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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Brief von Palembang und Batavia mit dem letzten Preiscourant von Javakaffee und Molukkengewürzen!“ – Umsonst strengt der erste Buchhalter sein Gehirn an, die fehlenden Postnachrichten durch Lösung der drei unbekannten Größen in der Kaffeegleichung zu ersetzen. Umsonst machen die „jungen Leute“ des von Sweert’schen Geschäfts in den großen Contobüchern, an deren Spitze das „Mit Gott“ steht, waghalsige Rechnungsversuche. Verlorene Liebesmühe! Längst haben die Lehrlinge mit dem feinen Spürsinn der Jugend erkannt, daß „keine Post da ist“, und daß ihnen heute ein unerwartetes, mithin um so köstlicheres Nichtsthun winke. Während aber diesen hoffnungsvollen Jüngern des Mercur das Glück lächelt, seufzt vielleicht im Nebenhause eine Mutter in bangem Schmerze; denn das Ausbleiben der Post raubt ihr heute die nach langem Harren sicher erwartete Nachricht von dem Sohne, den die weite Welt jenseits der großen Wasserwüste neidisch zurückhält.

So grenzen die Gegensätze im Leben nahe an einander. Dieselbe Post bringt dem Einen Glück und Freude, dem Andern herbes Weh. Von Allen aber werden die Briefe, diese flüchtigen Boten der Ferne, mit gleicher Sehnsucht erwartet.

Längst im Besitze der Vortheile, welche ein wohlgeordnetes Postwesen für die vielverzweigten Beziehungen der Menschheit darbietet, denken wir bei der süßen Gewohnheit des Daseins wenig daran, mit welchen Mitteln die Post den gewaltigen Andrang der Briefe täglich zu bezwingen und die Massen in die rechten Bahnen zu lenken versteht, jenen Strom: –

„Von Sturz zu Sturzen wälzt er, jetzt in tausend,
Dann abertausend Ströme sich ergießend,
Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.“

Fürwahr, es ist ein Stück Sisyphus-Arbeit, diese Fluthen täglich zu dämmen, sie fort und fort zu ebnen und zu leiten. Bewegen sich doch, nach Stephan’s Untersuchungen, in jeder Minute 1400 Postsendungen innerhalb Deutschlands und 10 Millionen Briefe täglich innerhalb Europas, von dessen Bewohnern je der einundvierzigste täglich einen Brief schreibt. Alle diese Boten, welche „gleich dem Genius des Märchens weder Tag noch Nacht scheuend“, den Erdball umkreisen, müssen nach bestimmten Gesetzen auf vorgeschriebener Bahn befördert werden; ihr Weg muß im Voraus bestimmt sein, gleichviel ob sie nach den Palästen der Hauptstädte oder nach der einsamen Farm im Westen der „großen Gewässer“ gerichtet sind. Solche Leistungen im Dienste der Menschheit sind bewundernswerth. Es verlohnt sich daher wohl der Mühe, den Betrieb der Post, das Walten der Kräfte, welchen dieses Ergebniß zu danken ist, näher zu betrachten.

Die Einrichtung der Post läßt sich nach der Art ihrer Wirksamkeit in einen verwaltenden und einen ausübenden Körper trennen. An der Spitze der Verwaltung steht das von dem General-Postdirector geleitete kaiserliche General-Postamt in Berlin, dem für den Verwaltungsdienst in den einzelnen deutschen Gauen Provinzial-Behörden zugetheilt sind: die kaiserlichen Ober-Postdirectionen. Die eigentlichen Betriebsstellen für den Postdienst bilden die Postanstalten (Postämter, -Verwaltungen, -Expeditionen und -Agenturen). Diese Gliederung ist eine sehr glückliche und wirksame; denn sie sichert den Maßregeln der obersten Postbehörde überall eine verständnißvolle Ausführung; sie ermöglicht, ohne die Centralstelle mit ermüdenden Einzelheiten zu belasten, den leitenden Kräften jeder Zeit eine genaue Einsicht in die stets wechselnden Bedürfnisse des Verkehrs, und sie durchdringt zugleich die ausübenden Organe mit dem Geiste thatkräftigen Fortschritts, welcher nirgends nothwendiger ist als im Postwesen.

Wandeln wir eine der Hauptverkehrsadern Berlins, die Leipzigerstraße, nach Osten hinauf, so bemerken wir eine prächtige Façade im Renaissancestil Palladio’s: sie gehört dem neuen General-Postamtsgebäude an, das eine der architektonischen Zierden der Residenz bildet. Der Geschäftsumfang des General-Postamts hat sich mit der Entwickelung der politischen Selbstständigkeit Deutschlands in überraschendem Maße erweitert. Hierüber geben folgende Ziffern Aufschluß:

Quadrat- Einwohner Post-
meilen anstalten
Es betrug der Umfang der
preußischen Post 1864 5057 19,810,408 2501
sie erweiterte sich bei der nord-
deutschen Bundespost 1868 auf 7539 30,476,036 4340
Dagegen umfaßt die deutsche
deutschen Reichspost 1875 8156 34,343,055 6000

In diesem geschichtlich bedeutsamen Jahrzehnt hat die Deutsche Post eine vollständig andere Gestalt gewonnen. An die Stelle einer dem wirthschaftlichen Gedeihen der Nation überaus hinderlichen Vielköpfigkeit von 17 besonderen Postverwaltungen, wie sie trostloser in keinem anderen Lande der Welt bestand, ist endlich die Einheit dieser Verkehrsanstalt getreten. Ein einheitliches Postgesetz, ein einheitlicher Tarif gelten gegenwärtig in ganz Deutschland von Memel bis Passau; dem Auslande gegenüber ist nur ein deutsches Postgebiet zu vertreten. Allerdings bestehen noch zwei besondere süddeutsche Postverwaltungen, die von Baiern und Württemberg, neben der Reichspost zu Recht; die deutsche Nation darf aber die Hoffnung hegen, daß diese Eigenthümlichkeiten aus demselben Einheitsstreben, welches Preußen, Sachsen, Oldenburg, Baden etc. zum Aufgeben ihrer Territorial-Postverwaltungen veranlaßte, allmählich werden beseitigt werden.

Das Personal des General-Postamtes ist bedeutender als dasjenige mancher Ministerien eines großen Staates; es beläuft sich auf mehr als hundertsiebenzig Beamte. Zwölf vortragende Räthe haben die Bearbeitung der verschiedenen Dienstzweige wahrzunehmen, deren Umfang bereits eine Trennung des General-Postamts in zwei Abtheilungen, in die technische Abtheilung und diejenige für das Etats- sowie das Cassenwesen, nöthig gemacht hat. In dem Rahmen dieser Abtheilungen sind die einzelnen Büreaus eingefügt, unter welchen wir als die wichtigsten das Directorialbüreau, das Rechnungsdepartement, das Coursbüreau, das Auslands-Departement, das Bau- und Feldpostdepartement, das Büreau für Personalien, das Abrechnungsbüreau mit dem Auslande, das Büreau für Postfuhrwesen und technischen Dienst, endlich das Büreau für Statistik, sowie die Canzlei und Registratur hervorheben. Im General-Postamte werden alle auf das Postwesen bezüglichen Gesetzentwürfe vorbereitet, die Grundlagen für die Verwaltung und den Betrieb, die principiellen Tariffragen, sowie die Personalverhältnisse geordnet. Das gesammte Courssystem, das Feldpost- und das Bauwesen erhalten hier ihre Regelung; ebenso wird das jährliche Budget der Postverwaltung, das gegenwärtig hundertundzwanzig Millionen Mark übersteigt, bei der Centralbehörde aufgestellt; außerdem hat das General-Postamt die Regelung der Postbeziehungen mit dem Auslande wahrzunehmen.

Wir wenden uns nunmehr zu den eigentlichen Postbetriebsstellen, „dem Oel vor die ganze Staatsmaschine“, wie sich König Friedrich Wilhelm I. treffend ausdrückte. Die Postanstalten lassen sich in stabile und mobile eintheilen. Erstere vermitteln den postalischen Verkehr ihres Wohnsitzes und des Umkreises; die mobilen Postämter dagegen besorgen den Postdienst auf den Eisenbahnen und Dampfschiffen. Der Betrieb der stabilen Postämter ist nach den Gruppen des Annahme-, Absendungs- und Empfangsgeschäfts geordnet. Betreten wir einmal eine der bedeutendsten Postannahmestellen, die Halle der Briefannahme in der Spandauerstraße zu Berlin. Der Grundsatz der Arbeitstheilung muß bei den großen Postämtern die Bewältigung der Massen erleichtern; deshalb zählt das Hofpostamt in Berlin allein sechs Annahmestellen, nämlich solche für Briefe, Einschreibbriefe, Sendungen mit Werthangabe, Päckereien, Postanweisungen, Zeitungsbestellungen u. s w. Die Briefannahme ist von acht Uhr Morgens bis acht Uhr Abends ununterbrochen geöffnet; vor ihren vier Schaltern drängt sich stets eine geschäftige Menge. Außer den Behörden der Königsstadt, namentlich dem Criminalgerichte, dem Stadtgerichte, Polizeipräsidium und dem Magistrate, benutzen vorzugsweise die Börse und die Geschäftshäuser der City von Berlin in der Königs-, Spandauer- und Heiligen Geiststraße diese Annahmestelle. Wenn die Steuerveranlagung erfolgt, sind drei- bis viertausend Briefe täglich vom Magistrate allein nichts Seltenes; Hunderte von Einschreibbriefen der Börsengrößen: Bleichröder, Discontogesellschaft, Mendelssohn, Warschauer etc., zahlreiche, meist überseeische Correspondenzen von Hardt und Co., Köppen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_574.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)