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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Blitzschnell hatte er auf den Ruf sich umgewendet und fand sich einem Mädchen gegenüber, das ihm lächelnd und mit der Zutraulichkeit einer alten Bekannten in’s Gesicht sah. Einen Augenblick starrte er sie unsicher und wie fragend an, dann schoß es auch in ihm wie ein lohender Blitz empor; das war das freundliche Antlitz, das ihm über den Zaun grüßend zugenickt, und ein nicht minder freundliches Lächeln zuckte dem Mädchen auf den Lippen des Burschen entgegen.

Dennoch blieb ein Rest staunender Frage in seinen Augen hangen. „Was schaust’ mich so an?“ sagte das Mädchen mit einer Stimme, welche dem Burschen in’s Ohr tönte wie der Klang von verhallenden Cithersaiten. „Kennst mich etwann nicht mehr? Ich bin ja das Julei.“

„Julei!“ rief Zachariesel wie aus plötzlicher Erstarrung aufschauend. „Du bist es? Du bist noch auf der Welt, und ich hab’ in der ganzen langen, langen Zeit nichts mehr gehört von Dir.“

„Wirst wohl viel gefragt haben um mich!“ entgegnete sie fein. „Bin auch weit herumgekommen derweil und weit weg gewesen, aber ich hab’ Dir doch manchmal nachgefragt und mich immer herzlich gefreut, wenn ich gehört hab’, daß es Dir gut geht, Zachariesel.“

Der Name schmeichelte sich noch weicher und gefälliger an sein Ohr. Er begriff nicht, wie er ihm selbst oder Jemand Anderem jemals unschön geklungen haben konnte; sinnend und wie versunken haftete sein Blick auf dem Mädchen, als ob er nimmer davon loslassen wolle. „Und Du bist nit harb darüber,“ sagte er nach einer Weile, „daß ich Dich nicht gleich wieder erkannt habe?“

„Wie könnt’ ich denn,“ entgegnete sie freundlich, „sind ja doch schon ein fünfzehn Jahr’ vergangen seitdem, und wir sind Kinder gewesen selbiges Mal. Und wie geht’s Deinem lieben Mutterl?“ setzte sie hinzu und senkte die Augen, um den seinigen auszuweichen. „Ist sie wohlauf, und ob sie es wohl gern sehen thät, wenn ich mir’s einmal herausnehmen thät’ und thät’ sie heimsuchen?“

„Gewiß, gewiß!“ rief Zachariesel hastig. „Sie wird sich gewiß gerade so freuen, das Julei wiederzuseh’n, wie ich mich freue, aber es wird ihr geh’n wie mir, sie wird Dich auch nicht wieder kennen. Kann ich’s doch immer noch nicht recht glauben, daß Du das Julei bist, das liebe …“

„Ich bin’s doch schon in Lebensgröß’, sagte sie lächelnd, da er etwas stockte. „Sag’s nur gerade heraus, was Du auf der Zunge gehabt hast – das arme Scheerschleifer-Julei, dem Deine Eltern so viel Liebes und Gutes gethan haben, wie mein Vater so Knall und Fall fort gemußt hat in die Ewigkeit. Ich bin freilich damals noch ein unverständiges Dirnl gewesen, aber die Mutter hat mir’s oft erzählt und hat mir aufgetragen, wann ich je einmal wieder in die Gegend käm’, daß ich Euch aufsuchen und für Alles danken soll, was wir von Euch empfangen, sie und ich.“

„Und wie ist es Dir gegangen in der langen Zeit?“ fragte Zachariesel, der die Augen von ihr nicht loszubringen vermochte und dem dabei ganz wunderbare Gedanken aufstiegen. Er that die Frage eigentlich nur, um sie ungestört beobachten zu können, denn mit einem Male kam sie ihm so bekannt vor, als wenn er sie Tag für Tag gesehen, und dann ging ihm eine Aehnlichkeit auf, so wunderbar, daß er selber nicht begriff, wo er nur die Augen gehabt haben mußte, sie nicht sogleich zu bemerken. Das Julei glich Mechtilden beinahe Zug für Zug, nur war sie etwas kleiner und schmächtiger von Gestalt und machte den Eindruck einer eigenthümlichen Zierlichkeit – auch die Gesichtsfarbe war tiefer gebräunt, und in den schwarzen glänzenden Augen und dem Schwunge der Brauen lag etwas, was auf eine fremdartige Abstammung schließen ließ.

„Wie’s mir gegangen ist?“ fragte Julei entgegen. „Das wird kurz bei einander sein. Wie der Vater todt war, ist’s nichts mehr gewesen mit dem Scheerenschleifen. Die Mutter ist daher nach Ungarn hinunter, wo sie daheim war, und hat gemeint, sie könnt’ dort ein Auskommen finden für sie und mich; die Leut’ sind aber selber arm gewesen, und sie hat’s auch nicht mehr dort ausgehalten und hat sich nach dem Lande zurückgesehnt, wo der Vater begraben liegt. Da hat sie, weil sie eine gar geschickte Näherin war, sich in der Stadt Arbeit gesucht und hat sich durchgebracht, so schlecht und recht, zwischen Kümmerniß und Armuth, bis sie ihre Augen, die oft recht müde und roth waren vom Nähen und Weinen, ganz zugemacht hat. Sie hat auch mich zu der Näherei angehalten, und eine reiche Frau, für die wir gearbeitet haben, hat sich um mich angenommen. Ihr Mann, der ein hoher Herr gewesen ist, hat sich in die Ruh’ zurückgezogen und ist auf’s Land gegangen – da hat sie mir zugeredet, mitzugehen, und hat gemeint, auf dem Lande wär’ man oft froh, eine gute Arbeiterin zu finden, da würde ich vollauf Kundschaft und Verdienst haben – so bin ich denn mitgegangen und bereu’ es nicht. Die gnädige Frau hat ihr Wort gehalten und ist mir überall behülflich gewesen, und so bin ich bald im Dorfe und in der ganzen Gegend bekannt geworden und geh’ von einem Orte an den andern auf der Stöhr’ herum.“

„Aber ich hab’ Dich doch in Erling gesehen,“ rief Zachariesel, „wie Du mit einer Grasburd’ auf dem Kopfe über den Weg gegangen bist. Ich bin im Hohlwege hinter’m Zaune gelegen und hab’ Dich anreden wollen, aber Du bist weggewesen, als wenn Du in den Boden versunken wärst.“

Julei kicherte vor sich hin. „Weiß schon,“ sagte sie, „da hab’ ich für die Bäu’rin, bei der ich gerade war, ein Tuch voll Grünfutter hereingeholt, weil sie selber bresthaft war. Aushelfen kann ich wohl, wenn Noth an Mann geht,“ setzte sie, wie über sich selbst beschämt, hinzu, „aber sonst bin ich für die starke Arbeit zu kleber (mager) und gering. Aber was hast Du selbiges Mal dort auf der Abseiten in dem Hohlwege zu thun gehabt?“

Zachariesel ward blutroth und besann sich auf eine Antwort – was er in Wahrheit dort gewollt, konnte er dem Mädchen doch nicht wohl sagen. Ehe dieselbe gefunden war, begann Julei wieder zu sprechen; sie fühlte wohl, daß sie irgend etwas nicht Angenehmes berührt haben mochte. „Und wo kommst nachher Du jetzt in die öde Gegend da? Gewiß von der Grubenmühl’? – Ich hab’s schon gehört, daß Du dort einheirathest und Grubenmüller wirst. Das ist wohl Dein Schatz gewesen, die Du am Arme geführt hast – selm (selbiges Mal) in Erling?“

Dem Burschen war’s, als ob ihm die Sprache benommen sei; er konnte nur nicken, und das Mädchen mußte abermals den Faden des Gesprächs aufnehmen, wenn es nicht vollends in’s Stocken gerathen sollte. „Und was wird’s nachher mit Deinem Heimathl, mit dem Weindlgute und Deinem guten Mutterl?“

„Das Heimathl,“ sagte er endlich, „das werden wir halt verkaufen, und die Mutter, die geht mit mir.“

„Mit Dir? In die Mühl’?“ rief Julei und ihre Augen blitzten. „Und da lebt Ihr nachher so Alle miteinander in lauter Lieb’ und Gutheit? Das muß schön sein, Zachariesel, aber ich wünsch’ Dir’s und gönn’ Dir’s von Herzen daß es Dir so recht gut geht, und will schon auch beten, daß Dir alle Deine liebsten Wünsche ausgeh’n.“

Der Ton, mit dem sie das sagte, war so unbefangen und doch so herzenswarm, daß Zachariesel wie unwillkürlich ihre beiden Hände faßte, die sie ihm auch in aller Ruhe überließ. „Ich dank’ Dir, Julei, ich dank’ Dir tausendmal; ich werd’s brauchen können,“ rief er feurig, und wäre doch im Augenblicke kaum im Stande gewesen, zu sagen, was denn wohl gerade jetzt seine liebsten Wünsche sein mochten. „Also thät’ Dir das Leben in einer Mühl’ gefallen?“ setzte er dann, sich etwas mäßigend, hinzu.

Sie lachte auf; man hörte dem frischen Tone des Lachens an, daß es aus einem heitern und reinen Gemüthe kam. „Ob mir das gefallen thät?“ rief sie munter. „Die Tag’, wo ich in eine Mühl’ auf die Stöhr’ komm’, die sind nur mir die allerliebsten, als wenn’s lauter Feiertag’ wären … so still, und so heimelig, und so lieb staubig, und hernach das Sausen vom Wasser und das Klappern von den Rädern …“

Sie hielt inne; es wandelte sie an, als habe sie zu viel gesagt; auch Zachariesel schien sich in Gedanken das Mühlenbild besser auszumalen, hielt aber immer noch ihre Hände gefaßt.

Einen Athemzug lang standen sie wortlos vor einander – dann entzog sie ihm ihre Hände und griff nach dem kleinen Bündel, das sie im Capellchen abgelegt hatte, „Aber jetzt ist’s

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