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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Jesus Maria, halt mich, halt mich!“ kreischte sie voll Entsetzen auf, „ich versink’.“

Die Gefahr war groß, aber im entscheidenden Augenblicke hatte Sylvest sie bereits an sich gerissen und mit kühnem Sprunge den Balken des Thürgerüsts erreicht, der noch für einige Zeit einen festen Stützpunkt versprach. „Nicht eher, als bis ich selber versink’,“ rief er mit mächtiger Stimme; „halt Dich an mich, Kuni! Ich laß’ Dich nit.“

Es hatte der Aufforderung nicht bedurft; mit der letzten Kraft hatte sie sich an ihn geklammert und hing nun bewußtlos an der Brust des Feindes, als gäbe es keine Stätte, wo sie sicherer ruhen könnte; mit starkem Arme schloß er die Feindin an sich, sie gegen die wüthenden Elemente zu vertheidigen, wie sein kostbarstes Kleinod.

Eine grauenvolle Viertelstunde verrann.

(Fortsetzung folgt.)




Ein alter Reichs-Schlüssel und ein neuer Rhein-Bändiger.


Zu den Städten am Rhein, welche der französischen Nachbarschaft eine lange Reihe schwerer Prüfungen verdanken, gehört auch das alte Breisach. Ein solches Stadtschicksal ist es werth, dem gegenwärtigen Geschlechte einmal in raschen, großen Zügen vorgeführt zu werden. Wir brauchen dazu nicht bis in die Tage zurückzugehen, wo Julius Cäsar auf dem Mons Brisiacus einen festen Sitz der Sequaner vorfand; wir können sogar hinsichtlich der mittelalterischen Geschichte der Stadt nur hinweisen auf die glänzende Zeit unter den Zähringer Herzögen, unter denen sie zum stärksten Bollwerk und zur ersten Stadt des Breisgaus erhoben wurde, und auf ihre harten Kämpfe gegen den Herzog Karl von Burgund und seinen schlimmen Statthalter Hagenbach, und beschränken uns hier auf die Geschichte der Stadt seit den letzten dritthalbhundert Jahren.


Breisach am Rhein vom Eggersberg aus.
Nach einer Photographie.


Es giebt von Breisach ein Bild aus dem Jahre 1778. Auf demselben erheben sich über dem achthalbhundert Fuß hohen Basaltrücken der Altstadt etwa acht bis neun Kirch-, Befestigungs- und andere Thürme über einer Reihe hochgiebeliger Gebäude von stattlichem Ansehen; als die imposantesten Bauwerke erscheinen am Südende der Bergstadt das zweithürmige St. Stephansmünster und in der Mitte der Nordhälfte derselben der riesige, wenn auch arg zertrümmert der Zeit trotzende Schloßthurm, beide von den Zähringer Herzogen im dreizehnten Jahrhunderte gebaut. Im Süden der Stadt erhob sich damals noch auf etwas niedrigerem Felsen das sehr feste Schloß Eggersberg, und im Norden trug der Eisenberg ein Vorwerk. Stellen wir daneben das Stadtbild der Gegenwart, so suchen wir nicht blos dieses Vorwerk und Schloß vor der Stadt, sondern auch, das Münster allein ausgenommen, alle Thürme und viele Hochgiebel des alten Breisach vergeblich; wir sehen mit einem Blicke, welch furchtbaren Zerstörungen der alte Reichsschlüssel noch in der neuern Zeit ausgesetzt war, und wenden mit um so mehr Theilnahme uns seiner Vergangenheit zu.

Der Kampf gegen Burgund war der schwere Abschied Breisachs vom Mittelalter gewesen. Land und Stadt genossen eines lange entbehrten Friedens, das Land, um aus den Verwüstungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_569.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)