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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Grund dieses Kommens anzuspielen, auf die Absicht, sich die Erbschaft zu sichern. Als Kuni das mit allem Ausdruck der unbefangensten Wahrheit verneinte, sah sie dieselbe zweifelnd und mit dem ungläubigen Spottlachen eines Gemüthes an, das sich vereist hat, um überall nur Absicht zu erkennen; als die Sache öfter besprochen wurde und Kuni immer gleich ruhig und gleich entschieden dabei blieb, daß sie von ihr nichts wolle und daß auch der Vater meine, sie solle ihr Vermögen den Verwandten ihres Mannes zuwenden, von dem es doch zumeist herstamme, da verfehlte Kuni’s freundlich friedliches Wesen auch hier seine Wirkung nicht, und mit steigendem Gefallen betrachtete die Alte, wie sie, die Geschäfte in Haus und Wirthschaft besorgend, emsig und doch gelassen aus und ein ging, ihr mit der Sicherheit des Verständnisses darüber berichtete und ohne Widerrede daran ging, ihre Anordnungen auszuführen. Sie sprach nicht darüber, aber sie ward ruhiger und nach einigen Tagen hatte es den Anschein, als ob durch die Ruhe des Gemüths auch die Kraft des Körpers sich wieder zu steigern beginne. Dennoch erwies die Hoffnung sich bald wieder als trügerisch.

Der morsche Bau war zu sehr im Grunde erschüttert und innere Unruhe kehrte wieder. Der Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tage, und schon zwängte sich der Zeuge des Lebens, der Athem, keuchend durch die starren Luftwege, die sich schon für immer zu schließen begannen.

Wohl war nach dem gläubigen Sinne des Landvolkes der Pfarrer gerufen worden, um die letzten Tröstungen zu spenden. Die durch seinen Zuspruch eingetretene Beruhigung währte nicht lange: die erhitzte Einbildungskraft war stärker als der kalt prüfende Gedanke.

Es dunkelte stark in der niedrigen, ganz aus Balken gefügten Stube. Diese Balken waren gleich der Decke vor Alter schwarzbraun geworden und dämpften dadurch das wenige Licht, dem die kleinen Scheiben des kleinen Fensters Eingang gestatteten, vollends zu tiefer Dämmerung ab. Kuni saß am Bette der Kranken, die einen Augenblick in schlummerhafte Betäubung versunken war, aber die Hand ihrer Wärterin gefaßt hatte und fest hielt, wie um sich ihrer Anwesenheit zu versichern. Geräusch von nahenden Tritten und leises Gespräch vor der Thür machten Kuni aufhorchen. Ihre Bewegung weckte auch die Base aus dem Schlafe; auf Kuni’s Ruf öffnete sich die Thür; eine Magd trat ein und brachte die Nachricht, daß ein Mann gekommen, der Botschaft vom Schlösselbauernhofe bringe. Die Kranke ließ Kuni, die sich erheben wollte, nicht los: „Bleib’ bei mir, Kuni!“ sagte sie angstvoll, „ich laß Dich nicht los. Du mußt bei mir bleiben. Ich kann mir’s wohl denken, was es mit der Botschaft ist. Dein Vater wird Dich daheim haben wollen – aber Du darfst nicht fort. Du mußt bei mir bleiben, bis ich wieder gesund bin.“

„Ich bleib’, Bas’l,“ entgegnete das Mädchen, „ängstigt Euch nicht! Ich bleib’ bei Euch, bis Ihr wieder gesund seid … wenn nur dem Vater nichts zugestoßen ist.“

Zur Beruhigung der Kranken mußte der Bote in die Stube treten und berichtete, der Schlösselbauer sei gesund und wohlauf, aber es gebe so viel zu schaffen, daß er die Tochter nicht länger entrathen könne. In drei Tagen werde er daher das Fuhrwerk schicken, um sie abzuholen.

Kuni war kaum im Stande, die Aufregung der Kranken zu beschwichtigen; es gelang nur allmählich, indem sie versprach, gleich am andern Morgen hinwider einen Boten auf den Schlösselhof zu senden, der den Vater beruhige und aufkläre. „Ich selber will Euch nicht verlassen, Bas’l,“ setzte sie herzlich hinzu, „ich will bei Euch bleiben, bis Ihr wieder gesund seid oder bis Ihr mich selber nicht mehr aufhaltet.“

„Bis ich gesund bin, Kuni,“ sagte die Kranke hastig; „hab’ nur noch eine kleine Geduld! Ich werd’ Dir die Zeit nicht gar zu lang’ machen … ich mein’, es geht mir mit Riesenschritten besser; der Fuß thut mir fast gar nicht mehr weh, und auf der Brust ist mir auf einmal völlig leicht. Morgen will ich das Aufstehn probiren, vielleicht fahr’ ich in ein paar Tagen gleich mit Dir zum Schwager.“

„Habt keine Sorg’,“ sagte der Bote leise zu Kuni, die ihn bis an die Thür geleitet hatte, „die fahrt mit Niemand mehr, als mit dem Beiner-Steffel auf den Freithof – die macht’s noch heute Nacht gar.“

Auf’s Tiefste erschüttert, kehrte das Mädchen an’s Lager zurück; sie war in ihrem Leben noch an keinem Sterbebette gestanden. In ihrer jugendlichen Unerfahrenheit hatte sie immer noch ab und zu Hoffnung gefaßt. Die Gewißheit, vor einer Sterbenden zu stehen und dem Tode unmittelbar in’s Angesicht zu schauen, stieg wie Nachtgewölk vor ihr auf und warf einen dunklen Schatten weit voraus in ihr eigenes Leben, das ja auch dem gleichen Ausgange zueilte; sie brach unwillkürlich in Thränen aus. Die Kranke setzte diese Rührung ganz auf Rechnung der Theilnahme, die sie ihr schenkte. Sie faßte wieder ihre Hand, drückte sie und sagte mühsam: „Wein’ nicht so um mich! Ich hab’s gerad’ nit verdient um Dich, aber Du gerathest halt Deiner Mutter selig nach, die ist auch so gut gewesen, hat immer gleich die Augen voll Wasser gehabt und hat keinem Menschen feind sein können, nicht um Alles in der Welt. Ich will Dir’s aber nit vergessen, Kuni. Du sollst Alles haben, was mir gehört; wie ich wieder aufkomme, mach’ ich’s gleich richtig, daß Alles Dir gehört und keinem andern Menschen.“

Kuni senkte den Blick und schwieg eine Weile.

„Ich hab’s Euch schon oft gesagt, Bas’l,“ erwiderte sie dann, „daß ich nichts davon annehm’. Ich thät’ mir Sünden fürchten dabei, und wenn Ihr sagt, daß meine Mutter so gut war und Niemand hat feind sein können, so seid Ihr ja ihre Schwester und werdet doch auch etwas haben von der guten Art. Vermacht Eure Sach’ den Gefreundeten von Eurem Mann! Die sind arm und haben’s nöthiger als ich. Gebt die Feindschaft auf und macht Euch das Herz leichter – ich mein’, Ihr müßtet dann gleich noch einmal so leicht schnaufen. Thut’s mir zu lieb, Bas’l!“

„Leichter schnaufen?“ sagte die Kranke vergnügt. „Ja, wenn ich das wüßte, da könnt’ ich’s wohl versuchen. Und Du willst wirklich nichts davon? Willst Alles aufgeben, nur nur meinetwegen, damit es mir besser geh’n soll? Dafür soll’s Dir auch gut geh’n Dein Leben lang und soll Dir Glück bringen, wenn Du einmal Hochzeit machst. Brauchst Dich deswegen nicht zu scheuen,“ setzte sie hinzu, da sie Kuni’s warme, lebensvolle Hand in ihrer erstarrenden, kalten, erzittern fühlte, „ich wünsch’ Dir den besten Mann, einen Mann so brav wie Du selber bist und an den Du vielleicht just in dem Augenblick denkst.“

Rasch erhob sich Kuni und eilte der Thür zu; die Dunkelheit barg das Erröthen, das ihr die Wangen überflog.

„Was ist’s?“ fragte die Alte. „Wo willst hin?“

„Hinaus,“ war die Antwort, „will zum Vorsteher hinüberschicken, daß er es gleich festmacht mit der Vermächtniß.“

„Meinst, es wär’ so eilig?“ rief die Kranke und sah ihr erschrocken mit weitgeöffneten Augen nach. „Aber wie Du’s meinst, Kuni. Dir zu lieb will ich’s thun.“

Bald war der Gemeindevorsteher mit Zeugen erschienen und die letzte Willensmeinung schlicht und bündig niedergelegt. Die Männer waren voll Freude über den Entschluß der Kranken, auf diese Weise einer alten vielverzweigten Verfeindung ein Ende zu machen, und die von ihrem Lobe erfreute Alte fühlte noch einmal eine rasche wärmere Blutwelle vom Herzen strömen und wie neu belebend sich in die Adern ergießen. Sie athmete eine Zeit lang wirklich freier, als wäre ihr eine schwere Last von der Brust gewälzt; nach kurzer Erleichterung aber rollte dieselbe mit doppelter Wucht auf sie zurück. Von Beklemmungen gequält, fuhr sie empor, schwer nach Luft ringend, und die unsteten Augen verriethen, daß der Geist wieder beginne in der Irre zu schweifen. „Da fängt es schon wieder zu drücken an und will mich ersticken. Ich komm’ nimmer auf, Kuni – Du wirst es seh’n, daß ich nimmer aufkomm’, und ich kann ja noch nicht fort, ich hab’ ja noch so viel zu verrichten vor mir.“ Sie sank in die Kissen zurück. Es war, als wollte der Körper sich in die Nothwendigkeit der Auflösung ergeben, aber die erschreckte Seele klammerte sich noch immer an das zertrümmerte Werkzeug: es war, als sei etwas in ihr, was sie nicht leben und nicht sterben ließ.

„Was ist für ein Tag heute?“ fuhr sie plötzlich auf. Kuni nahm den Kalender von der Wand, um nachzusehen, und nannte den Namen des Tagesheiligen. Flüsternd wiederholte ihn die Kranke. „Da jährt sich’s,“ murmelte sie in steigernder Unruhe, „da jährt sich’s bald wieder.“

„Was jährt sich, Bas’l?“ fragte Kuni und neigte sich theilnehmend auf die Stöhnende herab, die sich angstvoll näher an

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