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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

gewiß durch nichts zu erkennen geben, daß wir im Zeitalter des Leuchtgases uns befinden, ja deren Existenz man öfters mittelst eines angebrannten Zündhölzchens suchen muß.

Warum, fragen wir, ist in einzelnen Wartezimmern das Rauchen verboten, in anderen derselben Classe erlaubt? Wer erläßt in diesem Falle das Verbot, wer ist dazu berechtigt? Warum existirt hierüber kein einheitlicher Modus? Existirt ein Verbot, daß in den Wartesalons nicht geraucht werden darf? Und wenn nicht, weshalb findet man dies Verbot vielerorts? Weshalb darf an manchen Orten der Perron nicht betreten werden, während er an den meisten Bahnhöfen dem Publicum offen steht?

Wie wir hören, soll nächstens ein für ganz Deutschland gültiges Gesetz erlassen werden, wonach der Perron nur dem reisenden Publicum nach Vorzeigen der Billets geöffnet, den etwaigen Mitgehenden das Betreten desselben aber gegen eine Gebühr von zwanzig Pfennigen gestattet werden soll. Wenn dies einmal zum Gesetze erhoben sein wird, sind wir gewiß am ersten dazu bereit, uns demselben zu fügen, aber so lange dasselbe noch nicht besteht, wird man es uns nicht übel nehmen können, wenn wir unsere Einwände gegen jene Maßregel hervorheben. Fürst Bismarck äußerte einstmals, als er über französisches Eisenbahnwesen sprach, seine Meinung dahin, daß, sobald man die französische Grenze überschritten, der Mensch vollkommen zu einem Packet herabsänke. In der That hört in Frankreich für Den, der sein Billet gelöst hat, der freie Wille vollkommen auf, willenlos wie ein Packet wird der Mensch dann weiterbefördert. Vor dem Stationsgebäude muß er von den Seinen Abschied nehmen, denn selbst die Wartesäle sind für die, die kein Billet besitzen, zu betreten verboten. Da tönt ihm kein froher Jubelruf entgegen auf dem Perron, wenn er ankommt, denn die Perrons dürfen in Frankreich nur von wirklich Reisenden betreten werden. Sollen wir auch zu solchen Packeten degradirt werden?

Könnte man nicht, statt das Publicum von den Perrons auszuschließen, diese vergrößern, so daß keine Verkehrsstockung stattfinden kann? Wie wird sich diese Maßregel überhaupt vertragen mit der Berechtigung des Publicums, Briefe in die Eisenbahnpostwagen zu werfen? Glaubt man aber in maßgebender Sphäre durchaus davon nicht abstehen zu dürfen, so sollte man (und dies wird allerdings projectirt) den Mitreisenden gegen Perronbillets den Zutritt gestatten, deren Preis indeß nicht so gestellt sein darf, daß nur den Reichen dadurch die Möglichkeit gegeben wird, den Perron zu betreten. Wie wir hörten und andeuteten, sollten solche Perronbillets zu zwanzig Pfennigen ausgegeben werden. Das ist entschieden zu viel. Man denke sich eine zahlreiche Familie, vielleicht aus zehn oder mehr Personen bestehend; für eine solche würde es immer schon eine unangenehme Aufgabe sein, zwei Mark, blos um Abschied zu nehmen, oder um Jemanden zu empfangen, in’s Ausgabebudget schreiben zu müssen. Und wer begleitete nicht gern den Bruder oder Sohn, den das Vaterland vielleicht zur Fahne ruft, bis zum letzten Augenblicke? Unserer Meinung nach dürfte fünf Pfennige für ein Perronbillet schon ein hinlänglich hoher Preis sein. Denn verdienen wollen doch die Eisenbahnverwaltungen durch solch eine Maßregel nicht?

Wir kommen jetzt auf die Einführung der Schlafwagen (der amerikanischen sleeping cars) zu sprechen. In Ländern wie England, Frankreich und Italien, wo selbst die Waggonns 1. und 2. Classe mangelhaft eingerichtet sind, mögen sie von Nutzen sein. In Deutschland, wo namentlich in Courier- und Schnellzügen alle Waggons mit ausziehbaren Sprungfedersitzen versehen sind, müssen sie als vollkommen überflüssig erklärt werden. An der Betteinrichtung der Schlafwagen ist insofern nichts zu tadeln, als alles rein ist und alle Tage frische Ueberzüge geliefert werden, auch sind die Waggons gleichmäßig und gut geheizt, aber die Betten leiden schon deshalb an einem großen Fehler, weil keine Sprungfedermatratzen darin, oder diese doch so hart sind, daß man nichts von Elasticität spürt. Wenigstens kam es mir in den Man’schen „sleeping cars“ so vor; man liegt also etwa wie auf einer Bank 3. Classe, worüber man eine Matratze gelegt hätte. Da sind doch die mit Springfedern versehenen, ausziehbaren Sitze oder Lagerplätze 1. und 2. Classe in unseren Waggons vorzuziehen. Und für solch ein hartes Vergnügen zahlt man Nachts 2 Thaler 20 Groschen mehr. In diesen Schlafwagen des internationalen Verkehrs sind allerdings Waschvorrichtungen und Toilette; die trifft man aber in vielen Coupés der deutschen Bahnen auch, und hoffentlich wird eine solche Einrichtung obligatorisch für alle Waggons der Courier- und Schnellzüge gemacht werden. Außerdem aber kann man in den Schlafwagen zwar Portwein und Madeira, aber weder Kaffee noch Thee bekommen, obschon heißes Wasser dazu genug vorhanden ist. Ein Vortheil für das Publicum ist daher unserer Ueberzeugung nach die Einführung derselben in Deutschland nicht.

Wie man auf vielen Strecken jetzt schon die sehr dankenswerthe Einrichtung getroffen hat, mittelst irgend einer Vorrichtung Hülfe begehren zu können, und wie es sehr wünschenswerth sein würde, derartige Apparate in jedem Zuge zu besitzen, so sollte auch eine Vorrichtung getroffen sein, daß bei jeder Haltestelle der Name der Station deutlich zu erblicken wäre. Wie oft überhört man den Namen der Station oder die Schaffner unterlassen das Rufen! Zu dem Ende müssen die Namen der Stationen innerhalb derselben von Strecke zu Strecke aufgestellt sein, nicht nur am Gebäude oder beim Ein- und Ausgang der Station; empfehlenswerth ist auch eine mechanische Vorrichtung, durch welche beim Halten der Name der resp. Station im Wagen zu lesen ist. Wünschenswerth würde auch sein, daß nach dem löblichen Vorgang der königlichen Direction der Bergisch-Märkischen Bahn in jedem Waggon Fahrpläne der betreffenden Strecke sich befänden, mit Angabe des Aufenthaltes an den betreffenden Haltestellen. Die Tabellen in den königlich sächsischen Waggons, welche die Entfernung einer Station zur anderen in Meilen oder Kilometer angeben, sind durchaus überflüssig für’s Publicum, sie würden mit Vortheil durch Fahrpläne ersetzt werden können. Auch kleine geographische Karten von der zu durchlaufenden Strecke, welche auf einige Meilen rechts und links vom Wege die Topographie des Landes zeigen, wie man solche Kärtchen in den Waggons der Halle-Kasseler Bahn findet, würden überall erwünscht sein.

In früherer Zeit konnte man in Württemberg Billets im Waggon während der Fahrt lösen, natürlich nur für die betreffende Strecke. Jetzt hat man diese Möglichkeit aufgehoben. Der zu spät Kommende kann allerdings, wenn er den Nichtbesitz des Billets anzeigt, ein solches bekommen, muß aber Strafe zahlen, irren wir nicht, eine Mark. Wir verkennen nicht, daß man durch diese Strafe bezwecken will, daß die Leute am Schalter rechtzeitig ihre Billets lösen. Aber wie oft ist es geradezu unmöglich, rechtzeitig einzutreffen, und weshalb soll man denn auch noch da bestraft werden, starren einem doch überall in den Coupés schon Strafbestimmungen genug entgegen. Und wäre es denn überhaupt so unmöglich, Billets während der Fahrt zu verkaufen? So gut wie die Schaffner während der Fahrt coupiren, könnten sie auch in Ausnahmefällen Billets verkaufen. In Württemberg, wo die Waggons Gänge haben, wo man von einem Waggon zum anderen gehen kann, ist die Sache überhaupt leicht zu machen.

Ohne die Tariffrage berühren zu wollen, möchten wir dennoch den Eisenbahndirectionen an’s Herz legen, den Schulkindern das Abonniren für kurze Fahrten 3. Classe so billig wie möglich einzurichten. Und wo z. B. durch den Besuch der Schule mittelst der Bahn von vielen Schulkindern auf die Nothwendigkeit dieser Art des Schulbesuchs geschlossen werden kann, wäre es sehr wünschenswerth, daß auch arme und unbemittelte Schüler dieser Wohlthat umsonst theilhaftig würden. Sodann bedarf die Retourbillet-Frage noch einer bessern Lösung. Die Halle-Sorauer Bahn giebt z. B. keine Retourbillets 1. Classe aus. Auf manchen Bahnen, namentlich auf den norddeutschen, hat man fünfundzwanzig Kilogramm Gepäck frei, auf anderen nicht. Warum besteht hierfür keine einheitliche Bestimmung? Auf manchen Bahnen kann man, falls man ein Personenzugsbillet hat, mittelst Zuschlagsbillet mit einem Courierzuge weiterreisen; viele Directionen gestatten das aber nicht. Weshalb? Grundsatz sollte doch sein, das Reisen so viel wie möglich zu erleichtern und nicht durch Maßregeln, die das Publicum nur zu sehr gewillt ist als chicaneuse zu bezeichnen, zu erschweren. Weshalb werden Retourbillets nicht auch für Schnell- und Courierzüge ausgegeben? Weshalb gelten solche Retourbillets

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_668.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)