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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

klar, ob der Antrag ernst gemeint oder eine neue noch größere Beleidigung sein solle. Kuni hatte sich aufgerichtet; ihr war, als ob der Saal und Alles drinnen sich um sie zu drehen beginne.

„Ich bin mit Deiner Tochter aufgewachsen,“ fuhr Sylvest fort, „in der ersten Kinderzeit wenigstens, auch sonst sind wir Nachbarsleut’, und ich glaub’, Du kennst mich wohl, daß ich ein richtiger Mensch bin und der Hof bei mir nit schlechter werden soll, denn den Ulanen hab’ ich heut zum letzten Male an und möcht’ wieder ein Bauer werden. Also halt’ ich vor allen denen Leuten da um Deine Kuni an und möcht’ mit ihr die Handreichung thun.“

Dem Alten war, als hätte das Hochzeitmahl bereits stattgefunden und er dabei zu tief in den Krug gesehen; das konnte doch unmöglich Spott sein; das war wirklicher Ernst, aber trotz dieses Ernstes konnte er nicht umhin in lautes Lachen auszubrechen. „Mir ist, als wenn ich einen Rausch’ hätt’,“ rief er. „Mir bist Du alleweil der rechte Bursch und der richtige Schwiegersohn – aber was wird denn die Kuni dazu sagen?“

Eine Stille flog durch den Raum, daß man den Laut einer fallenden Nadel hätte vernehmen müssen. Aller Augen hingen an Kuni, die sich bebend an den Tischrand hielt und hochathmend keinen Blick von Sylvest verwendete. Sie sprach nichts, dazu war ihr das Herz zu voll; eine Morgensonne des Glückes ging in ihr auf, und ihre ganze Seele ertönte, wie in dem Mährlein die Glocke, welche, sobald der erste Sonnenstrahl sie berührt, von selber zu schwingen und zu läuten beginnt.

Sylvest trat einige Schritte näher und streckte ihr die Hand entgegen; erglühend, gleich einer hochfarbigen Rose, legte sie die ihre hinein. Im nächsten Augenblick lagen sie sich in den Armen, wortlos, unbekümmert um die Welt, die sie umgab: der Mißklang jener verhängnißvollen Nacht, da sie, dem Versinken nahe, an seiner Brust Zuflucht gesucht hatte, war gelöst und ein voller Accord vollen Glückes brauste durch ihre Seele.

Ein allgemeiner Schrei der Freude begrüßte die unerwartete Lösung – war doch nun ein glänzender Ersatz für die verdorbene Hochzeit gefunden, eine langbekannte Feindschaft in ihr schönes Gegentheil umgewandelt und in überraschender Weise ein Paar vereinigt, dem ob seiner Jugend und Schönheit wie ob seines eigenthümlichen Geschickes Jedes das vollste Liebes- und Lebensglück verhieß und vergönnte.

Der Lauteste und Ergriffenste von Allen war der Schlösselbauer; er weinte und lachte durcheinander und nahm Eins nach dem Andern immer wieder und wieder beim Halse. „Ist es denn möglich,“ schrie er, „daß noch eine solche Freud’ für mich aufgehoben ist! Teufelsbub, sag’ mir’s nur, wie Du’s angefangen hast, das Mädel herum zu kriegen! Ich hab’ nichts ausrichten können mit ihr. Ihr seid ja alleweil’ aufeinander gewesen, wie Hund und Katz’.“

Kuni lehnte sich lächelnd an ihn und sagte: „Hab’ nur Geduld, Vater! Es kommt die Zeit, wo ich Dir das Alles erzählen werd’.“

„O, ich verlang’ nichts mehr zu wissen auf der Welt,“ rief er. „Ich bin zufrieden, daß ich das noch erlebt hab’. Ist es denn wahr, Kuni, soll wirklich Stuhlfest sein? Willst ihn wirklich, den übermüthigen Burschen da in seinem Hulanengewandel?“

„Ja, Vater, – den und keinen Andern.“

„Juhe!“ schrie der Bauer, warf den Hut in die Höhe und begann mit den alten Beinen Luftsprünge zu versuchen. „Wirth! die ganze Grubenmüllerhochzeit gehört mein. Her mit Allem, was gut und theuer ist! Alles ist eingeladen. Der Schlösselbauer zahlt die ganze Bescheerung! Juhe! Die Schlösselbauer-Kuni macht Stuhlfest, wie noch gar keins gewesen ist. Jetzt freut mich erst mein Leben.“

Die Anwesenden waren nicht schwer zu bewegen, auf die Freude des Alten einzugehn und eine so herzlich gemeinte Einladung anzunehmen, bald war die Mahlzeit im Gange; die Teller klangen, die Gläser klirrten, und die Musik tuschte und blies immer wieder zum Wohle des verlobten Paares, über dessen Häuptern die Anfangsbuchstaben, noch ehe der Abend einbrach, durch die nun gebührenden ersetzt waren.

Während die Paare im Tanze dahin flogen, standen Sylvest und Kuni seitwärts in einer sie halb verbergenden Fensternische – zum ersten Male mit sich und ihrem jungen Glücke allein.

„Ist es denn wahr? Kannst mich wirklich gern haben?“ flüsterte Sylvest. „Und ich bin so abscheulich gegen Dich gewesen, daß ich es jetzt selber nicht mehr begreifen kann…“

„Ueber Alles in der Welt hab’ ich Dich gern,“ erwiderte sie, von seinem Arm verschlungen. „Mir ist als wenn es niemals anders gewesen wär – ich glaub, ich hab’ Dich gern gehabt, so lang ich denk, ich hab’ es nur selber nit gewußt.“

„Und mir geht’s gerade so,“ flüsterte er zurück, „es ist gar nit wahr, daß ich einmal einen Haß gegen Dich gehabt hab’; das ist lautere Lieb’ gewesen, und ich hab’ mich, in meiner Verblendung nur dagegen gewehrt, weil es mir im Geist’ vorgegangen ist, daß mir von mir selber nichts mehr übrig bleibt.“

Sie sah ihm zärtlich in’s Gesicht und strich ihm die Locken aus der Stirn. „Die Narbe da hast um mich, um meinetwegen,“ sagte sie, „aber sie steht Dir gut an, und ich will Dir’s gedenken. Was bist für ein Mann!“ fuhr sie, sich an seine Brust schmiegend, fort. „Wie ruhig bin ich an Deiner Brust gelegen, wie’s zum Versinken gewesen ist – ich glaub’, wenn es wirklich dazu gekommen wär’, es wär’ mir leicht geworden, mit Dir zu versinken. Du mußt mich nicht auslachen, Sylvest, aber ich bin ganz wie verwandelt. Wie hab’ ich gelacht und gespott’, wie ich die Mechel und den Zachariesel gesehn hab, wie sie mit einander zärtlich gewesen sind, und wie ist mir das Gethu so fad vorgekommen – und jetzt kann ich’s selber nit oft genug von Dir hören, daß Du mich gern hast, aber nicht wahr, mit uns Zwei wird es nicht so gehn, wie mit den Andern? Wir bleiben bei einander?“

„In alle Ewigkeit,“ entgegnete er ernst, „wir sind fester zusammengenietet, und Du weißt, durch was.“

„Ich verdien’ so viel Glück nit,“ hauchte sie gerührt, „aber die Basl muß mir’s erbitt’ haben in der Ewigkeit. Sie hat mir Glück gewünscht mit dem Mann, an den mein Herz denkt, und – jetzt darf ich Dir’s ja eingestehn – der Mann ist Niemand Anderer gewesen, als Du.“

Eine Weile standen sie so und gewahrten nicht, daß wieder ein Tanz zu Ende gegangen war und der Hochzeitlader, der sie aufgesucht, mit überglücklichem Angesichte vor ihnen stand. „Wie schaut’s jetzt aus mit meinem Kuppelpelze?“ rief er. „Hast kein Glasel zur Hand, daß Du wieder dem Glaser etwas zu verdienen geben könntest? Wer hat jetzt doch Recht behalten? Es heißt halt nicht umsonst ,Weihnachten im Schnee, Ostern im Klee’ und ‚Was der Haas’ unter’m Berge (diesseits) versäumt, muß er dreuten (jenseits) wieder hereinbringen’.“


Im Mai war’s im Erlinger Wirthshause voll und lustig, wie noch nie. In der Wallfahrtskirche zu Andechs wurden zwei Paare getraut, welchen ihre Erlebnisse es wünschenswerth machten, das Fest ihrer Vereinigung an dem Orte zu feiern, wo so entscheidende Ereignisse in ihr Leben eingegriffen hatten.

Der neue Schlösselhofbauer und der neue Grubenmüller hielten zugleich Hochzeit.

Der neue Müller war niemand Anderes als Zachariesel. Nach dem stattgefundenen Aergernisse war Mechel der ganze Ammersee und was darum herum war, verleidet und verhaßt; ihre Wünsche stimmten daher mit denen ihres Vaters überein, der bei dem kurzen Aufenthalte in der Hauptstadt ein so großes Wohlgefallen an derselben gefunden hatte, daß ihm der Gedanke einer Uebersiedelung dahin immer erwünschter und angenehmer erschien. Er war daher rasch bereit gewesen, als Zachariesel den alten Hochzeitlader als Vermittler mit dem Vorschlage geschickt hatte, ihm die Mühle zu verkaufen und sich dabei wegen alles Vorgefallenen aus einander zu setzen. Zachariesel hatte von seinem verkauften Gute das baare Geld und mußte wünschen, bald eine Unterkunft zu finden, und dazu war nichts geeigneter als die Grubenmühle, denn die Braut hatte nun einmal für den Aufenthalt in einer Mühle eine besondere Vorliebe.

Julei und Zachariesel waren ein in Gott vergnügtes und recht hübsches Paar, als aber Sylvest und Kuni an den Altar traten, da war nur eine Stimme unter den Zeugen und den fast zahllosen Zuschauern: daß seit Menschengedenken kein Paar an diesem Platze gestanden, dem die Liebe und die Glückseligkeit so klar auf die Stirn geschrieben gewesen sei.

Auch die Hochzeitfreude selbst hatte in der Erinnerung nicht ihres Gleichen; der Hochzeitlader, der für die beiden Paare

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_624.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)