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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Ehrengarde habe; in der That aber, um sich ihrer als Geiseln für die Treue und Ruhe des Landes zu bemächtigen.

„Ja, ich weiß,“ versetzte der Bauer, „sie lassen sie eintreten; sie ziehen sie dann nach Frankreich hinüber und dort …“

„Müssen sie auf eigene Kosten leben, ihre Equipirung, ihre kostbaren Uniformen sich selbst anschaffen.“

„Es mag Geld, viel Geld kosten,“ sagte der Meyer, „und doch gäb’ ich’s, weiß Gott der Herr, mit Freuden für meinen Anerben hin, wüßt’ ich ihn als Garde d’Honneur sicher in Frankreich. Unsereinem nehmen sie die Söhne ohne so viel Umstände fort und schicken sie nach Spanien oder schleppen sie nach Rußland in den Tod und elendiglichen Untergang, daß es einen Stein erbarmen könnte.“

„Es ist wahr,“ versetzte die Prinzessin, „der armen Menschen Schicksal ist fürchterlich, aber Ihr könnt doch noch von Glück sagen, Jochmaring, daß Euer Anerbe nicht hat nach Rußland ziehen müssen, sondern nur nach Spanien.“

„Nur nach Spanien!“ echoete der Meyer mit bitterer Betonung. „Nun ja, die meisten von dem jungen Volke aus dieser Gegend haben nach Spanien müssen. Aber wie viel werden zurückkommen?“

„Euer Anerbe wird zurückkommen, Meyer – vertraut auf Gott!“ sagte die Prinzessin fast zärtlich, indem sie die Hand auf des alten Mannes Schulter legte. „Ihr habt ja Nachrichten von ihm, denk’ ich.“

„Die hab’ ich,“ sagte der Bauer. „Nachrichten durch Einen, der zurückgekommen ist.“

„Und dann,“ fuhr die junge Dame fort, „berichten ja auch die Zeitungen, daß der Kaiser die Truppen aus Spanien sammt und sonders herbeikommen läßt, um sie hier in Deutschland im Kriege zu gebrauchen.“

„Damit sie hier wider ihre eigenen Landsleute fechten.“

„Das müßt Ihr dann Gott anheimstellen,“ entgegnete die Prinzessin, „es hat Niemand eine Ahnung, was aus dem ganzen Kriege wird, und ob es den Alliirten nicht bald gelingt, uns wieder zu freien Menschen zu machen.“

Der Bauer seufzte. „Ja, das sagt Ihr wohl so, Prinzeß,“ sagte er. „Zu freien Menschen! Es kommt nur darauf an, wie die Freiheit aussehen wird. Des Einen Freiheit ist nicht des Andern Freiheit. Für Euch im Schlosse, da ist die Freiheit, daß Euer Vater wieder der regierende Herr ist wie vormals und seine Soldaten hält wie vormals, wenn’s auch nur ein gar kleiner Trupp ist, und daß all’ die Räthe und Schreiber von vormals wieder oben aufkommen, und die alten Heberegister und Bücher wieder gelten, worin die Hand- und die Spanndienste und die Wart- und Lehngelder geschrieben stehen, was jeder Meyer und jeder Kotten leisten muß – Jahr aus, Jahr ein. Das ist Eure Freiheit. Die ist nun schon lange zu End’, und jetzt hat der Franzose Freiheit im Lande, daß er uns die Söhne nehmen darf zu seinen Kriegen und den letzten Groschen aus den Taschen zu seinen Steuern. Wenn die Alliirten das abstellen können, so will ich Gott danken, aber zuerst frag’ ich, ob denn nun einmal die Freiheit an die Bauern kommen soll – und obwohl ich denke, daß es Zeit wär’, so hab’ ich doch kein Zutrauen darauf. Und so lange – seht, Prinzessin Durchlaucht, es war eine schöne und friedliche Zeit, als Euer Vater noch unser Herr war in unserem eigenen Lande für uns, das seine eigenen Manieren und Bräuche hatte, seine eigenen Bauerntage und Holzgedinge und die Schmalgänge und die Markengerichte, und wenn Euer Großvater und Euer Vater seine Jagden hielt mit fremden fürstlichen Herrschaften und das junge Volk aus den Bauernschaften aufgeboten war zum Treiben und wir am schönen Herbstmorgen lustig durch die Wälder hallohten, mit den Halbmonden und Hifthörnern der fürstlichen Jäger in die Wette – sicherlich, das war Alles recht schön und lustig dazumal, und weil der Mensch es nicht besser kannte, ließ er sich’s gefallen, aber das nehmt mir nicht übel, wenn jetzt die alte Plackerei und Schinderei von Neuem beginnen sollten – lieber möchte ich, daß die Axt klänge an einen dieser alten Eichenstämme da.“

Nachdem der Meyer von Jochmaring diesen energischen Protest gegen die Glückseligkeiten der guten alten Zeit gesprochen, stand er auf.

„Jetzt will ich gehen und Euch das Geld holen,“ sagte er. „Dreihundert Thaler. Es ist all mein Erspartes, was die böse Zeit mir übrig gelassen hat, und Ihr sollt es haben. Prinzeß, weil Ihr Euch nicht umsonst an Meyer Jochmaring gewandt haben sollt.“

„Ich danke Euch, Meyer,“ versicherte die Prinzessin, „der Jäger soll Euch morgen einen Schuldschein bringen.“

„Dessen bedarf’s zwischen dem Fürsten und Meyer Jochmaring nicht,“ versetzte der Bauer und ging in’s Haus.

Bald nachher kam er, aus der Seitenthür des langen Hauses schreitend, zurück und trug einen leinenen Beutel in der Hand. Eine ältliche Person in der Tracht einer herrschaftlichen Dienerin kam mit ihm aus dem Hause und blieb unfern von der Prinzessin stehen, als der Bauer dieser seinen kleinen Schatz überreichte. Sie nahm ihn und reichte dem Meyer die Hand.

„Ich danke Euch, Meyer Jochmaring, von Herzen.“

„Nicht zu danken, Durchlaucht! Gebt es Eurem Mädchen zu tragen, denn es ist schwer.“

Das Mädchen nahm den Beutel, legte ihn zum bequemeren Tragen auf ihren Arm, und die Prinzessin trat nun mit ihrer Dienerin den Heimweg an.

Es war natürlich, daß sie sich auf diesem Heimwege in keiner mittheilsamen Stimmung befand, das junge Mädchen, das einen für ihre Lebensstellung so demüthigenden Gang hatte machen müssen. Auf ihrer schönen kindlich vorgewölbten Stirn lag ein sorglicher Ausdruck, ein bitterer Zug um den kleinen Mund mit den feingeschweiften rosigen Lippen. Das Elend des Vaterlandes und die in dieser schweren Zeit so oft eintretenden, vor den Augen der Welt sorglich gehüteten Verlegenheiten des Vaterhauses mußten schwer auf ihrem jungen Herzen liegen, und es mochte ein schlechter Trost für sie sein, sich zu sagen, daß solcher Perioden in der Geschichte ihres Hauses mehr als eine gewesen. Daß es in den guten alten Zeiten in den meisten kleinen Fürstenhäusern, auf den jetzt so stolzen und stattlich mit breiten Thürmen sich erhebenden Edelhöfen der ersten Geschlechter nicht besser ausgesehen, daß sie sammt und sonders durch die Jahrhunderte im eigentlichen Sinne des Wortes sich durchgeschlagen mit Noth und Kummer, im Hader um Pfennige mit den Hörigen, im Drucke der Verpflichtungen gegen Juden und Christen, das wußte sie ja nicht einmal. Was sie wußte, war, daß sie um des sorgenerfüllten Vaters, um des bedrängten Bruders willen den sauern Gang gemacht – und mit diesem Gedanken wappnete sich ihr kleiner Stolz, verband sie die Wunde, aus der ihr fürstliches Selbstbewußtsein blutete.

Sie ging mit ihrem Mädchen, nachdem sie den mit einem Hürdenzaune umgebenen Hof verlassen, einem Fußpfade nach, der sie bald in den kühlen Schatten eines Laubholzwaldes brachte, in welchen die Sonne ihre wechselnden und mit den leise vom Winde bewegten Blättern spielenden Lichter warf.

Es war merkwürdig still im Walde; denn die Jahreszeit, in welcher das laute Gezwitscher der Vögel den Forst belebt, war vorüber, und daß der Herbst nahte, bewiesen die gelben Blätter und die Schalen der Buchnüsse, die, von den Eichhörnchen ausgekerbt, auf dem Pfade lagen. Rechts und links an den Brombeerstauden hingen die reifen, glänzend schwarzen Früchte und dunkelrothe Dolden an den Wasserholderbüschen. Die Prinzessin aber sah wenig auf die Scenerie, die sie umgab; sie eilte elastischen Schrittes dahin, zuweilen nur ein Wort mit ihrer Begleiterin wechselnd, die, den Zipfel ihres schwarzen Umschlagetuches zur Verhüllung über ihre Bürde gebreitet, auf dem Fußpfade ihr folgte.

Plötzlich, bei einer Wendung des Weges, blieb sie stehen.

„Marianne,“ sagte sie erschrocken, „kennst Du den Mann?“

Sie blickte vorwärts auf eine männliche Gestalt, die sich über das etwa hundert Schritte vor ihr befindliche Drehkreuz lehnte, welches hier die Grenze andeutete, wo der Busch des Meyers Jochmaring endete und die fürstlichen Waldungen begannen.

„Wie sollt’ ich ihn kennen – es ist ein Fremder,“ versetzte ebenso erschrocken das Kammermädchen der Prinzessin.

„Mein Gott, was thun? … Wir sind mit unserm Gelde ganz unbeschützt und allein –“

„Was kann er von unserm Gelde wissen?“ sagte Marianne, den Zipfel ihres Tuches tiefer über ihre Last ziehend.

„Freilich – und ich zittere doch an allen Gliedern. Aber es ist dumm von mir. Was kann uns bei hellem Tage geschehen!?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_750.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)