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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Vauban stellte ihm schon nach zwei Jahren Neubreisach mit dem Fort Mortier her. Nur vier Jahre darnach benutzte der König den Spanischen Erbfolgekrieg, um sich auch Altbreisachs auf’s Neue und zwar durch einen Handstreich zu bemächtigen. Die Grafen Arco und Marsigli, die Befehlshaber des reich verproviantirten und stark besetzten Platzes, übergaben aus Feigheit und Schurkerei ihn ohne jeden Vertheidigungsversuch. Ein Kriegsgericht unter dem alten Feldmarschall Hans von Thüngen gab zwar beiden ihren Lohn: Graf Arco ward in Bregenz enthauptet und dem öffentlich geschändeten Marsigli zerbrach der Henker den Degen; aber Breisach blieb wieder französisch, bis abermals ein Friede, der Rastadter von 1714, es an das Haus Oesterreich zurückbrachte.

Auch der „Oesterreichische Erbfolgekrieg“ wurde durch den Reichshofkriegsrath der Kaiserin Maria Theresia so unglücklich geführt, daß Breisach abermals in die Gewalt der Franzosen kam. Weil aber diese geringe Aussicht hatten, die Festung für Frankreich zu erhalten, so trieben sie hier ihr Zerstörungswerk mit ebenso viel Vergnügen als Gründlichkeit, selbst den alten Schloßthurm des Herzogs Berthold verschonte diesmal die Verwüstungswuth nicht; er wurde durch Pulver zerrissen; die Trümmer benutzten die Breisacher selbst später als eine Art Steinbruch und machten sie dem Boden gleich.

Durch den Aachener Frieden (1748) wiederum den Oesterreichern zurückgegeben, lag es nun da, die Häusertrümmer der unteren Stadt zwischen den Mauertrümmern der oberen, ein Bild der vollendetsten Wehrlosigkeit. Langsam erstanden neue Wohnungen zwischen den öden Brandmauern. Frisches Grün brach zwischen den Trümmern hervor, und auch das umliegende Land, wo alles Baumwerk verpachtet war, schmückte sich wieder mit Anpflanzungen. – Da brauste die neue französische Freiheit mit der Marseillaise heran; aber selbst der Segen der großen französischen Revolution verwandelte sich, als der wilde Geist von 1793 losbrach, für das deutsche Grenzland in den Fluch neuer Verwüstungen.

Was damals, am fünfzehnten September jenes Jahres, von den Franzosen gegen Breisach verbrochen wurde, verdient eine ewige Schandsäule. Das Fort Mortier beging seine einzige Kriegsthat: von einer Reihe von Batterien unterstützt, verwandelte es die kaum aus den Trümmern entstandene, offene, wehrlose und unbesetzte Stadt, und zwar den unteren wie den oberen Theil derselben durch eine furchtbare Kanonade in einen Aschenhaufen. Drei Jahre später kamen die Franzosen wieder und besetzten den Platz, auf dem zwischen den Brandstätten, den Zeugen ihrer ruchlosen That, wieder einzelne Häuserreihen gebaut waren. Die Franzosen beeilten sich, die schon so oft zerstörten Befestigungen nothdürftig wieder herzustellen, und ebenso wurde das umliegende Land wieder bepflanzt und bebaut. Aber länger als drei Jahre duldete das Schicksal auch dieses stille Glück nicht: diesmal waren es die Oesterreicher, welche Breisach im Winter von 1799 auf 1800 einer Blokade unterwarfen und während derselben wirklich das Unglaubliche leisteten, in der weiten Umgegend alles kaum dem Boden neu Entsprossene völlig wieder zu vernichten. Das armselige Häuser- und Ruinengewirre, das damals den Namen „Breisach“ forterhielt, kann nach noch mehrfachem Besitzerwechsel endlich im Preßburger Frieden an Baden, dessen Schicksale es seitdem getheilt hat. Daß im großen deutschen Jahre 1870 von Altbreisach aus das Fort Mortier vom zweiten bis sechsten November beschossen, zerstört und zur Capitulation gezwungen worden ist, wollen wir nicht als eine Vergeltung für 1793 bezeichnen: ist doch der Rhein nicht mehr die Feindesgrenze, sondern das Band, welches gewaltsam getrennte Volksgenossen nun für immer verbindet.

Aber nicht blos die Vergangenheit, auch die Gegenwart zieht uns zu Breisach hin: es ist die Stätte der Ehre für ein Werk und einen Mann, welche Beide im übrigen Deutschland noch zu wenig bekannt und doch für jeden Reisenden am Oberrhein der Beachtung so werth sind. Blicken wir nämlich vom Rheinstrome aus zum malerischen Stadtbilde hinüber, so treten drei Denkmäler verschiedenster Zeiten, zwei alte, schon genannte, und ein neues, uns vor Augen: als ein Denkmal alter deutscher Festigkeit und Treue die Münsterkirche (der Hauptgegenstand unserer Abbildung mit dem Hintergrunde: Rhein und Vogesen), als Denkmal französischen Uebermuthes das Rheinthor, als jüngstes Denkmal aber der Tullathurm, auf dem Schloßberge von Breisach, und zwar aus dem Grunde jenes alten Herzog-Bertholds-Thurmes, „dem Bändiger des wilden Rheins“, wie die Inschrift verkündet, dem Obersten Tulla zu Ehren erhöht.

Je weiter vom Rheine ostwärts „im Reiche“, desto weniger wußte man in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts von einer Rheinlands-Calamität, die den dortigen Wohlstand mit steigender Schädigung bedrohte. Die zahllosen sogenannten Kehlen, Giesen und Altrheine, welche die Strömung des Rheines mit endlosen Krümmungen aufhielten und die Fahrtstrecke um mehr als ein Viertheil des Weges verlängerten, versumpften zugleich das anliegende Gelände, und die stehenden Wasser und Sümpfe erzeugten eine Fieberluft, deren Einwirkung auf die Uferbewohner immer weiter um sich griff.

Hier mußte geholfen werden, und der rechte Helfer fand sich in Johann Gottfried Tulla. Ein Pfarrerssohn aus Nöttingen bei Pfalzheim, hatte Tulla sich zum Geometer und Ingenieur ausgebildet, und schon 1807, als dreiunddreißigjähriger Mann, mit dem Range eines Hauptmanns und Oberingenieurs die Leitung des Rhein- und inneren Flußbaues überkommen. Aber erst nachdem er bei den Corrections- und Austrockungsarbeiten an der Linth und am Wallenstädtersee ganz Außerordentliches, von der schweizerischen Tagsatzung öffentlich Anerkanntes geleistet hatte und in Baden zum Oberdirector des Wasser- und Straßenbauwesens mit Oberstenrang erhoben war, entwarf er den großen Plan zur Rectification des ganzen Oberrheins und begann in Gemeinschaft mit den staatlich dazu bestellten Technikern von Frankreich und Baiern die Ausführung desselben. Dies Alles ging nicht so glatt ab, wie wir es jetzt hier niederschreiben, denn, abgesehen von den verschiedenartigsten Gegnern des Unternehmens im In- und Auslande, waren vor fünfzig bis sechszig Jahren auch die Staatsmittel noch sehr dürftig zugemessen, so daß Tulla erst nach vielen Kämpfen und Anfechtungen das kühne Werk in’s Leben setzen konnte. Und wenn er selbst die Vollendung desselben nicht erlebte, – denn er starb schon am 27. März 1828, sieben Tage nach seinem achtundfünfzigsten Geburtstage, an den Folgen einer chirurgischen Operation in Paris –, so ist es doch das Werk seines Geistes, welches seit 1872 in seiner Vollendung vor uns steht und folgende Berechnungen ermöglicht. Die Kosten der Rhein-Rectification für Baden allein betrugen einundzwanzig Millionen Gulden. Dagegen ist schon der Werth des durch die Rectification des Rheinufers gewonnenen guten Landes auf jedem Ufer zu fast sechsthalb Millionen und der des nun vor Ueberschwemmung und Versumpfung und dadurch für bessere Cultivirung geretteten Bodens wiederum für beide Ufer auf je fünfzehn Millionen Gulden anzuschlagen. Daß aber dadurch, daß der Rhein den Weg von Basel bis Hessen, statt wie früher in achtzig, jetzt in sechszig Stunden zurücklegt und keine Altrheine und Sümpfe mehr bildet, die Fieberkrankheiten verschwunden sind und Gesundheit und Wohlstand zugleich sich in all den Rheingemeinden befestigen, wie viele Millionen ist dies werth?

Besteigen wir den Tullathurm, dem Manne zu Ehren. Von der fünfzig Fuß hohen Warte breitet ein herrliches Rundgemälde sich vor uns aus: eine große Strecke des regulirten Rheines auf- und abwärts, die prächtigen Auen des Breisgaues und des Elsaß, die schönen Thäler und Berge des Kaiserstuhles, des Schwarzwaldes und der Vogesen bis zu den Eisbergen der Schweizeralpen. – Bis auf die letztere – und das ist das lohnendste Hochgefühl auf dieser Ehrenwarte von Breisach – bis auf diese letztere ist jetzt Alles, was und so weit wir ringsum sehen, deutsches Land und Gebiet eines Reiches, das seine Schlüssel nimmermehr so arg verwahrlosen und so oft zerbrechen läßt, wie dies dem an Unglück und Ehren gleich reichen „Kissen und Schlüssel des heiligen römischen Reichs“, dem alten Breisach, widerfahren ist.

Möge ebenso der Liebreiz des Ortes selbst und seiner Umgebung wie die Theilnahme für das ungeheure Schicksal dieser deutschen Stadt ihr recht viele Gäste und Liebhaber zuführen, die endlich die Brandstätten der Kriege zudecken mit Wohnungen und Herden eines neuen hoffnungsreichen Lebens!

H. v. C.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_571.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)