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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Tanzenden unbeachtet, auf und ab, und es konnte mir nicht entgehen, wie mein Begleiter mich verschiedentlich von der Seite ansah.

„Fräulein Helene,“ begann er dann wieder, als habe er plötzlich seinen Entschluß gefaßt, „werden Sie mir als Freundin und Bundesgenossin helfen, den Folgen dieser unangenehmen Geschichte vorzubeugen?“

„Wie könnte ich das, auch wenn ich es wollte?“

„Sie können es, indem Sie Ihren bedeutenden Einfluß hier im Hause zu meinen Gunsten aufbieten, indem Sie namentlich Madame Branikow’s Zorn beruhigen und zu erfahren suchen, inwieweit es der boshaften kleinen Person, der Gouvernante, gelungen ist, in unser Geheimniß einzudringen.“

Ich konnte, indem ich seine Worte anhörte, nicht umhin darüber nachzudenken wie sonderbare Dinge doch im Leben schon von mir verlangt seien.

„Nicht wahr, Sie werden es thun, Fräulein Helene?“ fügte er dringender und bittend hinzu.

Ich schlug langsam die Blicke zu ihm auf und fragte ernst: „Herr Hirschfeldt, haben Sie in Wahrheit Olga Erklärungen gemacht, wie diese es behauptet?“

Er zuckte bei meinen Worten zusammen und wechselte jäh die Farbe, dann hielt er den Schritt an und sagte mit einer Stimme, die in mühsam unterdrückter Bewegung zitterte: „Glauben Sie, Fräulein Helene, daß ich im Stande wäre, Ihnen eine Lüge zu sagen?“

Seine Blicke ruhten fest auf mir, und eine Minute lang kreuzten sie sich scharf und forschend mit den meinigen. „Nein,“ drängte sich dann aus tiefstem Herzen, fast ohne daß ich es noch gewollt, die Antwort über meine Lippen.

Der Künstler athmete auf. Er nahm, indem wir weiter schritten, meine Hand in die seinige und sagte leise und sich zu mir herabbeugend: „Hätten Sie an mir gezweifelt, Helene, so würde ich kein Wort mehr mit Ihnen gesprochen haben. Olga Nikolajewna hat nichts aus meinem Munde gehört, als die oberflächlichsten Galanterien, aus denen ihre Eigenliebe sich Gott mag wissen welche Thorheiten herausgedeutet hat. Aber – sagen Sie nichts mehr – ich weiß Alles, was Sie mir entgegnen könnten; ich gebe Ihnen mein Wort, was ich auf der Welt ernstlich will, daran rüttelt keine Möglichkeit, nie – ich gelobe es Ihnen, Helene – nie wird eine Schmeichelei einer Dame gegenüber wieder über meine Lippen kommen. Sind Sie nun zufrieden? Und jetzt helfen Sie mir, die Folgen dieser letzten Thorheit abzuwenden! Ich würde es nicht ertragen, wenn man es mir unmöglich machte, dieses Haus ferner zu betreten.“

Warum nur ging es mir bei seinen Worten erschütternd wie ein Stich durch’s Herz? Ich wußte ja, daß Zenaïde Petrowna’s Empfangszimmer der einzige Ort war, an dem er Wéra mitunter ungestört sehen und sprechen konnte. „Ich werde thun, was ich vermag,“ sagte ich, ihm meine Hand entziehend, „aber täuschen Sie sich nicht! Vielleicht ist es wenig genug, und nun verlassen Sie mich, Herr Capellmeister! Sie begreifen, daß, wenn ich Ihnen auch nur im Entferntesten nützen soll, Niemand ein anderes Einverständniß zwischen uns argwöhnen darf, als das, mit welchem die Kunst ihre Jünger verbindet.“

Hirschfeldt nahm mit einem vielsagenden Blicke Abschied von mir, und das war ein Glück für mich, denn die Kraft, bei Allem, was ich erlebt, meine äußere Selbstbeherrschung nicht zu verlieren, drohte mich allmählich zu verlassen und ich empfand nur noch das einzige Bedürfniß nach Ruhe.

Ja, Ruhe – allzu viel davon sollte mir nicht beschieden sein in dieser unheilvollen Nacht. Als spät der letzte unserer Gäste sich entfernt, als ich mein Zimmer betreten und Masche entlassen hatte, hoffte ich, der Augenblick sei endlich für mich gekommen über das Erlebte nachdenken zu können – vergebliche Hoffnung!

„Gott sei Dank, daß ich Sie allein treffe!“ rief mir, als kaum des Mädchens Schritte verhallt waren, eine Stimme von der Thür her zu, und als ich mich erschrocken umsah, erblickte ich eine Gestalt, die wohl im Stande gewesen wäre, schwachnervige Personen mit Gespensterfurcht zu erfüllen. Ein schärferes Hinblicken belehrte mich, daß es die Gouvernante im lang herabfallenden weißen Nachtkleide war. Das schwarze Haar flatterte ihr aufgelöst um die Schultern, und in der Hand hielt sie einen Leuchter mit einer brennenden Wachskerze. Nachdem sie letzteren eilend auf einen Tisch gestellt, stürzte die unwillkommene Besucherin neben meinem Sessel auf die Kniee, klammerte sich in wilder Ekstase an mich und rief:

„Sie müssen mir rathen und helfen, Helene. Sie allein sind unbefangen und kühl genug dazu, Sie kennen Hirschfeldt am besten.“

Das hatte mir noch gefehlt – allein mit diesem fast rasenden Weibe in stiller Nachtzeit! In der That überlief mich ein Schauder, und ich bemühte mich vor allen Dingen, Olga zu beruhigen, aber was half mein Zureden! Es war, als habe alle Vernunft und Besinnung sie verlassen. Bald ergoß sie sich schluchzend in Liebesklagen und bejammerte ihr Schicksal, ihr mißhandeltes Herz, dann wieder schwor sie hoch und theuer, daß sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen werde, um sich zu rächen. Aus ihren verwirrten Reden wurde mir jedoch am Ende das Eine klar, daß sie wohl über Wera’s Leidenschaft für Hirschfeldt und die Erwiderung derselben aufgeklärt war, aber doch von dem wirklichen Einverständnisse der Beiden etwas Gewisses noch nicht wußte, daß sie sich sogar trotz ihrer anscheinend alle Ueberlegung erstickenden Aufregung schlauer Weise bemühte, mich in diesem Punkte auszuforschen. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß sie durch mich nichts erfuhr, ebenso wenig, wie ich geneigt war, der gefährlichen Person irgend einen Rath zu geben; ich bemühte mich, sie einzig und allein darauf hinzuführen, daß einem Mädchen, welches seine Liebe verschmäht sieht, klüglich nichts Anderes übrig bleibt, als seinen weiblichen Stolz zu Hülfe zu nehmen, um die empfangene Wunde zu verbergen, wenn es nicht rettungslos auch noch der allgemeinen Verspottung anheimfallen will. Ich sagte ihr, daß ich einem Manne, der mich mit beleidigender Gleichgültigkeit behandle, nachdem er mir zuvor seine Aufmerksamkeit zugewendet, nur mit der eisigste Kälte gegenüber treten würde.

„Ja, Sie,“ rief die Gouvermante, während sie mit den schmalen wachsbleichen Fingern ihr wild um die Stirn hängendes Haar zerraufte. „Sie begreifen mit Ihrem kalt verständigen, deutschen Herzen gar nicht, was eine rechte Leidenschaft bedeuten will, so eine, die uns ganz erfüllt, alle Tiefen unseres innersten Seins aufwühlt und erschüttert. Aber Sie haben doch Recht,“ fügte sie dann, plötzlich sich erhebend, mit theatralischem Pathos hinzu, „ich werde Hirschfeldt mit Verachtung strafen. Von dieser Stunde an ist er für mich nicht mehr in der Welt.“

Vielleicht hatte Olga allgemach auch begriffen, daß von mir in keiner Weise mehr zu erlangen oder zu erfahren sei, denn nachdem sie mir noch wiederholt versichert hatte, daß der Capellmeister ein Nichtswürdiger sei, den sie in Zukunft nur verabscheuen werde, glitt sie in eben so gespenstiger Weise, wie sie es vorhin betreten, wieder aus dem Zimmer. Ich athmete nach ihrem Verschwinden erleichtert auf, aber um meine Nachtruhe sah es in Folge dieser letzten Störung traurig aus. Der peinliche Gedanke, daß das, was die Gouvernante von des Musikers und Wéra’s Geheimniß bereits herausgebracht hatte, künftig wie ein Damokles-Schwert über ihnen schweben würde, quälte mich unanfhörlich. Erst gegen Morgen bemächtigte sich meiner ein schwerer Schlaf und ließ mich die gewohnte Zeit des Aufstehens versäumen. Ein unbehagliches, störendes Gefühl, ein leises Geräusch erweckte mich endlich, und als ich die Augen aufschlug, stand Madame, in einen weite Schlafrock von weichem, türkischem Caschmir gehüllt, vor meinem Bette.

Der Schreck über dieses noch nie dagewesene Ereigniß ermunterte mich augenblicklich. Ich flog empor, aber Zenaïde Petrowna winkte beruhigend mit der Hand. „Bleiben Sie liegen!“ sagte sie und setzte sich auf den Rand meines Bettes. „Ich beabsichtige nur ein Weilchen mit Ihnen zu plaudern. Wir sind jetzt ganz ungestört, und Sie können mir vortrefflich erzählen, was das eigentlich gestern für eine Geschichte war mit dem Capellmeister und Olga.“

Ein Stoßseufzer fand den Weg über meine Lippen, als ich wie geschlagen auf mein Lager zurück sank. Es war keine Frage, Madame brannte vor Neugier, und sie hatte ihre Zeit in der That gut gewählt; ich konnte ihr nicht entfliehen noch ausweichen. Wohl oder übel mußte ich ihr die Ereignisse des gestrigen Abends mittheilen, und ich that es selbstverständlich der Wahrheit gemäß, aber ich hielt mich strenge an die Thatsachen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_682.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)