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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Bald jedoch wurde das Dunkel gelichtet; es gab damals zwar noch keine Eisenbahnen und Telegraphen, noch keine eigentliche Presse mit einem Heer von Correspondenten, die heute so geschäftig jeder Neugier des Publicums entgegenkommen; es drangen Aufschlüsse und Berichtigungen langsamer durch, aber sie konnten doch zuletzt nicht ausbleiben, wenn es der Welt irgend darum zu thun war. Zu allgemeinem Erstaunen erfuhr man denn auch nach Kurzem, daß der so viel und so eifrig besprochene, über Nacht so berühmt gewordene Verfasser des „Leben Jesu“ ein kaum dem Jünglingsalter entwachsener Mann von nicht viel über siebenundzwanzig Jahre sei. Gebildete Reisende, die ihm begegnet waren, schilderten ihn als eine anmuthige Persönlichkeit, eine jugendliche Gelehrtenerscheinung, die hohe Achtung erwecke und nur das directe Gegentheil der widerwärtigen Häßlichkeiten zeige, welche ein blinder Ingrimm so gern ihr angedichtet hätte.

Wir erinnern uns dieser in den Kreisen der damaligen akademischen Jugend mit besonderem Eifer erlauschten Mittheilungen noch sehr deutlich, und es stimmt mit ihnen vollständig das Bild überein, welches jetzt Professor Zeller in Berlin aus seiner eigenen Erinnerung von dem damaligen Strauß entworfen hat. „Schon in seiner äußeren Erscheinung,“ so heißt es in dieser Schilderung, „entsprach Strauß durchaus nicht der Vorstellung, welche sich wohl die Meisten nach seinem Werke über ihn gebildet hatten, und Wenige würden hinter den feinen Linien des jugendlichen Gesichtes, der leicht vorgebeugten Haltung des Kopfes, dem sinnig gesenkten Auge, das mit seinem eigenthümlichen, auf Schwäche des Organs hindeutenden Aufschlage den Eindruck einer fast jugendlichen Schönheit machte, den kühnen, seinen Gegenstand mit wissenschaftlicher Kälte erbarmungslos zergliedernden Kritiker gesucht haben. Gelang es Einem, ihm persönlich näher zu treten, so fand man einen geistvollen, vielseitig gebildeten Mann, und im vertrauteren Kreise einen lebendigen, heiteren, liebenswürdigen Gesellschafter und einen vortrefflichen Erzähler, mit dem feinsten Verständnisse für alles Naive und Humoristische, nach der gemüthlichen wie nach der komischen Seite, zugleich aber eine zarte, feinfühlige, künstlerisch angelegte Natur, die sich in der Reinlichkeit und inneren Geschlossenheit ihres Wesens ihre Kreise nicht stören lassen mochte, der jedes persönliche Hervortreten eine gewisse Ueberwindung kostete und die bei einer rauhen Berührung sich leicht verletzt und scheu in sich zurückzog. Daneben zeigten sich aber freilich auch scharf ausgeprägt schon jene Züge eines männlichen Charakters, die an dem öffentlichen Auftreten des Schriftstellers zunächst in’s Auge fielen: ein rasch und kräftig auflodernder Zorn, ein entschieden durchgreifender Wille, ein wissenschaftlicher Muth, der, wenn es sein mußte, der Meinung der ganzen Welt Trotz bot.“

So stellte sich den Umgebungen die schön aufgeblühte Erscheinung des jungen Denkers und Forschers dar, den die gährend nach entscheidenden Wendungen ringende Epoche in tiefer Stille und Abgeschiedenheit für eine ihrer großen Aufgaben bereitet hatte. Was die Natur ihm an Gaben, Eigenschaften und hohen Antrieben verliehen, das hatte in ihm frühe schon die Gunst der Atmosphäre und der Verhältnisse zur Reife gebracht, aus denen er hervorgegangen war. Ein Sohn des lieblichen und poesievollen Schwabenlandes, das Deutschland so viele bahnbrechende Geisteshelden gegeben, hatte er in seinem lieblichen Heimathsstädtchen Ludwigsburg eine glückliche Kindheit verlebt, bis er im vierzehnten Lebensjahre (er war am 27. Januar 1808 geboren) den gründlichen Bildungsweg der jungen schwäbischen Gelehrten und Theologen auf jener Klosterschule in Blaubeuren betrat, die damals eine besonders fruchtbare Saatstätte des neuen wissenschaftlichen Geistes war. Neben anderen bedeutenden Männern lehrte an diesem Gymnasium in den zwanziger Jahren noch in seiner vollen Lebensfrische der große und anregungsreiche Bauer, der nachherige Begründer der so bedeutsam gewordenen Tübinger Schule. Und um solche Lehrer schaarte sich dort ein wahrer Kranz von hochbefähigten und begeisterten, witzigen und strebsamen Jüngern, unter denen der junge Strauß nicht der Letzte gewesen. Als dieser vom Elternhause auf das Blaubeurer „Kloster“ gekommen war, erschien er als ein scheuer, von dem lärmenden Treiben seiner Cameraden verschüchterter, an Heimweh leidender Knabe. Als er aber 1825 zur Universität überging, war er zu einem voll mit dem Geiste des classischen Alterthums genährten, von der Liebe zum Idealen und einem tiefen Wahrheitsstreben beseelten Jüngling herangereift, der Altersgenossen und Lehrern, bei all seiner Heiterkeit und Liebenswürdigkeit, unverkennbar Achtung einflößte. Und wenn man auch allerdings, wie sein Freund und Schulgenosse Vischer erzählt, in der stolz aufgeschossenen Jünglingsgestalt mit den altdeutschen Haaren und dem Johanneskopfe den künftigen Kritiker nicht vermutet hätte, so zeigte sich doch das Bedeutsame schon „in dem Ernste der wissenschaftlichen Arbeit und der Selbstständigkeit des Urtheils, in der geistigen Originalität und dem entschiedenen Wesen“. Einem Menschen wie Strauß sind natürlich die dem jungen Theologen aus den Zweifeln aufsteigenden Kämpfe und inneren Stürme nicht erspart geblieben. Ein tiefes und warmes Gemüthsleben, ein feinfühliger ästhetischer Sinn und eine nicht gewöhnliche dichterische Anlage und Begabung – er hat von früher Jugend an viele reizende Gedichte verfaßt – trieben ihn zunächst in eine schwärmerisch-fromme, romantisch-mystische Richtung, aus der ihn nur das Fortschreiten seiner wissenschaftlichen Arbeit erlöste, da sie ihn zur Beschäftigung mit Schleiermacher führte und später zum Studium der Hegel’schen Philosophie, dem bewegungskräftigsten Denksysteme der Zeit, das außerordentlich anziehend und bestimmend auf ihn wirkte. So war er nicht blos mit reichem und tiefem positivem Wissen ausgestattet, sondern auch schon fest auf seine große Lichtbahn gewiesen, als er 1830 glänzend die theologische Prüfung bestand und zunächst Pfarrvicar im Dorfe Klein-Ingersheim wurde.

Von besonders pikantem Interesse ist sicher die Mittheilung, daß Strauß als junger Prediger sehr beliebt in seiner Dorfgemeinde war. Zeller erzählt, daß seine Vorträge sich bei aller Gediegenheit des Inhalts durch eine musterhafte Volksthümlichkeit auszeichneten; er hielt sich an den praktisch-religiösen Gehalt der biblischen Lehren und behandelte ihn, von einer ansprechenden Stimme unterstützt, klar, lebendig und in der schlichtesten Weise. Doch gestattete ihm sein wissenschaftlicher Drang nicht lange dieses beschränkte Wirken. Zur Wallfahrt nach Berlin trieb es ihn, zu den Männern, denen er so viel zu danken hatte. Hegel aber starb an der Cholera, nachdem Strauß im October 1831 kaum den Boden der Hauptstadt betreten hatte; er blieb auf den Umgang der hervorragenden Hegelianer beschränkt und auf Schleiermacher, dessen Anschauungen über die neutestamentlichen Bücher schon nicht mehr die seinigen waren. Hier unter den großen wissenschaftlichen Anregungen, in der kritikerfüllten Luft Berlins entstand im Geiste des unbekannten jungen Schwaben der Plan zu seinem „Leben Jesu“. Nach sechs Monaten war er wieder in der Heimath als Docent oder „Repetent“ am Tübinger „Stift“, wo er nun mit glänzendem Erfolge vor einem außerordentlich zahlreichen und begeisterten Auditorium philosophische Vorlesungen hielt. Seine ungewöhnliche Befähigung zum akademischen Lehrer stellte sich hier in einer Weise heraus, von der seine damaligen Zuhörer noch heute nicht ohne tiefe Ergriffenheit sprechen können. „Diese Vorlesungen,“ sagt Zeller, „wirkten wie ein wohlthätiger Regen auf dürstendes Erdreich.“ Nach drei Semestern jedoch wurden sie von dem jungen Docenten vorläufig wieder eingestellt; es arbeitete der Plan zum „Leben Jesu“ so gewaltig in ihm, daß er Zeit und Muße zur Ausführung gewinnen mußte. Schon ein Jahr aber nach Beginn der ersten Vorarbeiten war das Ganze, mit Ausnahme der Schlußabhandlung (mehr als vierzehnhundert Druckseiten) im Manuscripte fertig. Fast ebenso lange zog sich der Druck hin. Der erste Band erschien im Sommer; der zweite folgte schon im Herbste 1835.

Hiermit war der Trumpf ausgeworfen, der nicht blos die Ideenbewegungen der Zeit zu Entscheidungen treiben, die wirr und träge durch einander gemischten Lager des Veralteten und Neuen schärfer gegen einander stellen, sondern auch über den weiteren Lebensgang des Verfassers für immer entscheiden sollte. Was er da geschrieben, das war sichtlich, wie auch schon oben bemerkt wurde, ohne eine agitatorische Absicht und aus seinem wahrheitsmuthigen Denken und Forschen mit gleichsam zwingender Nothwendigkeit hervorgegangen; es war auch kein Buch für die lesende Masse, aber die geräuschvolle Wirkung konnte nicht ausbleiben, und sie wurde zunächst durch die ausgesteckten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)