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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Schlafende oder Träumende auf und mußte erst vom Vater erinnert werden, daß es nun an ihr sei, an den Tisch zu treten und aus dem andern Hute den Namen des Burschen zu ziehen, der für den Abend ihr Tänzer und überhaupt ihr Partner sein solle.

Ihre Befangenheit und Zerstreutheit machten es dem schlauen Alten nicht schwer, ihr das entscheidende Loos in die Hand zu spielen; als sie selbst es zu öffnen zögerte, nahm er es ihr aus der Hand und rief in lauter Freude über die gelungene List mit schallender Stimme über die erwartungsvolle Menge hin: „Erstes Paar – das Ehrenpaar bei dem heutigen feierlichen Loostanze ist die ehr- und tugendsame Jungfrau Kunigunde Berghofer vom Schlösselbauernhofe und der tugendbelobte Jungherr Sylvester Buchmaier vom Buchmaiergute. Sie leben hoch! Das Ehrenpaar soll leben – hoch!“

Die Musikanten fielen mit schmetterndem Tusche ein, der aber gleichwohl nicht im Stande war, Kuni aus der Betäubung zu reißen, in der sie mitten im Saale stehen geblieben war, ungewiß, ob sie wache oder träume, unschlüssig dessen gewärtig, was sich nun weiter begeben solle. Es klang ihr nur dumpf in’s Ohr, daß ihr Name mit dem Sylvest’s zugleich genannt worden war – die Unmöglichkeit, dem Verhaßten auch nur zum Scheine die Hand zu reichen, zuckte ihr mit Blitzesschnelle durch Herz und Sinn, schon wollte sie den Fuß heben, um zu entfliehen, als Sylvest, der eben im Augenblicke des Ausrufs in die Stube getreten war, erregt und bleich wie sie, vor ihr stand.

„Du sorgst Dich wohl, daß ich Dich zwingen werd’, mit mir zu tanzen?“ rief er, während der erregte Lärm der Anwesenden plötzlich zu Todtenstille herabsank. „Hast es nicht Ursach’,“ fuhr er fort und entriß ihr den Zettel mit seinem Namen, den sie noch immer wie unbewußt in der Hand hielt. „Ich zwing’ Dich so wenig, als ich mich zwingen ließ … der Zettel gilt nichts – mit Dir tanz’ ich nicht.“

Er zerriß das Loos und warf es Kuni zu Füßen, der es vor den Augen schwamm, daß ein paar hinzuspringende Mädchen sie vor dem Umsinken stützen mußten. Sie versuchte zu reden, aber sie vermochte es nicht, nur ihr Auge hing wie irrend und doch voll Erbitterung an dem seinen. Desto rascher ging die Zunge des alten Schlösselbauers, der, ein Unglück ahnend, gleich herbeigestürzt war und nun Sylvest zum Kampfe auf Leben und Tod gegenüberstand. „Warum,“ keuchte er, „warum willst Du mit meiner Tochter nit tanzen? Rede, Du Nichtnutz, oder ich brech’ Dich in der Mitt’ ab, wie einen Bohnenstecken, warum willst Du mit der Schlösselbauerntochter nit tanzen und thust ihr solchen Schimpf und Schand’ an?“

„Besinn’ Dich, Schlösselbauer!“ erwiderte Sylvest kalt, aber auf etwaigen Angriff gefaßt, „zum Abbrechen gehören ihrer zwei und mir wär’s leid, wenn ich mich an Dir vergreifen müßt’. Von Schimpf und Schand’ aber ist zwischen mir und Deiner Tochter keine Red’. Du weißt es selber am besten, daß sie mich nie hat ausstehen können, und mir ist es gerade so gegangen mit ihr, ich hab nie gewußt, warum das so in mir gewesen ist, seit heut’ aber weiß ich, daß ich recht gethan hab’ – seit heut’ weiß ich, warum es so gewesen ist, und wenn Du es auch wissen willst, frag’ Deine Tochter selbst, und sie wird Dir sagen, daß wir zwei nicht miteinander tanzen können.“

Stürmisch verließ er die von betäubendem Lärm erfüllte Stube. Der Schlösselbauer führte Kuni in’s Freie, daß sie sich erholen könne, und rief nach dem Wirth und seinem Wagen, um nach Hause zu fahren. Kuni glich einer schwer Erkrankten, die nur allmählich und unklar sich dessen, was mit ihr vorgegangen, zu besinnen vermag. „Hättest Du mir gefolgt, Vater!“ flüsterte sie, als er sie auf den Wagen hob, „nun bin ich zum Gerede geworden in aller Leute Mund und kann mich vor keinem Menschen mehr sehen lassen; es ist mir im Geiste vorgegangen, daß es ein Unglück giebt.“

„Und mir ist es gerade recht, daß es so gegangen ist. Jetzt freut mich erst mein Leben; jetzt werd’ ich erst unter vier Augen ein Wort mit dem Burschen reden, daß er Zeitlebens an den Schlösselbauern denken soll.“

Eben rollte das Wägelchen davon, als eine starke Faust den Pferden in den Zügel fiel und der Brigadier mit einer Laterne den Personen im Wagen in’s Gesicht leuchtete. Er war von seinem nächtlichen Laufe doch nicht ganz ohne Frucht zurückgekommen; er war einem Manne begegnet, der ihm arglos erzählte, es sei wohl ein fremder Mann in’s Gasthaus gekommen, das sei aber ein alter Bekannter und Freund Sylvest’s und sein Camerad bei den Ulanen in Griechenland gewesen. Der Brigadier wußte nun genug, um den ganzen Zusammenhang zu überschauen, war auch der Thäter selbst ihm entkommen, so hatte er doch den Mitschuldigen entdeckt, der ihn verborgen und ihm unzweifelhaft auch zur Flucht verholfen hatte – das war eine Spur, die wohl geeignet war, noch auf andere Entdeckungen zu führen. Spornstreichs war er daher zurückgeeilt, sich Sylvest’s zu bemächtigen. Als er nach ihm fragte, war der Bursche im ganzen Hause nicht zu finden. Offenbar hatte er Verdacht geschöpft und einen unbewachten Augenblick zu Versteck oder Flucht benutzt. Dem unglücklichen Spürer blieb nichts übrig, als Alles zu durchsuchen und jedes Fuhrwerk anzuhalten, um sich vollends die Ueberzeugung zu verschaffen, daß er abermals überlistet worden war.

Kuni vernahm die Botschaft von dem, was Sylvest erwartete, mit einer Empfindung, die einem Schauder glich. Der Vater verbarg seine Freude nicht und wünschte, der unnütze Bursche solle nur die Suppe, die er sich eingebrockt, bis auf den Grund ausessen. Sie war von ihm beleidigt und auf’s Tiefste gekränkt; sie träumte und sann Rache, aber als die süßeste Rache erschien es ihr, wenn er es erkennen und schamvoll gestehen müßte, daß er ihr Unrecht gethan.

Im Wirthshause hatte es lange gewährt, bis die durch so merkwürdige Dinge in Wallung gebrachten Gemüther wieder in eine ruhigere Strömung zurückkehrten, der Loostanz wurde wohl fortgesetzt oder neu begonnen, aber es war nicht die rechte Lustbarkeit dabei wie sonst und auch dem Trompeterfranzel wollten die Schnurren und Späße nicht so glatt wie sonst von der Zunge. Seit es mit dem Blasen nicht mehr gehen wollte, strich er den Brummbaß zum Tanze, aber diesmal war er öfter in Gefahr, aus dem Tacte zu kommen, so sehr schweiften seine Gedanken auf anderen Fährten, als auf denen seines Fiedelbogens. Ein so schöner und so fein ausgedachter Plan und dennoch nicht bloß mißlungen, sondern sogar in’s Gegentheil umgeschlagen! Er hatte das zwieträchtige Paar schon im Tanze vereinigt gesehen, und nun waren sie weiter und ärger getrennt, als zuvor. Aergerlich riß er die groben Schrobe seiner Baßgeige und brummte in dieselbe vor sich hinein:

„Es ist und bleibt ein hartes Ding,
und selten, zimmt mich, g’rath’s –
Daß Feu’r und Wasser sich vertrag’n
Und busseln Hund und Katz’.“

(Fortsetzung folgt.)




Aus der hundertthürmigen Stadt.

Bühnen-Erinnerungen von Caroline Bauer.
II.

Ich spielte sehr gern auf der hübschen Prager Bühne, bestens unterstützt von ausgezeichneten, freundlichen Collegen und ermuntert durch den Beifall eines kunstverständigen und kunstenthusiastischen Publicums.

Die deutsche Bühne in Prag zählt schon lange zu den ruhmvollsten. Zur höchsten Blüthe gelangte das „ständische deutsche National-Theater“, dem ein böhmisches „Vaterländisches Theater“ vergebens Concurrenz zu machen strebte, unter Direction des genialen Liebich, der sich um die Entwicklung der deutschen Schauspielkunst unvergängliche Verdienste erworben hat. Sein Ruhm lebte in jenen Prager Frühlingstagen noch auf allen Lippen. Selber ein ausgezeichneter Darsteller humoristischer Väter, besaß Liebich die größere Kunst, seltene Talente zu entdecken, auszubilden, zu hegen und zu pflegen. Unter seiner Leitung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_520.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2019)