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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

die Kaiserin Katharina spielte, stand er mir als noch immer imposanter Potemkin gegenüber.

Der im Leben und auf der Bühne so gemüthliche „Vater Bayer“' war noch frisch und fröhlich, als Hofrath in den „Hagestolzen“ meiner Margarethe das Herz zu stehlen, und für mein „Käthchen von Heilbronn“' der würdigste Vater Waffenschmied.

Rudolf Bayer, ein Wiener Kind, hatte Medicin studirt, gehörte aber schon seit 1802 dem Prager Theater an. Es war sein Stolz, daß er nie gastirt, nie eine andere Bühne betreten habe. Er versuchte sich auch mit Glück als Maler und Schriftsteller. Ludwig Löwe, der merkwürdiger Weise anfangs sein Künstlerheil in niedrig-komischen Staberlrollen suchte, wurde von Bayer zum idealen Liebhaber ausgebildet. Als seine jüngste Schülerin lernte ich damals sein fünfzehnjähriges Töchterchen Marie kennen, eine schlanke blumenhafte Blondine. Sie war ganz reizend in kleinen Partien und daheim ein liebes geschäftiges Hausmütterchen. Als der Vater einst den Wallenstein, seine glänzendste Meisterrolle, gespielt hatte, fand er sein Töchterchen zu Hause noch fleißig am Bügelbrette stehen. Da sagte er ganz in Haltung und Ton seiner Rolle und in dem ihm eigenen Pathos:

„Des Wallensteiner’s Kind am Bügelbrett?
Kennt Friedland’s Blut für sich kein würd’ger Eisen?
Laß ab! Des Friedland’s Tochter bügelt nicht!“

Solche Anekdoten vom alten Bayer wußte Prag noch viele zu erzählen. – Marie Bayer wurde nach einigen Jahren meine werthe Collegin am Hoftheater in Dresden, dessen Zierde Frau Bayer-Bürk noch heute ist.

Fräulein Herbst war eine liebenswürdige erste Liebhaberin und Heldin, mit Recht früher in Brünn und jetzt in Prag sehr geschätzt. Leider fehlte ihr bei einer graziösen Figur ein ausdrucksvolles Bühnengesicht und vor Allem eine Bühnennase. Sie hatte nur ein winziges, wenn auch reizendes Näschen, das auf den Brettern vollständig verschwand. Dennoch wurde dieser Dame von dem commandirenden Generale, Grafen Mensdorff, Jahre lang und in originellster Weise gehuldigt. Fräulein Herbst bewohnte eine schöne Wohnung auf dem Roßmarkte, und unter ihrem Fenster hielt ihr edler Ritter allwöchentlich zu ihrer Ehre und Freude mit wehenden Fahnen und klingendem Spiele die glänzendsten Paraden über die ganze Garnison von Prag ab. Ach, wie beneidete Kathinka Heinefetter in ihrer drolligen Weise die Collegin um diesen seltenen Verehrer, als wir mit einander zu dieser Huldigungsparade in die Wohnung der Gefeierten eingeladen waren und aus den Fenstern lachend auf dieses bunte Schauspiel niedersahen!

Mein Gastspiel gestaltete sich zu einem sehr erfolgreichen. Bei stets vollen Häusern trat ich binnen zweiundzwanzig Tagen in meinen beliebtesten Rollen fünfzehnmal auf. Bäuerle’s Theaterzeitung berichtete sehr eingehend und freundlich darüber. Am meisten gefiel ich als Donna Diana, Käthchen von Heilbronn, Goldschmieds Töchterlein, Kaiserin Katharina und – seltsam genug – als stummer Victorin in „Waise und Mörder“. – Als Honorar erhielt ich den dritten Theil der Einnahme, durchschnittlich ungefähr hundert Thaler für den Abend. – Director Stöger machte mir sehr verlockende Engagementsanträge. Publicum, Kritik und Collegen wollten mich gern an Prag fesseln. Aber ich konnte nur versprechen, bald zu einem langen Gastspiele wiederzukehren.


Im Herbste 1835 begrüßten mich Sabine und Kathinka Heinefetter in Dresden. Frau Schröder-Devrient hatte im Frühling einen fünfvierteljährigen Urlaub angetreten und Sabine Heinefetter sollte sie ersetzen.

Nicht wenig überrascht war ich, als mir beide Schwestern ihre – Verlobten vorstellten. Sabine einen schönen holländischen Officier, der den Dienst quittirt hatte und angenehm von seinen Renten leben konnte. Noch wenige Jahre wollte Sabine gastiren, dann ihren Bräutigam heirathen und sich ganz von der Bühne zurückziehen.

„Welch ein Verlust für die Kunst!“ rief ich unwillkürlich aus.

„Ich liebe ihn,“ sagte sie leidenschaftlich. Und ihr ganzes treues Herz lag in diesen Worten.

Kathinka’s Verlobter war ein hübscher schwarzlockiger Franzose mit blitzenden schwarzen Augen und den gewandtesten Manieren. Weiter erfuhr ich nichts über ihn. Sabine vermied es, über diesen zukünftigen Schwager zu sprechen, und nur einmal, als das reizende Bräutchen sich im Theater die Huldigungen eines blonden sächsischen Dragonerofficiers sehr gern gefallen ließ, schüttelte Sabine sorgenvoll den schönen Kopf und flüsterte mir zu: „Gott gebe, daß die Liebe Kathinka endlich vernünftig macht und Alles gut geht!“

„Schau, Kind, wie bald nun doch der Rechte gekommen ist!“ sagte ich scherzend zu Kathinka, an ihr Prager Herzensbekenntniß erinnernd.

„Und wenn es am Ende doch noch nicht der Rechte wäre?“ lachte das verführerische Geschöpf hell und übermüthig und wirbelte mit ihrem Franzosen, der kein Wort Deutsch verstand, lustig durch’s Zimmer. Das Wort gab mir einen eigenen Stich in’s Herz. Und ich höre es noch heute von den rosigen lachenden Lippen, die längst im tiefsten Weh erblichen und auf immer verstummt sind. Arme Kathinka, das war ein böses prophetisches Wort, und Du lachtest Dir den Tod. Ja, es war – nicht der Rechte. Und der sollte überhaupt nie für Dich kommen. Nach acht Tagen reiste Kathinka mit einer Ehrendame und ihrem Verlobten nach Paris ab, sich dort zur Coloratursängerin auszubilden. Ich habe sie nicht wiedergesehen, aber nur zu oft und zu viel von ihr gehört.

Sabine Heinefetter wohnte mit ihrer Mutter in einer Privatwohnung, ihr Verlobler im Hôtel de Saxe. Ein glückliches Brautpaar, das Alles peinlich vermied, was den Dresdener bösen Zungen irgendwie Klatschstoff geben konnte. Aber für Sabinens Gastspiel sollte dieser Brautstand dennoch verhängnißvoll werden. Die tonangebende Theatergarde liebt bei Künstlerinnen die Bräutigams überhaupt nicht; eher verzeiht sie noch einen hausbackenen Ehemann. Und Sabine war ehrlich und – unvorsichtig genug, stets offen zu zeigen, daß sie in Dresden nur ihrer Kunst und ihrer Liebe leben wollte. Sie lehnte alle Einladungen, alle Huldigungen mit großer Entschiedenheit ab. Nur in den Gesellschaften des Intendanten, Herrn von Lüttichau, zeigte sie sich zuweilen mit ihrem Bräutigam. Sonst lebte sie in größter Zurückgezogenheit. Die Dresdener Theatergarde blieb der schönen Sängerin gegenüber stets auf dem Gefrierpunkte.

Und die Vergleiche mit Wilhelmine Schröder-Devrient lagen sehr nahe. War auch Sabine schöner, ihre Stimme größer, voller, metallreicher, ihre Kunst des Singens schulgerechter, so überstrahlte die geniale Wilhelmine sie doch weit durch die Tiefe der Auffassung und die gluthvolle hochdramatische Darstellung ihrer Rollen. Sabine wurde wohl bewundert, aber Wilhelmine riß durch ihren seelenvollen Vortrag zum höchsten Entzücken, zu quellenden Herzensthränen hin. Mit einem Worte: Sabine Heinefetter’s Gastspiel ging zu meiner Betrübniß in Dresden kalt vorüber. Das fühlte sie selber und verzichtete nach sechs Monaten auf eine Fortsetzung desselben. Selbst bei ihrem letzten Auftreten rauschte zu ihren Füßen kein Kranz, kein Gedicht nieder. Die Theatergarde lächelte ein wenig schadenfroh: Ja, warum hat denn nicht ihr Holländer dafür gesorgt?! – Weil Sabine Heinefetter zu ehrlich und zu stolz war, um solche armselige Coulissenkunststückchen zu dulden. Sie sagte mir. „Ich habe nie einen Kreuzer für Reclame oder Claque gezahlt.“ Und ich glaube das. Habe ich es doch ebenso gemacht.

„Auf Wiedersehen!“ hieß es auch diesmal, als Sabine mich zum Abschiede umarmte. Aber es klang nicht so frohmüthig wie vor einem Jahre im Thorwege des „Schwarzen Rössel“ zu Prag. Wir haben uns nie wiedergesehen. Aber mein innigstes Mitgefühl ist der armen Sabine und ihrer unglücklichen Schwester Kathinka bewahrt geblieben – bis zu ihrem traurigen Sterben, bis über die einsamen Gräber hinaus.

Auch die dritte Schwester, Frau Clara Stöckel-Heinefetter, lernte ich in Dresden kennen und schätzen. Sie sang die Iphigenie, die Elvire im „Don Juan“ und Spohr’s „Jessonda“. Ihre Stimme, nicht ganz so voll und schön, wie die Sabinens, erinnerte mich lebhaft an die Milder-Hauptmann. Alle Kunstverständigen rühmten sehr ihren Gesang – aber das Publicum blieb theilnahmlos. Schon nach der dritten Rolle brach die Sängerin ihr Gastspiel ab.

„Wie ist’s möglich?“ fragte ich meinen Collegen Emil

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_522.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)