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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

ist z. B. gar nicht abzusehen, welche Wunder dem Boden Roms noch entsteigen werden, wenn nur erst einmal die Villa Mils auf dem Palatino oder das Kloster der Salesianerinnen daselbst hinweggeräumt sind.

Wie unerschöpflich in Wirklichkeit der römische Boden ist, beweist am sichersten der statistische Ausweis, welchen jüngst die städtische Commission für Archäologie hinsichtlich ihrer Funde und Ausgrabungen veröffentlicht hat. Danach umfaßte das Ergebniß der Arbeiten im Jahre 1874 allein: 17 Statuen, 10 Torsi, 47 Köpfe oder Büsten, 5 Sarkophage oder Aschenurnen, 12 Weihgegenstände, 6 kostbare gravirte Steine, 11 Reliefs in Knochen oder Elfenbein, 5 Gegenstände aus Gold, 6 aus Silber, 30 aus Bronze, 11 Silbermünzen, 8925 Bronzemünzen, 75 verschiedene Gegenstände aus Terracotta, 11 Architecturfragmente, 39 Inschriften etc. So sind z. B. hier die unzähligen Utensilien jeder Art nicht mit aufgeführt, welche man gefunden hat und von denen einige sehr merkwürdig und beachtenswerth sein sollen.

Am ergiebigsten sind die Ausgrabungen auf dem Esquilin, die daselbst auch am energischsten betrieben werden. Erst im Laufe dieses Frühjahrs hat man daselbst das Pflaster des Forums des Esquilins bloßgelegt, sowie die Reste eines Privathauses mit schwarz-weißem Mosaikboden. Die Wände der Mauern sind mit Fresken geschmückt, die nicht ohne Werth sind. In einer der Zellen fand man zwei Thonlampen, welche die Reliefs der drei Gottheiten des Capitols zeigen, ebenso eine Statuette des Hausgottes, in Bronze und zehn Centimeter hoch.

Da wo die Via Merulana sich mit der Via Labicana kreuzt, förderte man einen Marmorsarkophag an’s Licht, etwas mehr als zwei Meter lang und achtundsechszig Centimeter breit. Sein Deckel war nie geöffnet worden. Ein Leichnam war in dem Sarkophage und zwar der einer Porcia Posilla, wie der auf die Stirnseite des Sarkophags eingegrabene Name besagte.

Bedeutungsvoller ist, daß man – gleichfalls erst im Laufe des April – nicht weit von den Mauern, welche zur Zeit der Könige Rom umgaben, eine massive Mauer bloßgelegt hat, die mit zahlreichen Votiv-Inschriften bedeckt ist. Diese sind aber darum merkwürdig, nicht allein, weil sie wiederholt einer Stadt erwähnen, deren Name bisher nicht auf uns gekommen war, sondern auch, weil sie auf einen bisher unbekannten Jupiter-Cultus hindeuten. Die meisten dieser Inschriften stammen nämlich von Soldaten der fünften und sechsten Legion, die von der Niederdonau nach Rom gekommen und vermuthlich im Lager der Prätorianer eincasernirt waren; diese Barbaren hatten zwar den Cultus ihrer heimatlichen Götter bewahrt, bald aber in der steten Berührung mit der römischen Civilisation seine genaue Ausübung verlernt und eine Art von gemischtem Cultus erfunden, der heimatliche und lateinische Elemente verträglich zusammenwarf und die barbarischen Götter ohne Weiteres mit den hochtönenden Epitheten der Olympier schmückte. In den Inschriften flehen die Prätorianer die Götter an, über das Wohl des Kaisers zu wachen, über seine Gemahlin, seinen Sohn, oder sie nehmen die Hülfe des Himmels für ihre eigenen Angelegenheiten bittend in Anspruch. Was den Inschriften den höchsten Werth verleiht, ist der Umstand, daß dieselben nicht allein die Namen der Consuln geben, zu deren Amtszeit die jeweilige Inschrift gemacht wurde, sondern zugleich noch die genaueste Angabe des Tages, des Monats und des Jahres. Wie wichtig der Fund darum gerade für die Archäologen ist, springt leicht genug in’s Auge. Die Ausgrabungen – gegen Ende April hatte man etwa siebenundzwanzig Säulenbasen aufgefunden – sollten fortgesetzt werden, weil man die Mauer ganz bloßzulegen hoffte, die vielleicht den Rest eines Jupiter-Tempels bildet. Einer Statuette des Jupiter, die man zugleich mit ausgrub, fehlte leider der Kopf. Die Inschriften waren zum größten Theile gut erhalten, fast alle vollständig, und man wird sie inzwischen längst schon in das Capitolinische Museum geschafft haben, wo sie geeignet sind, für die Archäologen der Gegenstand interessanter Studien zu werden.

Am meisten Aufsehen und Bewegung im Lager der Archäologen rief im verflossenen Jahre wohl die Bloßlegung eines Häuserrestes auf dem Esquilin hervor, den man gegenwärtig als das Auditorium des Mäcenas bezeichnet, und die Auffindung mehrerer Marmorstatuen ebendaselbst, deren bedeutendste seit Ende Januar bereits auf dem Capitol als „neue Venus“ aufgestellt ist. Sie steht gleich rechts an der Glasthür, welche von der Treppe in den Corridor führt. Das sogenannte Auditorium des Mäcenas ist ein mit Mosaik belegter, oblonger Raum, dessen rothbemalte Wandnischen früher wohl mit Marmorstatuen geschmückt gewesen sein mögen. Der Hintergrund ist von amphitheatralisch erhöhten Sitzreihen eingenommen, deren Zahl etwa sechs betragen mag. Man weiß, daß Mäcenas auf dem Esquilin eine Villa gehabt hat, und man weiß, daß er es liebte, sich hier im Kreise vertrauter Freunde und Hausgenossen von den großen Dichtern seiner Zeit deren neueste Schöpfungen vorlesen zu lassen. Der Raum, wie man ihn hier aus der Tiefe an das Tageslicht gefördert hat, legt die Vermuthung nahe genug, daß man es hier wirklich mit dem Auditorium des berühmten Dichterfreundes und Kunstbeschützers zu thun haben könne.

Was indessen die „neue Venus“ auf dem Capitol betrifft, so denke ich zwar nicht im Entferntesten daran, dem Urtheile und der Meinung der gewiß grundgelehrten Herren irgendwie zu nahe zu treten. Verschweigen will ich indessen nicht, daß mir die Statue, trotz des Kruges und des Tuches, die ihr beigegeben sind, auch nicht im Geringsten den Eindruck einer Venus macht. Das ist ein Mädchenleib, der noch im Aufknospen begriffen ist, der der Blüthe erst entgegenreift, und hart und streng in der Form, in der Linie, ist er noch weit entfernt von dem voll und reich entfalteten Körperreiz einer Venus, die wir uns als den Typus höchster Formenschönheit und als die Göttin der unbezwingbaren, Alles umfassenden Liebe vorstellen. Muß es denn durchaus eine Venus sein? Oder wäre es nicht möglich, daß wir vielleicht die Portraitstatue einer jugendlich schönen Freigelassenen vor uns haben, die ihr Gebieter in Marmor bilden ließ, dem Bade entsteigend, die Haare schlingend, und der er in Bewunderung des jungen Leibes die Attribute der Venus beigeben zu lassen den Einfall hatte? Im ersteren Falle würde diese „neue Venus“ hinter den zahlreichen anderen und weltberühmten Darstellungen der Liebesgöttin weit zurückstehen, im anderen würde sie ihrer, wenn auch nicht tadellosen, doch im Ganzen schönen und anmuthigen Ausführung halber unsere vollste Beachtung und unser regstes Interesse verdienen. ...

Was Menschenschicksal, was Völkerschicksal sei, auf dem Palatin, in den sarnesischen Gärten erfährt und empfindet das wohl Jeder am besten. Dort, unter den gigantenhaften Trümmern der Kaiserpaläste umrauscht und umklingt es die Seele geisterhaft, und glücklich ist Derjenige, dem es nur einmal vergönnt war, ungestört und sich selbst überlassen da, wo einst die stolzen Imperatoren in marmornen, goldstrahlenden, statuengeschmückten Säulenhallen den Geschicken des weiten Römerreichs in unbeschränkter Machtvollkommenheit geboten, eine einsame Stunde zu verleben und zu verträumen.

Von den vielen Tausenden von Fremden, welche alljährlich die Trümmerstätten des alten Rom durchwandeln, wird der Eindruck, den wir hier am Riesengrabe des größten und mächtigsten Culturvolkes der Erde empfangen, nur Wenigen voll und ganz zum Bewußtsein kommen. Bädecker oder, wenn sie ihre Aufgabe ernster nehmen, Gfell-Fels in der Hand, suchen sie an Ort und Stelle die reichen Lücken ihres Wissens eilfertig zu ergänzen, suchen sie sich über die Bedeutung jeder einzelnen noch ungebrochen in die Luft ragenden Säule, jedes einzelnen Tempelrestes zu unterrichten, eilen sie voll Wißbegierde vom Einen zum Andern, und versäumen über das Einzelne das Ganze, dessen großartige, überwältigende Erscheinung ihre Seelen für das Leben lang füllen müßte mit den erhabensten Bildern, mit den nachhaltigsten Vorstellungen.

Ein Sonntagsmorgen in der Mitte des Februars brachte mir einmal das Glück, nach welchem ich mich so oft und immer vergeblich gesehnt hatte, allein und einsam durch die sarnesischen Gärten, durch die Kaiserpaläste mit ihren gewaltigen Erinnerungen zu wandeln; von dem immer zudringlichen, schwatzhaften Schwarme der Fremden war noch keine Spur zu sehen, denn es hatte mehrere Tage lang geregnet, kein unwillkommener Laut unterbrach die unendliche Ruhe, in welcher die sonnenbestrahlten classichen Ruinen vor mir lagen, der Himmel leuchtete im reinsten Blau und eine einzige Nacht hatte die Mandelbäume mit rosa Blüthen überschüttet. Die schlanke Pinie schaukelte sacht bewegt ihr breites Blätterdach, im dichten Dunkel des Lorbeerbaumes sang da und dort ein munteres Vöglein dem nahenden Frühlinge seinen hellen Gruß entgegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_658.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)