Seite:Die Gartenlaube (1875) 647.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

das mich zwingt, nach einem höheren Ziele zu streben, als um das Brod für’s tägliche Leben mühsam zu ringen. Und sehen Sie, ich fühle die Kraft in mir, Ruhm, Stellung und Ehre im Leben zu gewinnen, und darum eben hassen mich diese stolzen Edelleute, die es mir nicht verzeihen können, daß ich mir bis in ihren Kreis Bahn gebrochen habe, die es mir nie verzeihen werden, daß ich – bürgerlicher und jüdischer Abkunft – ihnen doch an Verstand und Wissen überlegen bin, ja, die mich hassen“ – ein seltsamer Ausdruck glitt hier über seine ausdrucksvollen Züge – „des fabelhaften Glückes wegen, welches ich stets bei den Damen gemacht habe. Sehen Sie mich nicht strafend und mißbilligend an, Fräulein Helene, ja – wenden Sie sich nicht von mir. Indem ich es unternahm, mich selbst Ihnen zu schildern, bin ich Ihnen auch in allen Punkten Wahrheit schuldig, und es ist wahr, wo ich mich noch ernstlich darum bemühte, hat kein Frauenherz mir widerstehen können.“

„Aber das ist abscheulich,“ rief ich, meiner Empörung Worte gebend. „Sie rühmen sich noch des frevelhaften Spieles, das Sie zur Kurzweil oder aus Eigennutz getrieben haben.“

„Mich rühmen? Nein,“ sagte er. „Ich führe nur die einfache Thatsache an. Würde ich mich besser bei Ihnen empfehlen, wenn ich die Wahrheit zu vertuschen oder zu beschönigen suchte?“

Als läge in seinem Blicke eine magnetische Gewalt, die den meinen unwiderstehlich und wider Willen zu sich hin zu zwingen verstand, mußte ich das Auge zu dem Antlitze mir gegenüber aufschlagen, und als ich in diese geistig belebten Züge blickte, da ward ich mir bewußt, daß – obwohl meine eben geäußerte Empörung wahrlich nicht erheuchelt war – daß ich ihn liebte wie noch nie, ohne Rettung, ohne Hoffnung, mich je von diesem mich vor mir selber so tief demüthigenden Gefühle befreien zu können. Aber ich biß die Zähne zusammen und legte mir in der einen Secunde tief in meinem Herzen das Gelübde ab, daß er nie, niemals auch nur ahnen solle, wie auch ich zu der langen Liste Derer gehöre, bei denen er „fabelhaftes Glück“ gemacht. Ich zwang meine Stimme zur Festigkeit und bemerkte, ohne auf seine Frage etwas zu erwidern, nur abwehrend: „Wie Sie selber mir jetzt bestätigen, sind alle schlimmen Gerüchte über Sie also doch nicht erdichtet.“

Er zuckte mit den Achseln. „Was wollen Sie? Ich stehe einer Gesellschaft gegenüber, die mich vielfach als Feind behandelt, und im Kampfe gehören, wie Sie wissen, die Kriegslisten nicht zu den verbotenen Dingen. Glauben Sie mir, zarte Hände öffnen auch die unzugänglichsten Pforten im Wege der Güte weit leichter, als rauhe Gewalt. Ueberdies traue ich Ihnen hinreichend Geist zu, Fräulein Helene, um auch in diesem Punkte beurtheilen zu können, wo die Grenze des Erlaubten gezogen ist. Werden Sie mir ein Verbrechen daraus machen, wenn ich diesen jungen Damen, die durchaus nichts Besseres verlangen, als sich von mir den Hof machen zu lassen, den Gefallen thue?“

Ich wollte ihm erwidern, daß diese Art bequemer Moral, die er sich selber geschaffen, meine Billigung entschieden nicht habe und nie erhalten werde, aber er schnitt mir das Wort ab, indem er schnell hinzufügte: „Mit Ihnen freilich ist das etwas Anderes, Fräulein Helene. Ihnen den Hof zu machen, würde ich niemals wagen. Ich biete Ihnen statt dessen meine Freundschaft an und füge nur das Eine hinzu: weisen Sie dieselbe nicht zurück! Denken Sie, wir kennten uns bereits fünfzehn Jahre! Sie können sich auf mich verlassen. Für Diejenigen, die gut mit mir sind, bin ich der treueste Freund, aber für die Falschen –!“ Er ballte die Hand; seine Augen funkelten, und ich war mir nur zu deutlich bewußt, daß kühle Gleichgültigkeit diesem wandernden Vulcane gegenüber eine Unmöglichkeit sei. Ich that also, wozu die innere Nothwendigkeit mich zwang, indem ich meine Hand in seine dargebotene Rechte legte.

„Jetzt sollen Sie auch erfahren,“ nahm Hirschfeldt nach einer kurzen Pause den Faden der Unterhaltung wieder auf, „was Fräulein Wéra mir heute mitzutheilen hatte. Meine schlimmsten Befürchtungen scheinen leider der Verwirklichung nahe. Stellen Sie sich vor, daß ihre Eltern sie verheirathen wollen!“

Er war bei diesen Worten leichenblaß geworden, und seine Züge nahmen einen solchen Ausdruck finsterer Erbitterung an, wie ich sie noch nicht bei ihm kennen gelernt hatte. Ich versuchte, ihm ein Wort der Theilnahme zu sagen, aber er hörte kaum darauf. „So sind diese Menschen!“ sagte er. „Ob ihre Tochter glücklich wird, oder ob sie ihr das Herz brechen, das sind ihnen Fragen von untergeordneter Bedeutung, die sie nicht einmal in Erwägung ziehen. Daß sie eine sogenannte standesgemäße Heirath macht, das ist das Ziel, nach dessen Erreichung sie vor allen Dingen jetzt streben, da sie Verdacht geschöpft haben, Wéra könne kühn genug sein, über ihr Herz und ihre Person selbst verfügen zu wollen.“

Ein unendliches Bedauern erfaßte mich, da ich nur zu gut erkannte, wie die stolze Natur des jungen Künstlers sich aufbäumen mußte, und wie er kämpfte gegen den Schmerz, der ihn doch fast zu überwältigen drohte.

„Ich sage Ihnen,“ knirschte er, „in dem Augenblicke, da Wéra mir mittheilte, daß die Gefahr drohend und nahe sei, daß man sie auf die bevorstehende Ankunft des ihr bestimmten Gatten schon vorbereitet habe, glaubte ich, ich solle niederstürzen.“

„Aber was werden Sie thun?“ fragte ich ihn.

Er sah mich mit seinen blitzenden Augen fast staunend an und erwiderte ohne Bedenken: „Kämpfen bis auf’s Aeußerste. Ich habe Wera beschworen, fest zu bleiben. Vielleicht, daß die Gefahr noch einmal abzuwenden ist und – Zeit gewonnen, Alles gewonnen. Im schlimmsten Falle,“ er war vorhin schon aufgesprungen, und jetzt beugte er, nahe zu mir herantretend, das Haupt tief herab und sagte gedämpften Tones: „Im schlimmsten Falle bleibt uns die Flucht.“

Ich fuhr zusammen und hob erschrocken meinen Blick zu ihm empor. Auf seinem Antlitz lag in diesem Augenblicke eine eiserne Entschlossenheit ausgeprägt.

„Wéra, das verwöhnte Kind des Reichthums, würden Sie wagen, es in eine unbestimmte Zukunft mit hineinzureißen?“

Mein neuer Freund hatte sich wieder aufgerichtet, und während seine Blicke fast durchbohrend den meinigen begegneten, fragte er: „Glauben Sie nicht, daß die volle, ungetheilte Liebe des Mannes eine Frau für Alles, was sie anderweitig aufgiebt, entschädigen kann?“

Ich blickte nieder. Ich empfand zu deutlich bei dieser Frage, wie man im Stande sein müsse, für seine Liebe all jene äußeren Dinge zu opfern, und doch – Wéra, jene zarte Blume, die von der rauhen Prosa des Lebens nicht einmal eine Ahnung hat, und dann –? „Ja, für eine ganze ungetheilte Liebe,“ antwortete ich zweifelnd.

Eine dunkle Röthe überflog plötzlich seine Stirn.

„Sie werden doch hier nicht an jene flüchtigen Tändeleien denken,“ sagte er, „die ich mir mitunter gestattet habe, – Wéra liebe ich.“

Ich gab ihm den stolzen Blick, mit welchem er diese Worte begleitete, ebenso stolz zurück und entgegnete mit Entschiedenheit: „Von dem Manne, dem ich eines Tages mein Herz schenken könnte, würde ich auch nicht die geringfügigste jener Tändeleien dulden.“

Er erwiderte nichts, aber er sah mich lange mit einem Ausdruck in den Augen an, den ich nicht zu deuten wußte. „Ja,“ sprach er dann endlich nachdenklich und langsam, „mit Ihnen ist es etwas Anderes, Sie sind nun einmal gar nicht zu vergleichen mit den übrigen jungen Damen hier, Sie – nun, Sie sind eben ein deutsches Mädchen.“

Ich begriff nicht, ob Herr Hirschfeldt mit dieser Heraushebung meiner Nationalität ein Lob oder einen Tadel aussprechen wollte, und verspürte auch keine Lust, mir solches näher von ihm erklären zu lassen, ich ersuchte ihn vielmehr dringend, sich wieder unter die Gesellschaft zu mischen, und er that es, nachdem er mir noch angekündigt hatte, daß seine Mutter und Schwester in der nächsten Woche wieder abzureisen gedächten und mich noch dringend um einen Besuch am Sonntag bitten ließen. Ich sagte ihm, daß ich, wenn möglich, kommen würde, und begab mich alsdann an den Flügel, um mit Aufbietung aller meiner Kraft noch ein langes und schweres Trio zu spielen.


Den 4. November.

Vorgestern blieb mir nur sehr kurze Zeit, zu Hirschfeldt’s zu gehen und zwar früh, da ich später mit unserer Gebieterin

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_647.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)