberau am Fuße des Ettaler Berges an. Auf guter Straße wurden, wenn auch die Steigungen beträchtlich waren, wie z. B. zwischen Weilheim, Murnau und Oberau, per Stunde fünf Kilometer zurückgelegt. Anders war es auf den durchweichten sumpfigen Straßen zwischen Starnberg und Weilheim; hier mußte stellenweise Zoll für Zoll vorgeschritten werden, eine ungemein ermüdende und gefährliche Arbeit. Ein interessanter Anblick war die Fahrt über den einen Kilometer langen Hirschberg (vor Wolzhofen) abwärts (Gefäll 16 Procent): hoch oben unser Transport, unten im Thale der vorbeisausende Eisenbahnzug. Von Weilheim nach Murnau ging es vortrefflich trotz der bedeutenden Steigungen.

Die Fahrt durch Murnau gehörte zu den aufregendsten und gefährlichsten des ganzen Transportes. Bekanntlich geht die Straße durch Murnau stark bergab und ist sehr schlecht gepflastert; außerhalb des Ortes ist der sehr steile Kapfelberg mit siebenzehn Procent Gefäll und sehr enger Curve. In dieser Curve stellte sich der festgebremste Wagen schräg gegen die Straßenachse und konnte nur mit Aufbietung aller Kräfte zum Feststehen gebracht werden; es gelang, sonst wäre ein Umkippen unvermeidlich gewesen. Die vierzig Meter lange Ramsachbrücke wurde nach eintägigem Aufenthalt (es waren neue und bessere Verstärkungen nöthig) glücklich überschritten. Das berüchtigte Moos bei Klein-Aschau wurde im Fluge durcheilt; der ganze Straßenkörper schwankte auf und nieder. Mittwoch den 11. begann die Arbeit am Ettaler Berge, und sie war eine der mühevollsten der ganzen Fahrt. Die linke Seite der Straße besteht aus sehr lockerem Material, und deshalb mußten die linksseitigen Räder des Wagens fast immer auf Holzdielen laufen. Die bereits oben erwähnte sogenannte Mauer wurde glücklich passirt, und Freitag Mittags war man noch zweihundertfünfzig Meter vom Ende der Straße entfernt, allerdings auch auf der höchsten Steigung.

Hier begann es in Strömen zu regnen. Wer auf einer Bergstraße noch keinen Regen mitgemacht hat, kann sich keine Vorstellung von den Verwüstungen desselben am Straßenkörper machen; derselbe glich dem Rinnsal eines Baches.

Nun mußten andere Mittel helfen, da die Locomotive diesen elementaren Hindernissen nicht gewachsen war und die Steigung nicht überwinden konnte. Bei trockener Straße wäre es ohne Anstand gegangen. Es wurden achtzig Mann Oberammergauer Feuerwehr aufgeboten mit Seilen und Flaschenzügen, und am nächsten Morgen entwickelte sich ein äußerst lebendiges Treiben; Alles war von dem einen Gedanken beseelt: „Heute noch muß das Kreuz nach Ettal,“ – und es gelang. Ein kräftiger Flaschenzug wurde an Bäumen festgehängt und durch diesen und eigene Kraft die Locomotive wieder vorwärts gebracht, worauf dann der Lastwagen nach der alten Manier leicht nachgezogen wurde. Nach den kolossalsten Anstrengungen erreichten wir Abends sechs Uhr die Spitze des Berges. Sonntag war Rasttag, Montags Einzug in Oberammergau, wo abgeladen wurde.

Den Transport der beiden Seitenfiguren hatte Steinmetzmeister Hauser von München übernommen. Bekanntlich wurde derselbe nebst einem Arbeiter an der steilsten Stelle des Berges von dem umstürzenden Wagen, auf welchem sich die Figur des Johannes befand, erschlagen. Unvorsichtigkeit trägt die Schuld an dem beklagenswerthen Vorfalle. Nachdem die Locomotive auch diese Last an ihren Bestimmungsort gebracht, dampfte sie wieder nach München zurück, wo sie am 26. August anlangte. – Soweit reichen die Mittheilungen des Ingenieurs Karl Halm, über dessen umsichtige und gewissenhafte Leitung des Transports[WS 1],seine Besonnenheit und sein rasches und sicheres Eingreifen in Momenten der größten Gefahr nur eine Stimme des Lobes herrscht.

Die Aufstellung, Enthüllung und Weihe des Denkmals auf der Höhe des Osterbichels, eines Hügels am Fuß des Sonnenbergs, eine Viertelstunde von Oberammergau, fand am 15. Oktober statt. Dort ragt nun das herrliche Kunstwerk in einer Gesammthöhe von 40 Fuß, prachtvoll in seiner blendenden Helle sich vom dunklen Waldhintergrund abhebend, als ein Schmuck der Gegend empor.

Wie manches Bäuerlein, dem die Dampfkraft nur durch Schilderungen von der Kanzel herab als Erfindung des Teufels und des Fortschrittes bekannt war, mag den Kopf geschüttelt haben, als unter Rauch und Feuerspeien und unheimlichem Stöhnen das fortschrittliche Ungeheuer nun gar unsern Herrgott hinter sich herschleppte! Ein biederer Gebirgsbewohner, dem vor lauter Staunen die Pfeife ausgegangen war, äußerte, in Betrachtung des riesigen Lastwagens mit dem Christus versunken: „Hätt’ i’ aa’ nit g’moant, daß dar Duifel gar a so schwaar woar.“ Das Gelächter der Umstehenden ließ ihn seinen Mißgriff einsehen, und er machte sich schleunigst auf den Heimweg.

Ernst schauten die schneebeglänzten Häupter der Zugspitze und des Wettersteingebirges auf das ungewohnte Schauspiel; die Wipfel der Riesentannen, Buchen und Ahornbäume am Ettalerberge aber, welche sonst nur gewohnt waren, fromme Pilgerzüge und schwerbelastete Fracht- und Holzfuhrwerke unter sich hinziehen zu sehen, flüsterten leise von einer kommenden besseren Zeit, wo das schnaubende Dampfroß auch in die stillen Thäler der alten Grafschaft Werdenfels Verkehr und Wohlstand und – wohl auch etwas mehr Licht bringen werde. Möge diese Zeit nicht mehr allzu fern sein!

Michael Sachs.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Tranports
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_778.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)