Seite:Die Gartenlaube (1875) 735.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

poetische Schilder; eines derselben trägt sogar das Freimaurerzeichen zur Schau. Noch Eins! Der Name des Wurstelpraters hat weder mit der Salami im Besonderen, noch mit der Wurst im Allgemeinen etwas zu thun. Wurstel ist der Hanswurst, der, aus dem Weichbilde der Stadt vertrieben, hier eine Pflegestätte gefunden und bis auf den heutigen Tag ein äußerst dankbares Publicum sich erhalten hat. Hier wird noch immer unter großem Halloh im Kasperl-Theater der Jude verbrannt und der Teufel gefoppt.

Noch hätten wir der dritten, der linkseitigen Allee des Praters zu gedenken, sie ist jedoch für uns von keinem Belang. Sie dient als Zufahrtsstraße zu den Donaubädern und hatte im Weltausstellungsjahre den heute nicht mehr in Betracht kommenden Zweck, den Zugang zum Westportale zu vermitteln.

Das Weltausstellungsjahr! Wie es ein Unglück war für ganz Oesterreich, so auch für den Prater. Denn in diesem Jahre, besser für dieses Jahr, wurde der Prater – verschönert. Lassen Sie mich schweigen davon! Der Prater ist zum Glücke nicht umzubringen, und er ist auch heute noch schön, trotz der an ihm verübten „Verschönerungen“, obschon die Maler, die sonst schaarenweise ihre Naturstudien in ihm zu machen liebten, ihm seit seiner Verschönerung aus dem Wege gehen. Am härtesten hatte der Wurstelprater zu leiden. Er wurde unbarmherzig „regulirt“ und sogar sein Name wurde mittelst eines Decretes abgeschafft; er heißt nunmehr officiell „Volksprater“. Gewisse Dinge lassen sich aber nicht wegdecretiren; kein Wiener weiß etwas von einem Volksprater; er kennt nur seinen Wurstelprater, und so wird es wohl bleiben bis in alle Ewigkeit. Leider lassen sich die „Verschönerungen“ auch nicht so ganz übersehen. Man hat ihm einen vornehmeren äußeren Zuschnitt angethan, und wenn, wie ich von ernsten Forschern gehört habe, auch frische, kerngesunde Bauernmädchen ihre sehr beachtenswerthen Reize haben können, so weiß ich doch, daß diese Mädchen, in ein elegantes, großstädtisches Gewand gehüllt, sich doch ziemlich eckig und unbeholfen ausnehmen. Unser Wurstelprater ist so ein kerngesundes Bäuernmädchen, das sich nie in ihr neues Gewand schicken wird. Es müßte denn sein, daß sie demoralisirt wird; mit der Demoralisation kommt dann schon auch der Schliff. Dafür aber würden wir etwas weniger höflich, als entschieden danken.

Balduin Groller.




Epische Briefe.

Von Wilhelm Jordan.
IX. Rettung der Edda. Ihre Schöpfungssage. (Schluß.)

Mit Ymir zugleich war auch eine Kuh Namens Audhumbla entstanden, deren Milch[WS 1] ihn ernährte. Sie beleckte die salzigen Eisblöcke; da kamen am Abend des ersten Tages Menschenhaare zum Vorschein, am folgenden ein Menschenhaupt, und am dritten hatte sie einen ganzen Mann hervorgeleckt. Der hieß Bur, das ist der (erste) Geborene, und hatte einen Sohn Bök, das ist der Erzeuger, und dieser zeugte mit einer Riesentochter drei Söhne: Odin, Vili und Ve, die drei den Himmel und die Erde beherrschenden Götter.

Odin ist die Luft, der alles durchwehende und bewegende Lebenshauch, Vili das Licht (vergleiche die gothische Bibelübersetzung des Ulfilas, Ev. Marc. 1, 32 sa-uil, Sonnenlicht), Vé der bei den Germanen männliche Träger der Rolle der Vesta, das Feuer als heiliges Wesen, besonders auf dem Hauptaltar des Heiligthums, dem véstallr. Sein Name ist im Deutschen erhalten in Weihnacht und Weichbild, entstanden aus Uihpilti, Weihbild, das ist Bild des Wih auf der Rathsstätte, dem Marktplatze, als Symbol der Gerichtsbarkeit des Bezirks, später durch die sogenannten Rolande ersetzt.

Für die Kuh Audhumbla sind schon viele, und zum Theile abenteuerliche Erklärungen versucht worden. Die vollbefriedigende Lösung des Räthsels finden wir sogleich, wenn wir uns an die Mythologie der arischen Geschwistervölker wenden. Die Kühe, welche dem indischen Himmelsgott Indra von den Dämonen geraubt werden und die dem griechischen Lichtgott Apollon entführten Rinderheerden bedeuten die von den Winden der heißen Jahreszeit verscheuchten Wolken und ihre nährende Milch ist der Regen. Audhumbla, das ist die schatzfeuchte, in ihrer Feuchtigkeit Schätze bergende, ist ebenfalls die Wolke „mit der Brust voll Segen“, wie sich ein neuerer Dichter, Anastasius Grün, glücklich ausdrückt. Wo Eis und Schnee rasch wegthauen, namentlich im Gebirge, da bildet sich eine Wolke. Dem Beschauer kehrt sich das Verhältniß von Ursache und Wirkung um: ihm scheint die Wolke das Eis aufzuzehren. Noch jetzt ist in den Alpen manche Redewendung üblich vom Nebel, der den Schnee frißt, von der Wolke, die den Gletscher kleiner leckt. Erst mit der Befreiung des Bodens von den Eismassen, das ist der Sinn der Sage, ist dem menschlichen Leben eine Stätte bereitet.

Wie Zeus mit seinen Göttern die Titanen und Giganten besiegt, so erschlagen Odin und seine Brüder den Riesen Ymir und seine ganze Nachkommenschaft bis auf Einen, Bergelmir, der sich, ein nordischer Noah, mit seiner Frau im Boote rettet und Stammvater eines neuen Riesengeschlechtes wird, der Jötune. Ymir’s Leiche werfen sie in den gähnenden Abgrund und machen aus seinem Blute das Wasser, aus dem Fleische die fruchtbare Erde, aus den Knochen die Felsgebirge, aus den Zähnen und Kinnbacken die Feldsteine. Seine Hirnschale stellen sie auf als Himmelsgewölbe; sein Gehirn werfen sie in die Luft als die drohenden Wolken; mit seinen Augenbrauen aber umhegen sie als Wohnung und feste Burg für die Menschen den „Garten der Mitte“. Der poetische Gedanke dieser Schöpfungssage ist die Uebereinstimmung des Naturganzen mit der kleinen Welt des Menschenleibes.

Nun erst erfolgt die Erschaffung des ersten Menschenpaares, nach den zwei Bäumen, aus denen es gebildet wird, einer Esche und einer Ulme, Ask und Embla genannt; ein Ursprung, der auch bei den Griechen anklingt; denn an die Frage nach Jemandes Herkunft knüpft sich bei Homer zuweilen der Spruch:

Schwerlich stammst du vom Stein, von der Eiche der uralten Sage.

Die bei Nectar und Ambrosia glückseligen und unsterblichen Olympier sehen die Welt ein für alle Male befestigt und geordnet zu ihren Füßen liegen. Die altgermanischen Götter lassen es zwar an Schmausereien und Trinkgelagen auch durchaus nicht fehlen; aber sie sind nicht unsterblich und haben harte Arbeit täglich neu zu beschicken, um die Ordnung zu erhalten und sich selbst vor dem Untergange zu schützen. Diesen aber können sie nur verzögern und werden ihm einst dennoch verfallen. Wie sehr ihr Amt auch ein sittliches ist; wie der Kampf nicht nur gegen die Naturgewalten, sondern auch gegen das moralische Böse geführt wird, und deshalb die besten der Menschen zum Heere der Gotteskämpfer als einherische Helden Odin’s nach Walhall gekoren werden, wenn sie schon im Leben treue Streiter für die göttlichen Satzungen gewesen sind: das leuchtet überzeugend hervor aus den Eddalehren vom Untergange der Welt in der Götterdämmerung und von ihrer Wiedergeburt. Hier, wo ich die germanische Mythologie nur insoweit zu berühren habe, als es nothwendig ist, um die Entwickelung des Epos begreiflich zu machen, kann ich auf dieselben nicht näher eingehen. Man findet sie aber unter der Ueberschrift „Die Götterdämmerung“ aus den in beiden Edden zerstreuten Bruchstücken zu einem Gemälde zusammengefügt in meinen „Strophen und Stäben“ Seite 250 bis 260.

Der Unterschied der urverwandten griechischen und germanischen Göttersage ist eben der des griechischen und nordischen Himmels. Unter jenem sind die titanischen Gewalten der Urzeit dauernd bezwungen, der Wechsel der Jahreszeiten, gemildert zum harmonischen Reigen der Horen. Unter diesem bricht das Chaos alljährlich wieder herein. Das Leben der Natur ist ein wilder Kampf. Nach beinahe völliger Vernichtung durch den Winter ringt es sich nur mühsam neu empor aus Eisgängen, Ueberschwemmungen und Stürmen, von denen der Süden kaum eine Ahnung hat. An die unfernen Ränder Mittgarts, der geordneten Wohnwelt, sind die Giganten verwiesen. Dort lauern sie, ewig bereit zur Zerstörung, Feinde von Allem, was den Himmel mild

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Mich
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_735.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2022)