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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


gefüllt. Unter dem Dache mit einem kleinen Kopfkissen und auf jeder Seite mit einer Lederklappe zum Zudecken, sowie mit einer Vorrichtung zum Zuschnüren (gegen das Herausfallen) versehen, ist sie nicht blos bequem im Arme zu tragen, sondern kann auch, da ein Riemen an beiden Enden befestigt wird, über die Schulter, an jeden Baumast, vor Allem aber auf der Reise an den Rennthiersattel gehangen werden.

Idyllisch, wie diese kurze Wasserfahrt war, bildete die nun folgende Scene, der Transport der Rennthiere in Hagenbeck’s Menagerie, den grellsten Gegensatz dazu. Die Frau fuhr mit den Kindern in einer Droschke dahin, aber die einunddreißig Rennthiere mußten, da die drei Lappländer zu diesem Zwecke nicht ausreichten, von eigens dazu engagirten Männern an um den Hals geschlungenen Stricken geführt werden. Nie habe ich Giraffen, Elephanten, Rhinocerosse, Hirsche, Wildesel oder Kameele sich beim Führen so ungeberdig benehmen sehen, wie diese doch als Hausthiere aufgewachsenen Rennthiere. Noch jetzt wundere ich mich, daß dabei weder Mensch noch Thier zu Schaden gekommen. Hier stürzten die Thiere übereinander, bäumten oder überschlugen sich; dort fiel ihr Führer und wurde im Straßenschmutz geschleift; auch riß wohl ein Thier sich los und wurde erst, nachdem es den Stadtgraben durchschwommen und die Umhegung des zoologischen Gartens übersprungen, in diesem wieder eingefangen. Mit weit heraushängender Zunge kamen die Thiere ganz erhitzt nach und nach endlich am Ziele an.

In einem zu ihrer Aufnahme eigens hergerichteten Gebäude brachten die nordischen Gäste nun zunächst ihre zum directen Gebrauch dienenden Effecten unter, und dann wurde das Zelt aufgeschlagen. Vier oben gekrümmte Birkenstangen, oben und in der Mitte durchbohrt, werden je zwei Stäbe parallel gegen die beiden anderen gerichtet und alle vier oben mittelst eines durchgesteckten Stabes verbunden, und ebenso an den Mittellöchern befestigt. Diese vier Stangen bilden das Hauptgestell; an sie werden ringsherum die anderen einfachen und geraden Birkenstangen angelehnt und angebunden. Die Zeltleinewand besteht aus drei Stücken, zwei großen und einem kleinen. Die beiden großen, fast quadratischen, werden von den beiden entgegengesetzten Seiten über das aufgestellte Stangengerüst gebreitet und an einer Seite, wo sie zusammentreffen, zusammen gebunden. Auf der anderen entgegengesetzten Seite lassen ihre Ränder den Zwischenraum zwischen zwei Stangen als Thüröffnung offen. Zum Verschluß derselben dient das dritte Stück, länglich viereckig, und durch queergesteckte Stäbe auseinander gehalten. Es hängt oben an einer Zeltstange und wird nach Belieben vor die Thüröffnung oder bei Seite geschoben.

Oben sind die Zeltstangen nicht verdeckt, so daß der Rauch hinaus, Regen und Schnee hinein kommen können. An der Queerstange, welche oben die Hauptstange verbindet, hängt ein eiserner Haken, am oberen Theile mit Zacken versehen, zum Aufhängen von Fleisch etc. bestimmt, während an den eigentlichen Haken unten der Kochkessel zu hängen kommt. Den Herd bilden sieben kreisförmig gelegte rundliche Steine, in deren Mitte das Feuer brennt; der Raum ringsherum wird zuerst mit Birkenreisig belegt; auf dieses werden die Rennthierfelle gebreitet, welche zum Sitz und Lager dienen. An den inneren Sprossen der Zeltstangen wird sonst noch alles Hängbare, Kleider, Säcke und dergleichen aufgehangen.

Für die Rennthiere, das Zelt, die Schlitten etc. war von Hagenbeck der sogenannte „Auslauf“ freigegeben worden, der von dem weitläufigen Garten abgegrenzte Raum, welcher sonst bei schönem Wetter für die grasfressenden Thiere zur Bewegung im Freien bestimmt ist. Hier genossen nun die losgelassenen Rennthiere ihre Freiheit in vollen Zügen, und wie so oft lange eingesperrt gewesene Thiere die erste Stunde des Freiseins in frohen Uebermuth verfallen, so auch hier. Förmliche Kampfspiele wurden von ihnen ausgeführt. Weniger mit den Geweihen kämpfend, als sich hochaufbäumend und mit den Hufen kraftvoll aufeinander schlagend, boten sie Scenen einer überquellenden Lebenskraft, wie ich sie wenigstens bei den Rennthieren der zoologischen Gärten nie gesehen habe. Besonders auch ließen sie ihrem Uebermuth gegen die Hunde freien Lauf; nahte sich ihnen einer derselben, gleich gingen sie kampflustig auf ihn los und schlugen ihn regelmäßig durch Geweihstöße, besonders aber durch Hiebe mit den Vorderhufen in die Flucht. Später (in Berlin) habe ich sogar dieses Schauspiel sich mit einer fremden großen Dogge wiederholen sehen. Die Lappenhunde gleichen dem großen Fuhrmannsspitze außerordentlich, ohne aber reinweiß zu sein und ohne den geringelten Schwanz zu haben; auch ist ihr Haar noch länger. Schon am zweiten oder dritten Tage lagen sie fast regelmäßig unter meinem Feldstuhle, wenn ich im „Auslaufe“ inmitten der Rennthiere und Lappen saß und Skizzen malte – so zahm sind sie.

Es ist nicht möglich, in den Raum eines Gartenlaubenartikels Alles zusammenzufassen, was hier als neu, interessant und also mittheilenswerth zu betrachten wäre, selbst wenn ich von dem mündlich durch Erkundigungen Erfahrenen absehen und mich auf das selbst Beobachtete beschränken wollte. Es möge daher hier zur Erläuterung der Bilder nur noch folgen, was sich auf die Anwendung der Rennthiere zum Ziehen und Tragen bezieht.

Die Form des Schlittens, einem Boote ähnelnd, ist hinreichend bekannt, ebenso die erstaunlich einfache Bespannung; der Personenschlitten ist aber leichter, und – wahrscheinlich um den Stößen besser zu widerstehen – aus elastischem Birkenholze ohne Anwendung von Eisen gebaut, während der Lastschlitten größer, aus Föhrenholz und hinten offen ist, um beim Drauflegen der Zeltstangen diese besser hinausragen zu lassen. Auch hat er an beiden Seiten Löcher für Riemen zum Zusammenschnüren des Gepäckes. Der Lasso, mit welchem die Rennthierböcke, welche zum Ziehen oder Tragen dienen sollen, durch Werfen über Geweih und Kopf eingefangen werden, ist ein geschmeidiger Strick, dessen Schlinge in einem Wirbelknochen läuft, der Zügel hingegen, welcher dem Thiere sodann vor und hinter dem Geweih um den Kopf befestigt wird, besteht nur aus einem einfachen Lederriemen. Daß das Schlittenfahren auch als Kraft- und Gewandtheitsübung betrachtet wird, sah ich, als die Männer bei Vorführung der Schlitten auch stehend darin fuhren, ja sogar während des Fahrens in den Schlitten sprangen. Selbstverständlich konnte das Thier das Schleppen des Schlittens auf dem Sande nur kurze Zeit aushalten.

Ganz neu war mir der Anblick des Bepackens der Rennthiere zur Sommerwanderung. Das Bild zeigt, die Scene nach Lappland zurückversetzend, wie dem einen Bock die Zeltstangen aufgeladen sind, während die Zeltleinewand schachtelartig verpackt für ein anderes Thier, welches eben eingefangen ist, bereit liegt. Die Vorrichtung zum Bepacken ist geradezu classisch einfach und praktisch. Ueber ein zum Schutze gegen Druck zuerst dem Thiere aufgelegtes Rennthierfell (oder einen Winterrock aus Pelz) werden zwei gekrümmte birkene Bügel, wie sie auf dem Bilde zwischen Winterschuhen und Zeltleinewand zu sehen sind, oben ineinandergesteckt, so daß jeder eine Bauchseite umschließt und die unteren Enden unter dem Bauche zusammengebunden werden können. An die sich kreuzenden oberen Bügelenden wird dann Alles gehangen, was das Thier tragen soll, wie denn z. B. auf dem Bilde dem dritten Rennthiere eben die Wiege angehängt wird. Die Lastthiere, hinter einander stehend, werden dann reihenweise aneinander gebunden, und das vorderste wird geführt. Voran geht die von ihrem Wandertriebe geleitete Heerde, denn wie bei allen Nomaden ist eben die Nothwendigkeit, je nach dem Jahreszeitwechsel neue Weidegründe zu suchen, die Hauptursache der Wanderung.

Noch will ich zum Schlusse einiges von den Männern sagen. Da ist zuerst der schon erwähnte Vater Rasti, ein guter Vater, denn sehr häufig hat er eines seiner Kinder auf dem Arme, so daß seine Collegen fast immer dem Publicum ihre Geräthe und deren Anwendung allein vorzeigen müssen. Der Andere ist Lars Nielson, also norwegisch benannt, der Dritte sein erwachsener Sohn Jacob. Die Vornamen (Mama Rasti heißt Ella Maria) beweisen schon, daß die Lappen Christen sind; bekanntlich werden sie von wandernden Predigern und Schullehrern besucht, respective getauft und unterrichtet. Der alte Nielson ist ein offener Kopf und macht schon Studien im Deutschen; er riskirte an einem der ersten Abende mit uns Zweien eine Droschkenfahrt durch die Straßen Hamburg’s, wollte aber doch von keiner Wiederholung wissen, weil ihm die Sache wie eine Fahrt zur Hölle vorgekommen war.

Lars hat auch Humor, denn in Berlin machte er sich den Spaß, den Lasso nach einem unberufen über die Bretterplanke sehenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_743.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)