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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

und jener des alten Vaterlandes eine Parallele zu ziehen, wie nahe die Versuchung dazu auch immer liege. Eine mißliche und verfängliche Sache zugleich. Vor allen Dingen ist die deutsch-amerikanische Presse in Allem, was Politik und Gemeininteressen, sowie die Art ihrer Vertretung anbelangt, durchaus amerikanisch. Ihr Ton, ihre Haltung, ihre Kampfesweise und die Form, in welcher sie dem täglichen Lese- und Neuigkeitenbedürfniß des Publicums Rechnung trägt, sind ganz und gar durch das Muster ihrer mächtigen englischen Schwester beeinflußt und bedingt. Nur dadurch wurde es möglich, neben dieser – zugänglich und maßgebend, wie sie ja sehr bald auch für den Eingewanderten werden muß – eine wirkliche „deutsch“-amerikanische Presse zu der Entwickelung zu zeitigen, in der sie uns heutigen Tages mit ihren vierhundert verschiedenen Publicationen (darunter siebenzig tägliche Blätter!) entgegentritt. Andererseits ist sie, wie weit sie auch in Betreff literarischer Selbstproduction hinter der deutschen Presse der alten Welt zurücksteht, doch, Dank einer Gesetzgebung, welche ihr diese letztere zu rückhaltlosester Ausbeutung zur Verfügung stellt, von jeher in der Lage gewesen, ihre Leserkreise in einer nicht hoch genug anzuschlagenden Verbindung mit dem geistigen Leben Deutschlands zu erhalten. Und sie ist sich dieser Thatsache und ist sich der Verpflichtungen, welche sie in sich schließt, stets bewußt gewesen. Sie hat nie vergessen, daß neben allen das Wesen der reinen Tagespresse betreffenden Zugeständnissen an das amerikanische Leben und Treiben ihre zweite nicht minder wichtige Aufgabe darin besteht: inmitten der zwanzigsten Majorität einer andersredenden Bevölkerung Leib und Seele der Muttersprache zu pflegen, zu erhalten, zu vererben. Wie wohl sie aber an der Beherzigung dieser Erkenntniß gethan hat, dafür spricht das materielle Gedeihen, welches auf diesem Wege erblüht ist, am deutlichsten.

Es war die stolze Fluthwelle von deutscher Bildung, deutschem Talente und deutscher Begeisterung, welche die politischen Stürme von 1848 und 1849 an das Westgestade des atlantischen Meeres warfen, welcher die deutsch-amerikanische Presse, wie wir sie heute sehen, ihr Dasein verdankt. Und noch heute sind es Angehörige jener großen Freiheitsauswanderung, welche, wie Karl Heinzen, Hermann Raster, Rudolf Lexow, Oswald Ottendorfer, J. Rittig, Karl Dänzer, Gottfried Kellner, Fr. Hassaurek, C. L. Bernays, Wilhelm Rapp und Andere, ihre vornehmsten, wenn nicht ihre ausschließlichen Säulen bilden. Aus wie dürftigen Anfängen, aus wie kleinlichen Verhältnissen haben diese Männer und ihre Gefährten das, was damals als deutsche Journalistik in den Vereinigten Staaten bestand, zu seiner heutigen Bedeutung emporgehoben! Unter welchen Opfern und Kämpfen ist dieses Ziel erreicht worden, und wie manche treffliche Begabung, wie manches wackere Herz ist auf dem mühevollen Wege zu Grunde gegangen! Wie freudig erkannte aber auch zu gleicher Zeit, gleich Karl Schurz, Fr. Hecker, Fr. Münch, Franz Lieber, J. B. Stalle, F. Kapp, A. J. Schem, Caspar Butz und Anderen, jede deutsche Geistescapacität eine Art Ehrensache darin: auch ohne unmittelbare Berufszugehörigkeit im Anschlusse an diese aufblühende Presse zu wirken und selbstthätig zur Förderung und Lösung ihrer mannigfachen Aufgaben beizutragen! Und wie gute Früchte hat das Alles gebracht! Materielle Erfolge wahrhaft glänzender Art – es ward dies bereits gesagt – wurden auf diesem Wege erzielt. Fast in allen großen Städten des Landes gelang es, Zeitungsgeschäfte aufzubauen, welche in mehr als einer Beziehung den Vergleich mit den verwandten anglo-amerikanischen Etablissements, ja mit den meisten der hervorragenden Schwester-Unternehmungen Alt-Deutschlands zu bestehen vermögen. Und ein publicistischer Einfluß erwuchs, der, weit über die abgesonderten Einzelströmungen deutscher Leserkreise hinausgehend, schnell genug in den allgemeinen Strom der großen amerikanischen Oeffentlichkeit hineinreichte.

Das geschäftlich blühendste und zugleich auch, neben der „Illinois Staatszeitung“ in Chicago und dem „Anzeiger des Westens“ in St. Louis, in fachmännischen Kreisen selbst als maßgebendstes Organ der täglichen deutsch-amerikanischen Presse anerkannte Blatt ist die „New-Yorker Staatszeitung“. Sie steht als Geschäft im ganzen Lande nur dem vielbesprochenen „New-York-Herald“ nach, mit dessen Inseratenabtheilung ihre Anzeigespalten wetteifern, und hinter dessen Circulation sie mit ihrer täglichen Auflage von 56,000 Exemplaren nur sehr wenig, wenn überhaupt noch, zurückstehen dürfte. Mit dem „Herald“, dessen heutige Glorie sie in mancher Beziehung theilt, hat sie auch das Geburtsjahr, 1834, sowie die verhältnißmäßige Dürftigkeit, in der beide das Licht der Welt erblickten, gemeinsam. Für die deutsche Zeitung war es die Gestalt eines winzigen, unter der Redaction von Stephan Molitor stehenden Wochenblättchens, in der dies geschah. Erst acht Jahre danach wurde aus dem Wochenblättchen ein drei Mal per Woche erscheinendes Blatt, als welches es 1845 in den Besitz von Jakob Uhl überging, um sofort seine dritte und letzte Metamorphose, die in eine Tageszeitung, zu bestehen.

Nach Uhl’s Tode wurde die geschäftliche Leitung des schon damals an der Spitze der deutschen Presse New-Yorks stehenden Blattes mit ebenso ungewöhnlicher Umsicht wie gutem Erfolg von Frau Anna Uhl, jetziger Frau Ottendorfer, geführt, welche ihm auch im Jahre 1858 auf eigenem Grund und Boden und in unmittelbarer Nachbarschaft der großen englischen Zeitungen ein für jene Zeiten immerhin prächtiges Heim gab. Im darauffolgenden Jahre ging Herausgabe und Redaction des Blattes in die Hände von Oswald Ottendorfer über, welcher ihm während des Bürgerkrieges und der darauf folgenden Jahre eine starke demokratische Parteitendenz verlieh, diese jedoch 1871 gegen eine ausgesprochen unabhängige Haltung vertauschte und dadurch dem ohnehin zu einer publicistischen Macht erwachsenen Zeitungsunternehmen neue Quellen des öffentlichen Ansehens und Einflusses erschloß. Im Sommer 1873 fand eine erneute Uebersiedelung des Etablissements in den geschmackvollsten und im edelsten Material aufgeführten jener Zeitungspaläste statt, in denen sich in neuerer Zeit die große New-Yorker Presse festgesetzt hat, und denen das Zeitungswesen der ganzen übrigen Welt nichts Aehnliches an die Seite zu stellen hat.

Mit einer nach drei Seiten frei und weit hinausblickenden Totalfront von zweihundertvier Fuß erhebt sich der vierstöckige italienische Renaissance Bau zu einer Gesammthöhe von hundertsechs Fuß. Keller- und Erdgeschoß stellen ein massives Quader- und Monolithengefüge aus blaugrauem Massachusetts’schem Granit dar. Die anderen Stockwerke mit höchst wirksam vertheiltem Säulen-, Pilaster-, Balcon- und Balustradenwerk erheben sich in dem helleren Gestein, welches die Granitbrüche von Concord in New-Hampshire schon zu so manchem New-Yorker und Bostoner Prachtbau geliefert. Bronze-Standbilder Guttenberg’s und Franklin’s schmücken den Balcon, der sich über dem Säulenporticus des Haupteingangs bis zum dritten Stockwerke aufbaut. Die oberen Geschosse sind durch Pfeilerstellungen, welche die kräftigen Gesimse tragen, in gefälliger Weise gegliedert. Ein mächtiges Mansardendach mit thurmartigen Unterbrechungen krönt das Ganze. Der von ihm überbaute Raum bildet in einer Länge von hundertsechs, einer Breite von fünfundvierzig und einer Höhe von achtzehn Fuß den luftigsten und weitesten Setzersaal, den diese viel geplagten Myrmidonen der modernen Journalistik[WS 1] sich nur zu wünschen vermögen. Die Dampfmaschinen endlich und die beiden mächtigen Sechs-Cylinder-Pressen, auf denen die kolossale Auflage des Blattes in den Stunden zwischen zwei und fünf Uhr des Morgens gedruckt wird, sind in den weit unter die Straße sich erstreckenden Räumen des unteren Kellers aufgestellt.

Die Einweihung und Beziehung des neuen Baues wurde in wirksamster Weise durch eine gleichzeitige Vergrößerung des Blattes gefeiert, welche dasselbe seitdem in den Stand gesetzt hat, in allem das rein Journalistische Betreffenden, das heißt in seiner Tagesbesprechungen-, Leitartikel- und Neuigkeitenabtheilung, mit den großen englischen Zeitungen gleichen Schritt zu halten. Das ist zweifellos eine große Errungenschaft und als solche ausdrücklich zu betonen und anzuerkennen. Zu gleicher Zeit berechtigt der Entwickelungsgang, den das Blatt bislang genommen, in ihr auch eine Bürgschaft dafür zu erblicken, daß endlich den literarischen und ästhetischen Anforderungen, die nothwendiger Weise an ein Unternehmen von so weitreichendem Einflusse und solchen Mitteln gestellt werden müssen, gleichfalls in einem Grade Rechnung getragen werde, wie ihn das in „Erfolg verpflichtet“ übersetzte Noblesse oblige heischt. Und nicht nur der Entwickelungsgang des Blattes, verschiedene nach


Hierzu eine Extrabeilage der Papierwäsche-Fabrik von Mey & Edlich in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Jounalistik
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_610.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)