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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Zwei deutsche Jubelfeste in Weimar.
Von Robert Keil.
1. Das Karl-August-Fest am 3. September 1875.
(Schluß.)

Charakterisiert jener Brief den Herzog nach Wärme des Herzens, Adel der Gesinnung und Festigkeit des Willens, so sind die Notizen, welche Goethe in jenen Jahren über seinen fürstlichen Freund in sein Geheimtagebuch machte, für die Persönlichkeit und Entwickelung des jungen Fürsten noch weit bezeichnender. In den Mittheilungen über Weimar, Goethe und Corona Schröter aus den Tagen der Genieperiode, welche ich soeben unter dem Titel „Vor hundert Jahren“ im Verlage von Veit u. Comp. in Leipzig erscheinen ließ, wird dieses Geheimtagebuch Goethe’s von 1776 bis 1782, wovon bisher nur Bruchstücke und Auszüge bekannt waren, nach zwei aus Riemer’s Nachlaß in meinen Besitz übergegangenen Copien zum ersten Male vollständig veröffentlicht. Es sei mir verstattet, einige wenige, besonders charakteristische Stellen daraus über Karl August – welcher im Tagebuch fast überall mit dem Zeichen des Jupiter: ♃ bezeichnet ist – in chronologischer Ordnung hier folgen zu lassen.

 13. September 1776. Morgens kam ♃, rein und lieb.
 8. Januar 1777. Der Herzog gegen Mittag von einem starken Ritte rein und dumpf und wahr.
 8. October 1777. ♃ wird mir immer näher und näher und Regen und rauher Wind rückt die Schafe zusammen. Regieren!!
 8. Januar 1778. Nachts mit ♃ viel über unsere Zustände.
 31. Juli 1778. Der ♃ ist zusammengefaßt und gut und frisch.
 14. December 1778. Gespräch mit ♃ über Ordnung, Polizey und Gesetze. Verschiedene Vorstellung. Meine darf ich nicht mit Worten ausdrücken, sie wäre leicht mißverstanden und dann gefährlich etc.
 December 1778. Der Herzog immer sich entwickelnd und wenn sich’s bey ihm aufschließt, kracht’s, und das nehmen die Leute übel auf.
 1. Februar 1779. Conseil. Dumme Luft drinn. Fataler Humor von Fr(itsch). ♃ zu viel gesprochen. Mit gessen. Nach Tisch eine Erklärung über zu viel reden fallen lassen, sich vergeben, seine Ausdrücke mäßigen, Sachen in der Hitze zur Sprache bringen, die nicht geredt werden sollten. Auch über die militärischen Macaronis. ♃ steht noch immer an der Form stille. Falsche Anwendung auf seinen Zustand, was man bey andern gut und groß findet.
 23. März 1779. Früh Conseil, mit ♃ allein gessen. Er wird täglich reiner, bestimmter.
 Juni 1779. ♃ ist bald über die große Krise weg und giebt mir schöne Hoffnung, daß er auch auf diesen Fels heraufkommen und eine Weile in der Ebene wandeln wird.
 15. Juni 1779. Vor Tisch viel mit ♃ über sein Wachsen in der Vorstellung der Dinge, sein Interesse an den Sachen und wahrer Erkenntniß.
 Juli 1779. ♃ macht es ein Vergnügen, die Rolle des Pylades zu lernen[1]. Er nimmt sich außerordentlich zusammen und an innerer Kraft, Fassung Ausdauer, Begriff, Resolution fast täglich zu.
 13. Juli 1779. Außer dem Herzog ist Niemand im Werden, die anderen sind fertig wie Drechslerpuppen, wo höchstens noch der Anstrich fehlt.

Soweit das Goethe’sche Tagebuch. Fügen wir zur Vervollständigung des Bildes noch die Urtheile anderer bedeutender Zeitgenossen aus eben diesen Jahren bei. Am 3. November 1777 schrieb Goethe’s Freund Merck, nach seinem Besuche von Goethe und Karl August in Eisenach, an Nicolai: „Das Beste von Allem ist der Herzog, den die Esel zu einem schwachen Menschen gebrandmarkt haben, und der ein eisenfester Charakter ist. Ich würde aus Liebe zu ihm eben das thun, was Goethe thut. – Ich sage Ihnen aufrichtig, der Herzog ist einer der respectabelsten und gescheidtesten Menschen, die ich je gesehen habe, und, überlegen Sie, dabei ein Fürst und ein Mensch von zwanzig Jahren.“ Nach der Reise, welche Karl August und Goethe nach Berlin und Dessau gemacht, schrieb Wieland im Juni 1778: „Alle Lande, wo sie gewesen, sind ihres Ruhmes voll. Im ganzen Ernst, zu Leipzig, zu Dessau, zu Berlin, ist alle Welt von unserm Herzog ganz eingenommen. Das hat Bruder W. (Goethe) wohl hübsch gemacht. – Ich werde je länger, je mehr überzeugt, daß ihn Goethe recht geführt, und daß er am Ende vor Gott und der Welt Ehre von seiner sogenannten Favoritenschaft haben wird.“ Forster endlich, welcher dem Fürsten und dem Dichter auf ihrer Reise nach der Schweiz begegnet war, schilderte in einem Briefe vom 24. October 1779 den Eindruck, den er vom Herzog empfangen: „der Herzog ist ein artiger kleiner Mann, der ziemlich viel weiß, sehr einfach ist und gescheite Fragen thut. Für einen zweiundzwanzigjährigen Herzog, der seit vier Jahren sein eigener Herr ist, fand ich viel mehr in ihm, als ich erwartete.“

So stellt sich Wesen und Charakter des jungen Fürsten während seiner ersten Regierungszeit dar, und diesem Charakter ist Karl August in steter Fortbildung bis zur letzten Lebensstunde treu geblieben. In der Jugend oft hitzig, leidenschaftlich entschieden, feurig und ungestüm, zeigte er auch in späterer Zeit wohl oft genug eine derbe, soldatische, schroffe Weise, doch all dies war nur die rauhe Schale des edelsten Kerns. Karl August war eine groß angelegte, naturwüchsige Persönlichkeit, eine auf das Große gerichtete, edle, geniale und durchaus gesunde Natur in einem abgehärteten, kraftvollen Körper. Mit steter Wißbegierde, mit Empfänglichkeit für alles Große und Schöne im Leben wie in der Wissenschaft, mit lebhaftem Interesse für Alles, wenn es einigermaßen bedeutend war, es mochte nun in ein Fach schlagen, in welches es wollte, besonders aber für die Naturwissenschaften und jeden Fortschritt auf dem Gebiete der Künste vereinte er eine reine, ungetrübte Anschauung der Dinge, gesundes, schlagendes Urtheil und bewundernswerthen Scharfblick; mit festem, entschlossenem Willen und Ausdauer in der Verfolgung des Zieles verband er Raschheit der Ausführung, rastloses kräftiges Schaffen, unermüdliche Thatkraft. Gerad und geradezu, kernig und treu, bethätigte er als Mensch und Fürst die redlichste, menschenfreundlichste Gesinnung und schätzte und ehrte Jeden, auch den Geringsten, wenn er nur in seiner Lebensstellung ehrlich seine Pflicht erfüllte. Einfach, schlicht und anspruchslos, dabei heitern, lebensfrohen Temperaments, mischte er, der wahre Bürgerfreund, sich frei unter das Volk. Mit köstlichem Behagen konnte er die bäuerlichen Kirchweihen besuchen, die Bauernmädels im Tanze schwingen, auf den Schützenfesten mitschießen und den Bänkelsängerliedern vor den blutrothen Bildern der „Mordthaten“ zuhören. Ebenso freigebig als leutselig half er den Menschen, wo er nur konnte, mit Rath und That, und immer war seine Kraft der Förderung des Gemeinwohls zugewandt.

So wirkte er für seine Residenzstadt, in welcher unter seiner und seines Freundes Goethe Leitung die beengenden Mauern und Thore fielen, die Bibliothek aufblühte, Schloß, Theater, Bürgerschule etc. und vor allem der unvergleichlich schöne Park entstanden.

So wirkte er als echter Mann des Fortschritts für sein Land. Was irgend an guten neuen Erfindungen und Einrichtungen in jener Zeit hervortrat, suchte er (laut Goethe’s Zeugniß) „bei sich einheimisch zu machen; manche Abhandlung, manches Gesetz hat er selbst abgefaßt, und zwar meistentheils gut.“ Seine großen Zwecke mit energischem Willen unermüdlich verfolgend, hob er Land- und Forstwirthschaft und Gewerbe, schuf eine durchgreifende Reform der Justiz, der Verwaltung, der Stadtordnungen, der Steuerverfassung, des Medicinalwesens und förderte emsig die allgemeine Volksbildung durch Besserung der Schulen, durch Begründung des Seminars und durch Berufung der bedeutendsten Gelehrten aller Zweige der Wissenschaften nach der Universität Jena. Sie, die thüringische Universität, verdankt ihm, ihm vor Allen, ihre Blüthe; seiner

  1. Für die zweite Aufführung von Goethe’s Iphigenie.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_618.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)