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candirt starrten die Säulenreihen der symmetrischen Gebirgs-Etagen.“ – Da die Abbringung des „Tegetthoff“ von der Eisscholle unmöglich war, der Mangel an Proviant und der geschwächte Gesundheitszustand der Mannschaft aber eine Rückkehr nach Europa dringend erheischten, so wurde der Entschluß gefaßt, das Schiff zu verlassen und mit Schlitten und Booten die Heimkehr anzutreten.

Am 20. Mai 1874 wurde der „Tegetthoff“ seinem Schicksale überlassen, nachdem die Flaggen an seine Masten genagelt worden. Die Rückkehr in die Heimath begann. Die Ausrüstung war eine sehr karge. Niemand nahm mehr mit sich als die Kleidung, die er gerade trug, und eine Decke. Anfangs drei, dann vier Boote, auf Schlitten ruhend, drei große Schlitten mit Gepäck, Proviant, Munition etc. daneben – das war die ganze Karawane des Nordens. Am 14. August langten die Unverzagten an der Eisgrenze an und sahen den offenen Ocean vor sich. In der Dunenbai nahm der russische Schiffer Voronin die Schiffbrüchigen auf und führte sie nach Varolö in Norwegen, von wo sie in die Heimath zurückkehrten.

Das in kurzen Zügen die bekannten äußeren Schicksale der letzten österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition – ein äußerst reichhaltiger Stoff nicht nur für die nacherzählende Feder, sondern vielleicht noch mehr für den nachbildenden Stift. Der letztere ist gefunden. Der schon oben erwähnte Julius Payer, einer der Führer der Unternehmung und durch seine Theilnahme an zwei früheren Polarexpeditionen und seine Forschungen in der Hochalpenwelt längst bekannt, hat unter dem Titel „Die österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition 1872–1874“ soeben bei Bruckmann in München und Berlin und G. Capellen in Wien zwölf vortreffliche photographische Landschaftsbilder aus jenen höchsten arktischen Gegenden erscheinen lassen und denselben einen erläuternden Text, der uns bei Abfassung obiger Mittheilungen vorgelegen, beigefügt. Die beiden von uns wiedergegebenen Landschaften gehören zu den vorzüglichsten der Sammlung. Großartig ist der Gegenstand der einen – ein Schneesturm im Packeise während des Winters von 1873, eine Scene, welche im Leben unserer kühnen Nordpolfahrer nicht zu den Seltenheiten gehörte: zwei Männer verfolgen im fürchterlichsten Schneeorkan einen Eisbären, welcher einen Schiffshund fortgeschleppt hat. Die Naturstimmung dieses Bildes ist erhaben und in hohem Grade bezeichnend für den düsteren Charakter des Nordens. Auf der anderen Darstellung sehen wir (eine oben schon angedeutete Scene) die Mannschaft des „Tegetthoff“ das Schiff verlassen, um die Rückkehr in die Heimath anzutreten. Der wehmüthig ernste Augenblick, wo es hieß, den treuen Retter aus Noth und Tod, den sicheren Beschützer gegen all die harten Angriffe des rauhen nordischen Klimas, das schirmende und bergende Schiff zu verlassen, – dieser Augenblick war vielleicht der traurigste der ganzen Fahrt; ohne Frage war er der entscheidendste; denn es handelte sich nicht nur um die zweifelhafte Rettung des Lebens der viel umhergeschleuderten kühnen Seefahrer, es galt auch mit der Rettung der Männer selbst die Bergung der gesammten Resultate der Expedition. Mit welchen Gefühlen mochten die Tapferen von ihrem „Tegetthoff“ scheiden! Alles stand auf dem Spiele, und viel wahrscheinlicher als ein glückliches Umarmen von Weib und Kind in der fernen, sonnigen und warmen Heimath war den Verwegenen ein nasses Grab in der Nacht und dem Eise des Nordens. Der Moment ist anschaulich und lebhaft wiedergegeben und bringt eine der wichtigsten Episoden der Expedition mit greifbarer Lebenswahrheit zur Anschauung.

Zum Schlusse erübrigt uns noch, der trefflichen Ausführung rühmend zu gedenken, mit welcher der mit der höchsten Alpen- und Gletscherwelt vertraute Landschaftsmaler Adolf Obermüllner in Wien die nach den Skizzen Payer’s wiedergegebenen Landschaften hergestellt hat. Mit Recht rühmt Payer ihm in einem Briefe nach, daß er in seinen grandiosen Landschaftsbildern das feine künstlerische Empfinden mit treuer Wiedergabe der arktischen Natur habe zu vereinen gewußt.

Das Payer-Obermüllner’sche Prachtbilderwerk verdient seines interessanten Gegenstandes und seiner genialen Ausführung wegen den besten Landschaftswerken, die wir besitzen, beigezählt zu werden.

E. Z.

Erlösung der Last- und Omnibuspferde durch eherne Rosse. Mit keinem Dinge der Welt – es müßten denn die Kanonen sein – wird gegenwärtig mehr herumprobirt, als mit der Straßenlocomotive. Aus Nordamerika, dem Geburtslande derselben, kommen alle Wochen Nachrichten über neue Einrichtungen, aber auch in London, Edinburg und jüngst in Paris und Kopenhagen hat man bezügliche Probefahrten angestellt, die alle mehr oder weniger befriedigend ausfielen. Die meisten mit der Sache beschäftigten Erfinder sind darüber einig, daß die Straßenlocomotive keine Feuerung haben dürfe, und der Eine füllt deshalb ihren Unterleib – denn der Wagenraum dient als Omnibus – mit überhitzten Wasserdämpfen, der Andere mit zusammengepreßter Luft, ein Dritter mit zahlreichen gespannten Stahlfedern; ein Vierter will scharf erhitztes Oel und ein fünfter soeben aufgetauchter Mitbewerber (der Amerikaner Keely) sogar „kalten Dunst“ als Triebkraft anwenden. Die betreffende Kraftladung würde jedesmal an einer der beiden Endstationen aus einem dort befindlichen Dampfkessel entnommen, respective mittelst einer Dampfmaschine erzeugt, zusammengepreßt oder gespannt werden. Das geht in allen Fällen viel schneller als Umspannen, Füttern und Tränken der Pferde; die Maschine kann, da sie der Ruhe nicht bedarf, sofort ihre Stundenfahrt wieder beginnen. Die Meister des aufgespeicherten Dampfes, der comprimirten Luft und der gespannten Federn haben längst Proben von der Verwendbarkeit ihrer Erfindungen abgelegt, und Jeder von ihnen lobt natürlich sein System als das beste. Der Bändiger des überhitzten Dampfes führt an, daß er gleichzeitig im Winter die Wagen warm erhalte, der Luftverdichter, daß er im heißen Sommer kostenlos und herrlich die Wagen kühlen könne, der Federmann, daß bei ihm keine Kesselexplosionen eintreten könnten, der Entdecker des „kalten Dunstes“ verspricht einstweilen den Actionären seiner sehr heiß bezweifelten Erfindung goldene Berge. Auf alle Fälle sehr nachdenklich ist die Idee eines sechsten Erfinders, dessen Modell vor etlichen Wochen zu Paris seine ersten Probefahrten angestellt hat, des Ingenieurs Fortin Hermann, der sich nicht ohne Berechtigung gesagt hat: „Geht doch mit Eurer Unnatur! Wenn Ihr eine Zugmaschine haben wollt, so gebt ihr Füße und nicht Räder, die nur auf Schienen vorschriftsmäßig laufen und zu gleiten anfangen, sobald die angehängte Last im Verhältnisse zum Maschinengewichte nur mäßig groß wird oder sobald die Steigung des Weges ein wenig zunimmt.“ Es ist nämlich ein eigenes Ding mit der Reibung am Boden, welche die Räder bekanntlich zu vermindern bestimmt sind. Bei zu wenig Reibung geht’s schlecht, wie wir bei Glatteis merken, und bei zu vieler noch schlechter, wie wir im tiefen Sande verspüren. Herr Hermann construirte also ein ehernes Thier mit vier Gelenkfüßen, bekleidete deren Sohlen mit Guttaperchaplatten, um ihre Haftfähigkeit am Boden zu vermehren, und setzte diese Füße durch eine kleine Dampfmaschine in entsprechende Bewegung. Das eiserne Thier lief vortrefflich, konnte viel größere Lasten ziehen als eine gleichstarke Räderlocomotive, trabte auf Pflaster und Landweg gleich gut und erklomm Anhöhen, die eine Locomotive nur mit Zahnradbetrieb oder magnetischen Rädern und ähnlichen Vorrichtungen erstiegen hätte. Nur die Schnelligkeit ließ vorläufig zu wünschen übrig, denn das Dampfroß legte nicht mehr als eine Meile in der Stunde zurück, und das ist offenbar zu wenig. Inzwischen ist aber der Erfinder beschäftigt, seinen Vierfüßler in einen Sechsfüßler, vielleicht gar in ein Thier, das „hundert Gelenke zugleich regt“, zu verwandeln, und hofft von diesen Dampflaufkäfern und Dampfasseln, daß sie mindestens die dreifache Schnelligkeit erreichen werden als das Roß. Natürlich wird nichts hindern, diese Thiere ebenfalls mit überhitztem Dampf, eingepreßtem Wind, kaltem Dunst und ähnlichen Kraftextracten und comprimirten Futtersorten zu speisen, und wir sehen hier wieder einmal, daß wir mit unserem Beförderungswesen noch kaum aus den Kinderschuhen heraus sind. Wie ganz anders muß es aussehen, wenn auf so einer Zukunftsstraße eine sechsbeinige Postkutsche daher trabt und ein zwanzigbeiniger Omnibus, stolz wie eine Galeere, mit unzähligen Rudern durch die Straßen einer Großstadt rast!

C. St.

Ein religiöser Kartenspieler. Ein Soldat, Namens Richard Lee, wurde in Glasgow vor Gericht geladen, weil er während des Gottesdienstes Karten gespielt hatte. Der Vorgang war folgender:

Ein Sergeant hatte die Soldaten der Compagnie eben zur Kirche geführt. Der Geistliche verlas, wie üblich, die Gebete und den Text, wozu auch jene ihre Gebetbücher aufgeschlagen hatten und andächtig folgten; nur Lee legte anstatt des Buches ein Spiel Karten vor sich aus und betrachtete sie abwechselnd mit großer Aufmerksamkeit.

Der Sergeant traute seinen Augen kaum und flüsterte ihm zu:

„Richard, stecke die Karten ein! Hier ist nicht der Ort für solche Dinge.“

„Was schadet’s?“ sagte Lee und ließ sich nicht stören.

Als die Andacht beendigt war, trat ein Constabler auf ihn zu, erklärte ihm, daß er sein Gefangener sei, und brachte ihn vor den Mayor.

„Was hat der Mann begangen?“ fragte dieser den Constabler.

„Er hat in der Kirche Karten gespielt, Herr.“

„Was hast Du zu Deiner Vertheidigung zu sagen?“ fragte der Mayor den Soldaten.

„Sehr viel, mein Herr.“

„Das ist sehr gut, sonst wartet Deiner eine harte Strafe.“

Richard Lee: „Ich bin seit sechs Wochen auf dem Marsche, hatte kein Gebetbuch mit, aber ein Spiel Karten; diese brachte ich nun auch in die Kirche mit, und wenn Sie mich hören wollen, theile ich Ihnen mit, wie andächtig ich dabei gewesen bin.“ Er legte die Karten auf dem Tische auseinander und sagte: „Das Aß erinnert mich daran, daß es nur einen Gott giebt; die Zwei deutet auf den Vater und den Sohn. Bei der Drei denke ich an die heilige Dreieinigkeit. Wenn ich die Vier betrachte, erinnere ich mich der vier Evangelisten. Die Fünf ruft mir die fünf klugen Jungfrauen in’s Gedächtniß, die ihre Lampen schmückten; zwar waren deren zehn, aber nur fünf waren klug, die anderen waren thöricht und wurden abgethan. Bei der Sechs denke ich daran, wie Gott in sechs Tagen Himmel und Erde gemacht hat. Die Sieben sagt mir, daß Gott am siebenten Tage von seiner Arbeit ruhte und diesen Tag heiligte. Die Acht ruft mir die acht Gerechten in’s Gedächtniß, welche vor der Sündfluth gerettet wurden, nämlich Noah und sein Weib, seine drei Söhne und Schwiegertöchter. Bei der Neun denke ich an die neun Aussätzigen, die Christus heilte; es waren Undankbare, denn von zehn Geheilten kehrte nur einer zurück, seinem Wohlthäter zu danken. Bei der Zehn – woran könnte ich da anders denken, als an die heiligen zehn Gebote? Der König erinnert mich an den König des Himmels, die Königin an die Freundin Salomo’s, die eine weise Frau, wie er ein weiser Mann war. Als sie seinem Hofe einst einen Besuch machte, brachte sie in ihrem Gefolge fünfzig Knaben und fünfzig Mädchen, sämmtlich in Knabenkleidern, mit und stellte ihm die Aufgabe, die letzten von den ersten zu unterscheiden. Der König hieß einem Diener Wasser bringen und forderte die hundert Kinder auf sich zu waschen. Die Knaben benetzten die Hände knapp bis zum Handgelenk, während die Mädchen auch die Arme bis zum Ellenbogen geschäftig wuschen, wodurch die Aufgabe bald gelöst war. – Wenn ich nun sämmtliche Zeichen der Karten zusammenzähle, erhalte ich die Zahl 365, mithin die Tage eines Jahres.“

„Nun gut,“ sagte der Mayor lächelnd, „Du hast mir jede Karte bis auf eine erklärt –“

„Es fehlt nur noch eine, ich weiß es,“ rief der Soldat mit Eifer, „es ist der Bube. Wenn der Richter es nicht übel nimmt, will ich auch den noch bezeichnen.“

„Wenn Du mich damit nicht beleidigst, laß hören!“ sagte der Mayor.

„Der größte Bube, den ich kenne, ist der Mann, der mich herbrachte,“ sagte der Soldat mit einem ergrimmten Blicke nach der Thür, an welcher der Constabler stand.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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