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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Enthüllung erstaunt war. Daran, daß ich wirklich einen Angestellten der geheimen Polizei vor mir hatte, konnte ich schon nach einigen Minuten keinen Zweifel mehr hegen, und nachdem ich ihm gesagt hatte, daß ich den Name Brachmeier in meinem ganzen Leben noch nicht gehört habe, theilte er mir demnächst Folgendes mit.

„Brachmeier,“ so begann er, „war als außerordentlich tüchtiger und intelligenter Postbeamter sehr schnell Post- und Telegrapheninspector geworden. Eines Tages hatte er eine Cassenrevision in W. Er fand dort Alles in Ordnung bis auf eine Quittung des Posthalters über fünftausend Thaler, an der ihm Verschiedenes bedenklich erschien. Als er dies dem Oberpostdirector rapportirte, beauftragte ihn Letzterer, sofort eine Nachrevision vorzunehmen. Brachmeier begab sich darauf nach W., revidirte zum großen Schrecken des Postmeisters nochmals und fand jetzt, daß die Quittung falsch und ein Defect in gleicher Höhe vorhanden war. Auf seine telegraphische Meldung davon erhielt er zur Antwort, er solle bezüglich des Defectes nach dem Reglement verfahren. Im Uebrigen sei die Enthebung von seinem Posten als Inspector bereits beantragt. Es folgte darauf seine Zurückversetzung in den Bureaudienst. Seit dieser Zeit war er ein anderer Mensch geworden. Man mochte in der Sache wohl etwas schroff gegen ihn verfahren sein, und das hatte ihn dermaßen erbittert, daß er von nun an widerspenstig wurde und sich nicht mehr subordinirte. Als Ende vom Liede wurde er nach langen Hin- und Herschreibereien disciplinirt und entlassen. Er gerieth dadurch in Noth und Elend und kam schließlich auf die Bahn des Verbrechens, indem er seine Kenntniß vom Post- und Telegraphenwesen dazu benutzte, sich auf jede mögliche Weise Geld zu verschaffen. Da er sehr gute Kenntnisse von Beidem hatte – beispielsweise hat er eine sehr hübsche Erfindung am Mechanismus des Apparates gemacht und versteht sich auf’s Telegraphiren wie Einer – wurde er sehr bald ein von allen Postanstalten gefürchteter Fälscher. Namentlich verlegte er sich auf die so gefährlichen Postanweisungen. Aber hier waren die betrogenen Beamten bald belehrt, und als das Geschäft nicht mehr zog, ‚machte‘ er dann lediglich mit dem Apparate. Es ist vorgekommen, daß er auf der Strecke mitten zwischen zwei Stationen einen Apparat mit dem Drahte in Verbindung setzte und nun in dieser selbstgeschaffenen Station Depeschen abfing und selbst in die Welt depeschirte.

Seine größte Heldenthat hat er vor etwa sechs Jahren vollbracht. Er kaufte sich, genau unterrichtet über die Verhältnisse des Bezirks und zufällig durch dieselben sehr unterstützt, eine neue Postinspectoruniform. Mit dieser angethan bestieg er auf einer kleinen Zwischenstation das fahrende Postbureau eines Zuges, der von St. nach. L. ging. In demselben fand er zwei junge Beamte vor und begann deren Bureau zu revidiren. Bei der Prüfung der Amtsführung derselben fiel ihm ganz besonders auf, daß zwei Beutel, der eine mit tausend, der andere mit dreitausend Thaler gefüllt, durchaus nicht vorschriftsmäßig versiegelt waren, und er nahm dieselben an sich, um sie auf der Station H., wohin sie bestimmt waren, dem Postmeister selbst zu übergeben. Dieser sollte das reglementswidrige Verfahren der Beamten constatiren helfen und das Weitere veranlassen. Bei der enormen Kenntniß, die er vom Dienst entwickelte, seinem barschen Auftreten und den tausend Rügen, die er wegen anderer Verstöße auf die Unglückseligen herabregnen ließ, fiel Keinem von ihnen auch nur im Traum ein, irgend Etwas zu argwöhnen. Glücklicherweise wollte es der Zufall, daß zwei Minuten nach dem Aussteigen dieses Inspectors der Postmeister von H. in Person an den noch haltenden Zug trat. Die beiden fahrenden Beamten überhäuften ihn mit Entschuldigungen, und da stellte sich dann der Schwindel heraus. Brachmeier war sehr bald gefaßt, und man fand das ganze Geld bei ihm. Er hatte vier Jahre in Naugard Zeit, die Komödie zu bereuen. Als er entlassen war, fing er sofort wieder an zu arbeiten, das heißt in seinem Sinne.

Vor Kurzem nämlich wandten sich einige große Bankhäuser flehentlich an uns mit der Bitte um Hülfe. Sie wissen, daß die Banquiers fremde Aufträge nur dann besorgen, wenn sie eine briefliche Bestellung erhalten. Handelt es sich um große und eilige Sachen, so wird in der Regel vom Auftraggeber telegraphirt und dann Seitens des Bevollmächtigten die briefliche Bestätigung abgewartet, ehe nach dem Auftrage verfahren wird. Selbstverständlich liegt zwischen Telegramm und Brief immer ein größerer Zeitraum, meist ein Tag. In der letzten Zeit nun waren gewisse Firmen in B. in reiner Verzweiflung. Heute empfingen sie von Frankfurt am Main den telegraphischen Auftrag fünfzigtaused Thaler Rheinische Actien zu kaufen. Gingen sie, nachdem sie die Bestätigung erhalten, an die Börse, so waren die Actien plötzlich enorm gestiegen, weil bestimmte Jobber eine Stunde vor ihnen alles aufgekauft hatten. Ebenso waren gewisse Course gedrückt, wenn sie verkaufen wollten, indem man kurz vorher große Mengen des Papiers auf den Markt geworfen hatte.

Es würde zu weit führen, Ihnen auseinander zu setzen, wie jene Jobber direct und indirect dadurch profitiren, genug sie profitirten Tausende, und das Ding wurde schließlich so toll, daß unbedingt die Annahme geboten war, die Jobber hätten von den Manipulationen der Häuser vorher Kenntniß. Es sind große Untersuchungen darüber angestellt worden, wo das Dienstgeheimniß verletzt wurde. Wir haben den Aufgabe- und den Ausgabeort vieler Depeschen einer scharfen Controlle unterworfen, aber an beiden Stellen nichts gefunden. Es blieb daher nur die Möglichkeit, daß die Depeschen auf der Strecke abhanden kamen. Wir haben darauf einen hübschen jungen Beamte auf die Spur zu setzen versucht, indem wir ihn dienstlich anwiesen, ein Verhältniß mit der Geliebten eines jener Fixer anzufangen. Das Ergebniß war ein vollkommen unverständlicher Brief an den Börsenmann, unterzeichnet Brachmeier. Wir haben dann diesen unsern alten Freund, wie, kann Ihnen gleichgültig sein, bis hierher aufgespürt und Sie sollen mir ihn hier entdecken helfen. Wir kennen Sie als zuverlässig, und ich habe Ihnen dieses Alles offen erzählt, in der Hoffnung, daß Sie uns helfen werden, ihn zu fangen.“

Während der Beamte erzählte, war in mir zehnmal ein bestimmter Verdacht aufgestiegen und wieder geschwunden. Sollte mein Bureaudiener der Gesuchte sein? Ich durchflog mein ganzes Personal im Geiste, ich kannte das Vorleben eines Jeden, nur von Mehlmann wußte ich nichts Sicheres. Er war mir ab und zu, wie bereits erzählt, etwas wunderlich vorgekommen, aber das war kein genügender Anhalt. Nein, es war nicht möglich, so konnte sich Jemand nicht verstellen, daß er Monate lang den einen Tag wie den anderen ruhig das Bureau fegte und die Tische abwischte, daß er die Oefen heizte und Wasser trug, als habe er nie etwas Anderes gethan! Und dann, es war ja nicht möglich, daß er von meinen Telegrammen Kenntniß erhielt, er kannte ja nicht einmal das Alphabet! Endlich, wie scharf hatte ich immer aufgepaßt und hatte doch Nichts gefunden! Aber halt –

„Haben jene Jobber, Herr Commissar, hier Verbindungen?“

„Allerdings, mehrere.“

„Können Sie mir einen Name nennen?“

„Salomon Löwenherz.“

„Wollen Sie morgen früh in mein Bureau kommen?“

„Warum?“

„Vielleicht kann ich Ihnen den Gesuchten vorstellen … wenn Sie ihn jedoch dort finden, so nehmen Sie sich in Acht, daß er Ihnen nicht wieder durch die Finger geht, denn wenn es der ist, den ich meine, so haben wir einen ganz verteufelt schlauen Burschen vor uns!“

Ich erzählte darauf dem Criminalbeamten von meiner Vermuthung, und wir entwarfen gemeinsam einen Feldzugsplan. Ich werde mich noch bis an mein Lebensende des Vergnügens erinnern, das uns das Stricken dieses Netzes machte.

Die Sache ging über alles Erwarten gut. Mein Bureau hatte zwei Thüren, eine neben dem Schalter auf den Flur führend, die andere in ein halbdunkles Nebenzimmer gehend, welches zur Aufbewahrung von Acten diente. Das Nebenzimmer hatte wieder einen besonderen Ausgang auf den Flur. Als der Criminalcommissar am andern Morgen kam, fing ich ihn auf dem Flur ab und führte ihn leise in das Nebenzimmer. Ich postirte ihn hinter die Thür zum Bureau, in der sich eine mit grüner Serge verhängte Glasscheibe befand. Dann ging ich in das Bureau, und nachdem das übrige Personal dasselbe unter allerlei Vorwänden verlassen hatte, entfernte auch ich mich, so daß nur Herr Mehlmann in demselben zurückblieb. Was nun folgt, hat mir der Commissarius erzählt. Herr Mehlmann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_670.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)