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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


sie müßt’ sich anziehen und will heut’ recht lang dazu brauchen; ich soll Euch nur sagen, daß sie unter anderthalb Stunden nicht herunter kommt.“

„So lange kann ich freilich nicht warten,“ rief der Bader ärgerlich, „sie ist menschenscheu. Hm, ein auffallendes, ein bedenkliches Symptoma! Wird wohl nöthig sein, daß ich ein ander Mal wiederkomme und den visum rupertum einnehme.“

„Jetzt seid Ihr auf den rechten Tupfer gekommen,“ entgegnete rasch der Bauer. „Leutscheu ist sie und darum bin ich ihr auch nicht entgegen gewesen. Es hat mich ohnehin genug gewundert, daß sie mit auf die Hochzeit fahren will. Wenn ich ihr jetzt zureden wollt’, daß sie zu Euch herunterkommen sollt’, ich glaub’ sie wär’ im Stande und thät’ noch im letzten Augenblicke umsatteln, sperrt’ sich in ihre Kammer ein und blieb daheim.“

„Da will ich ja nicht aufhalten und mich auch wieder auf den Weg machen,“ sagte der Bader und schickte sich an, sein Gläschen auszuschlürfen. „Gute Unterhaltung brauch’ ich Euch nicht erst zu wünschen, denn bei der merkwürdige Hochzeit ist schon dafür gesorgt, daß es an Unterhaltung nicht fehlt.“

„Mir ist immer noch, als wenn’s nicht wahr wär’,“ rief der Bauer, indem er sich anschickte, seinem Gaste das Geleit zu geben, „es ist schon gar zu oft wieder zurückgegangen – ich glaub’s nit, bis ich die zwei mit einander vor’m Altare stehen seh’.“

„Nein, diesmal wird’s doch schon richtig werden,“ meinte der Bader, „diesmal haben sie’s ganz fest gemacht. Erst hat’s freilich geheißen, sie sind ganz auseinander, weil die Braut ohne den Bräutigam in die Stadt hinein gereist ist und einen Faschingstanz mitgemacht hat und weil der Bräutigam mit demselbigen Geometer eifert, der im vorigen Jahre auf Vermessung da gewesen ist. Ihr kennt ihn vielleicht auch; er ist immer ganz schwefelgelb angezogen, wie ein Canarienvogel. Da haben sie es ihm ausgedeutscht, daß ja der Vater auch mit auf dem Faschingstanz gewesen ist, und weil der Zachariesel seine Heimath schon verkauft hat und in das Mad’l verschossen ist, wie ein Narr, haben sie sich wieder zusammen gebandelt. Und damit das Bandel ganz gewiß nicht reißen kann, haben sie ausgemacht, daß heute die Hochzeit sein muß, und wenn sie nicht sein sollt’, so muß derjenige, der daran schuld ist, dem Andern zweitausend Gulden Reugeld zahlen – ergo!

„Das ist freilich ein anderes Kraut,“ rief der Schlösselbauer, „das Bandel wird wohl halten, bild’ ich mir ein. Ich will froh sein für den Grubenmüller, wenn er seine Tochter glücklich unter die Haube gebracht hat, ich sag’s, wenn man so ein Dirnl im Haus’ hat, da kann Ein’ sein Leben freuen.“

Die einmal angeschlagene Saite wollte nachklingen und ein paar benachbarte mitschwingen machen, da stand der Bauer plötzlich, wie von einem Zauberstabe berührt, mit offenem Munde still; auch der Bader hielt auf den Stufen des Antritts im Fortschreiten inne. Starr blickten Beide nach einem Fenster im oberen Stocke empor, das zwar geöffnet, aber durch Töpfe mit grüner Hauswurz und überwintertem Rosmarin verdeckt war.

Eine singende Mädchenstimme klang glockenhell in den Frühlingsmorgen hinein; was sie sang, war nicht verständlich, aber es war eine muntere Weise, die nur zu munteren Worten und Empfindungen stimmen konnte.

„Ja, wie geschieht mir denn eigentlich?“ sagte der Bauer unsicher, „das ist ja die Stimm’ von der Kuni – ich glaub’ gar, meinem Dirnl ist der Gesang wieder ’kommen … Bader, wenn das wär’, wenn da Dein Tränkl d’ran schuld wär’ – im Feuer lass’ ich Dich vergolden.“

„Was sollte es sonst sein,“ entgegnete der Bader stolz und ließ das Kinn abermals in die Halsbinde untertauchen. „Ich hab’ es ja gesagt: das Lachen wird noch kommen – ich kenne meinen extractus herbaricus, der ist unwiderstehlich … ergo –!“

Droben klang die singende Stimme fort; es war wirklich Kuni, welche so frisch sang, als habe sie selber Freude daran, daß der so lange gesungene Ton noch in alter Fülle vorhanden sei. Nicht die Beiden allein horchten darnach; auch der Schafbub’ sah in die Höhe und suchte, woher das Klingen komme; aus dem Kuhstalle aber guckte der Kopf einer Magd, die mit der Milchgelte in der Hand vom Melkstuhle aufgesprungen war. „Sie ist es wirklich,“ jubelte der Bauer, griff in die schon zum Hochzeitsbesuche gefüllte Tasche und drückte dem Bader in die Hand, was ihm eben selbst in die seinige kam. „Bader, Du bist ein Tausendsakra – da trink’ Dir einen Rausch und komm’ auch auf die Hochzeit! Der Schlösselbauer zahlt Alles.“

Er rannte in’s Haus und der Treppe zu, um sich auch durch den Anblick der Sängerin zu überzeugen, welch’ günstige Veränderung mit ihr vorgegangen sei. Der Bader trat seine Wanderung an, indem er die empfangenen Geldstücke prüfend in die Tasche gleite ließ. „Drei Kronenthaler,“ murmelte er vergnügt, „das ist nobel, aber mein extractus herbaricus, ist es auch. Ergo!

Dem Bauer wurde der Weg erspart, denn als er die Treppe erreichte, kam ihm Kuni schon auf den letzten Stufen entgegen, vollständig und in den höchsten Staat gekleidet, im reich mit Silberketten und Silbermünzen verschnürten Mieder, buntem Halstuch und zierlicher Spitzenschürze, auf dem Kopfe aber, statt des Pelzmützchens, einen Zweig von Rosmarin, gleich einem Kranze durch die lichtbraunen Flechten gezogen. Offenbar hatte sie ungewöhnliche Sorgfalt auf den Anzug verwendet: sie wollte schön sein, und sie war es auch, daß der Vater aus der ersten Verwunderung in eine zweite fiel und darüber die Hände zusammenschlug.

„Ja, Dirnl,“ rief er. „Was ist denn mit Dir? Was hast denn im Sinne? Du bist ja aufgeputzt, als wenn Du selber die Hochzeiterin wärst.“

„Ich wüßt’ nit, daß ich anders wär’ als sonst,“ entgegnete sie zurückhaltend, aber nicht unfreundlich, „wenn ich einmal eine Kranzeljungfer sein soll, so muß ich mich doch anlegen darnach.“

„Gewiß, gewiß,“ sagte er hastig, „ich möcht’ auch nit, daß Du es anders machen thätst. Aber das alte schwarze Betbuch, das Du in der Hand hast, schickt sich zu dem Gewand’, wie die Faust auf’s Aug’. Warum nimmst nit das schöne himmelblaue, silberbeschlagene, das ich Dir gekauft hab’?“

„Nein, nein,“ erwiderte Kuni und drückte das unscheinbare Buch an das prunkende Mieder, „das alte Buch ist von der Basl – das ist mir lieber als aller Geschmuck.“

„Da freut mich mein Leben,“ sagte er. „Wenn man’s nur weiß, daß man sich darnach richten kann. Aber wie ist es denn? Bist Du’s wirklich gewesen, die gesungen hat, oder hat mir geträumt? Ich hab’ schon den Ofen einschlagen wollen, hab’ mich aber gerad’ noch besonnen, weil man nie weiß, wie man mit Dir dran ist.“

„Warum fragst, Vater? Warum sollt’ ich nit gesungen haben?“ fragte sie entgegen, und ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Lippen und zeigte die Zähne dahinter.

„Ich glaub’, Du willst Deinen leiblichen Vater zum Narren haben,“ rief der Alte. „Warum Du nit gesungen haben sollst? Weil das etwas ganz Neues ist bei Dir und Du schon so lange nimmer gesungen hast, daß ich’s schier nimmer denk’ …“

„Hab’ ich nimmer gesungen, Vater?“ fuhr Kuni in derselben Weise fort. „Schau’, das weiß ich gar nicht, aber wenn Du es sagst, wird’s wohl so sein – dann wird mir halt nit singerisch um’s Herz gewesen sein.“

„Du bist wie ein Wetterfahn’l,“ entgegnete der Vater. „Aber meinetwegen! Ich bin schon zufrieden, weil Du nur wieder singst und nit mehr den Kopf hängen laßt, wie ein krank’s Hähn’l. Mehr verlang’ ich nit zu wissen um meine drei Kronthaler – der Bader hat seine Sach’ doch gut gemacht.“

„Der Bader, sagst? Dem hast Du drei Kronthaler gegeben? Ja, für was denn?“

„Für was denn – wie Du nur so in den Tag hinein reden kannst! Für was denn sonst als für die Medicin, für das Kräutertrank’l, das er Dir verschriebem hat.“

Das Lachen zuckte stärker um des Mädchens Mund. „Vater,“ sagte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter, „geh’ dem Bader wieder nach und laß Dir Deine drei Kronthaler wiedergeben! – Verschrieben hat er mir das Tränk’l wohl, aber – eingenommen hab’ ich’s nit.“

„Was? Nit eingenommen?“ rief der Alte verblüfft. „Hast Du mir nit versprochen …“

„Aber Vater, Du wirst doch nit im Ernste glauben, daß ich solches Zeug einnehm’? Ich hab’s zum Fenster hinaus geschütt’t. Hast nit gesehen, daß die Brennnesseln, die unten waren, alle abgestanden sind von dem Gifte?“

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