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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Schier, Reichel etc., ferner ganze Körbe voll Kreuzbandsendungen mit Preiscouranten und sonstigen Ankündigungen, endlich die Drucksachen der Buchhändler, sowie der wissenschaftlichen Corporationen und die zahlreichen Zeitungsnummern, welche nach allen Welttheilen gehen, liefern die lebensvollen Züge zu einem interessanten Cultur- und Verkehrsbilde der modernen Zeit, in dem alle Strahlen menschlicher Thätigkeit und Arbeit wirksam zur Geltung kommen.

Der Brief ist nach einem trefflichen Worte Stephan’s „das Schiff auf dem Ocean der Entfernungen“. Offenbar soll er daher einem wackeren Steuermann gleichen, der im Stande ist, mit voller Sicherheit in den Hafen zu lenken, für welchen er bestimmt wurde. Nun giebt es aber selbst in unserem aufgeklärten Jahrhundert immer noch gläubige Seelen, welche annehmen, daß die Post Alles wisse, selbst den Namen „nicht genannter“ Briefempfänger. Aufschriften, wie bei jenen Briefen, welche einem spanischen Kloster übergeben zu werden pflegen, und die Adresse „an die heilige Jungfrau“ tragen, sind im Grunde weniger unverständlich, als Briefe mit der Adresse: „an meinen lieben Sohn Franz bei der Artillerie in Berlin“, oder an den großen Unbekannten, „Herrn Müller, Friedrichsstraße“, und an „Mr. Smith in London“. Daß hiermit nicht bloße humoristische Einfälle eines guten Provinzialbewohners gemeint sind, beweist die große Zahl unanbringlicher Retourbriefe, welche die Post schließlich den Flammen opfern muß. Im Jahre 1874 wurden in England achtzehntausendsiebenhundert Briefe ohne jede Adresse zur Post gegeben; sie enthielten einundneunzigtausend Thaler an Wertheinlagen; aller Scharfsinn der Postbeamten des Dead Letter Office in London (des Retourbriefamts), das alle Sprachen der Welt einschließlich derjenigen der Papuas zu entziffern pflegt, blieb bei ihnen ohne Erfolg. Erwägt man, welche traurigen Folgen der Nichteingang eines Briefes nach sich ziehen kann, so wird man die Nothwendigkeit einer Vorschrift der neuesten deutschen Postordnung begreifen, es solle jeder Brief so adressirt sein, daß der Ungewißheit über die Person des rechtmäßigen Empfängers unbedingt vorgebeugt wird.

Diese Vorschrift beruht auf der Erfahrung von Jahrhunderten; denn die Postanstalt, welche im Hinblicke auf die Interessen des Staates und der Gesellschaft in allen civilisirten Ländern vom Staate verwaltet wird, hat im Laufe der Zeiten alle Mittel erprobt, welche ihr volle Wirksamkeit im Dienste der Culturbewegung sichern; sie ist demnach in der Lage, der öffentlichen Wohlfahrt hierbei die bewährtesten Handhaben zu bieten. Man wird also wohl thun, wenn man jene Vorschriften der Post genau erfüllt. Bei der Adressirung ist vor Allem die Person des Empfängers nach Namen, Vornamen, Beschäftigung oder Stand unzweifelhaft zu bezeichnen; sodann muß der Bestimmungsort und nöthigenfalls das Land, in dem er belegen ist, deutlich angegeben werden; bei gleichnamigen Orten, z. B. den zahllosen Friedlands, Neustadts, Neuenburgs etc., bedarf es der näheren Bezeichnung der Provinz etc. Handelt es sich um Briefe nach größeren Städten, so ist die Hinzufügung der Wohnungsangabe eine unerläßliche Bedingung für richtige und rechtzeitige Bestellung der Sendung.

Wohnt der Empfänger etwa in einem Orte ohne Postanstalt, so muß die Angabe des nächsten Postamts beigefügt werden. Bei Briefen nach Berlin, Wien und London ist ferner der Postbezirk zu bezeichnen, in welchem der Adressat wohnt. Muster zu Briefaufschriften sind folgende:

     Herrn Kaufmann Emil Berger
     Krausenstraße Nr. 20, II Treppen
     Berlin, W.
     frei.

oder:
     Herrn Conrad Köhler,
     zu erfragen bei dem Lehrer Herrmann,
     in
     Untermhaus
     bei Gera (Reuß jüngere Linie).
     frei.

oder:
     Mr. Davidson, Esquire,
     Essex road No 61
     London. Islington. N.
     England.
     paid.

Der Zusatz „England“ bei London ist nicht etwa entbehrlich, weil es z. B. auch in Nordamerika viele Orte Namens „London“ giebt. In Rücksicht auf das Vorkommen zahlreicher gleichnamiger Orte muß daher auf den nach Nordamerika bestimmten Briefen die Angabe der County (Grafschaft) hinzugefügt werden: z. B.

     New River,
     East Florida, United States.

Das Publicum ist sehr geneigt, diese Erfordernisse für eine lästige Form anzusehen, auf die kein Gewicht zu legen ist. Im Gegentheil; denn es handelt sich dabei um das eigenste Interesse des Briefschreibers wie des Empfängers. In Berlin werden täglich hundertfünfzig- bis zweihunderttausend Briefe etc., in Paris vierhunderttausend, in London sechshundertfünfzigtausend Briefe aufgegeben. Man muß eben nicht blos an den eigenen Brief denken, sondern an die Tausende, welche zusammenströmen.

Außer der genauen Adressirung ist auch die Verpackung und der Verschluß der Postsendungen von Bedeutung. Bei Päckereien wende man eine haltbare, der Weite des Transportes und der Natur des Inhaltes entsprechende Umhüllung an, bezeichne auch das Packet mit einer vollständigen Adresse, weil diese die Bestellung erleichtert. Bei Briefen mit Papiergeld hülle man letzteres sorgfältig in Papier ein, nehme starkes Papier zu den Briefumschlägen und drücke das Petschaft auf gutem Siegellack scharf und deutlich ab. Die Beachtung dieser Erfordernisse, verbunden mit den Maßregeln der Postverwaltung, welche jede Werthsendung genau wiegen und von Postanstalt zu Postanstalt gegen Empfangsbescheinigung genau nachweisen läßt, sichert das Publicum vor Verlusten, welche bei einem so riesigen Geldumsatz, wie ihn die Post alljährlich in Höhe vieler Millionen vermittelt, fast unvermeidlich sind.

Besonderes Interesse verdient der Stadtpostbetrieb in großen Städten. Die erste Stadtpost wurde 1653 von dem maître des requêtes (Bittschriftenmeister) Valayer in Paris errichtet. Die Pariser Salons, damals der Brennpunkt einer scharf ausgesprochenen Geistesbewegung der französischen Nation, waren der Schauplatz, auf dem die Raketenfeuer des Esprit sprühten, von dem jene Zeit ihr geistiges Gepräge empfing. Gelehrte, Hofleute und Künstler wetteiferten mit geistreichen Frauen in dem eifrigen Streben, Frankreich auf allen Gebieten den Vorrang zu sichern. Das Postwesen litt damals indeß noch an den schwerfälligen Einrichtungen des Mittelalters, und es war für die Ausspinnung zarter Intriguen gewiß wenig Romantik bei der Briefbeförderung zu finden, da jeder Brief an den Postbeamten unmittelbar eingeliefert und baar bezahlt werden mußte. Frau von Longueville nun wußte Rath und erfand ein Mittel, den Absender mit undurchdringlichem Geheimnisse zu umhüllen: sie bewog den Minister Fouquet, die Frankirung der Briefe mittelst kleiner Zettel zuzulassen, welche die Bezeichnung port payé (Porto bezahlt) trugen und von dem maître des requêtes und seinen Leuten feilgehalten wurden. Es ist dies der Ursprung der heutigen Briefmarken. In der Revolutionszeit verschwanden auch die Marken der Frau von Longueville; sie mußten deshalb in der jetzigen Form 1840 in England noch einmal erfunden werden.

Berlin besaß zu Anfang unseres Jahrhunderts bereits eine Stadtpost, die von der Kaufmannsgilde errichtet war und Briefe auf den Straßen unter Läuten mit einer Glocke einsammelte, sich aber bald als unzureichend erwies und einging. Die jetzige Berliner Stadtpost ist eine wohleingerichtete Anstalt, die den Blutumlauf eines gewaltigen Verkehrskörpers vermittelt. Von diesem Mittelpunkte laufen allstündlich Briefposten nach allen Filial-Postämtern der Reichshauptstadt aus. Ebenso treffen stündlich Briefwagen von den fünfzig Filialen bei dem Stadtpostamte ein; man kann daher in zwei Stunden von jedem Punkte Berlins Nachrichten absenden und darauf Antwort empfangen. Die vierhundert Briefkasten Berlins werden halbstündlich geleert.

In dem großen Sortirsaal der Stadtpost strömen alle in Berlin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_575.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)