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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


ja Gewißheit verschaffen, konnte zu meiner Freundin eilen und sie fragen. Ich that dies auch, ging, gegen meine Gewohnheit, schleunigen Schrittes nach der A.-straße, pochte an die Thür, wiederholte mein Klopfen – vergebens; die alte Dame öffnete nicht.

Ich fragte eine Bewohnerin des Hauses nach Frau von Saremba, doch diese kannte den Namen nicht, wußte auch nichts über den Verbleib der armen Frau zu berichten. In einer Miethscaserne gehen ja die Bewohner so achtlos und kalt aneinander vorüber.

Ich mußte nun wohl oder übel meiner Wißbegierde Zügel anlegen und schlenderte langsam durch die Stadt, in der Hoffnung, der Gesuchten zufällig zu begegnen. Mittlerweile war es Essenszeit geworden, und ich trat, um meinen Appetit zu stillen, in den Garten eines eleganten Restaurants ein, welches an der Ecke des Potsdamer Platzes gelegen ist, und von wo aus man einen vollen Blick über die vier oder fünf in diesen schönen Platz einmündenden Straßen hat.

Schön, den Du ja auch kennst, ein alter liebenswürdiger Herr und Schauspielhabitué, setzte sich zu mir und zog mich in eine anregende Unterhaltung über den augenblicklichen Verfall einiger tonangebenden Bühnen und über den täglich schlechter werdenden Geschmack des Publicums. Plötzlich unterbrach er sich, setzte sein Glas auf und warf einen scharfen, erstaunten und freudigen Blick auf eine Droschke erster Classe, welche langsam und dicht an uns vorüber in die Bellevuestraße einbog. Zwei Damen saßen darin: meine Hausnachbarin, Frau von Saremba, und ein reizendes, blondlockiges, blauäugiges Mädchen, jedenfalls ihre Tochter.

Da die Damen zufällig ihre Blicke auf uns richteten, so erhob ich mich zum ehrerbietigen Gruß, dem ein freundlicher Dank folgte.

‚Also Sie kennen sie auch, die einst so Entzückende, Himmlisch-Schöne, noch immer Berückende, die als Königin Elisabeth etc. unsere Herzen und Sinne bezauberte?‘ rief laut der alte Theaterenthusiast. ‚Doch was sag‘ ich? Euch jungen Nachwuchs bezaubert etwas anderes, als wahre Kunst – haben Sie sie vor zwanzig Jahren gesehen?‘

‚Damals hatte ich noch nicht lange meine ersten Höschen an,‘ erwiderte ich lachend. ‚Aber ich verstehe kein Wort. Wer oder was hat Sie denn so entzückt und begeistert, daß Sie nur kurze und unverständliche Interjectionen der Seligkeit ausstoßen?‘

‚Wa – as?‘ rief Schön fast ärgerlich. ‚Sie wissen nicht –? Wollen Ihre Bekanntschaft ableugnen? Schämen Sie sich, junger Mann! Sie haben mich ja auf sie aufmerksam gemacht – wohl kam sie mir bekannt vor, denn lange hab’ ich sie nicht gesehen, aber diese Züge vergißt man nicht – – durch Ihren Gruß veranlaßt, sah ich schärfer hin – ja, sie war es, die Herrliche, welche einst alle Blätter angesungen haben, die unvergleichliche Alma Biedefeld.‘

‚Sie meinen doch die brünette Dame, welche ich eben grüßte? Das ist –‘

‚Alma Biedefeld,‘ unterbrach er mich, glühend vor Aufregung, ‚der nun leider untergegangene, doch nimmer verlöschende Stern unserer großen Bühnen.‘

‚Verzeihen Sie, bester Schön! Diese Dame ist eine Frau von Saremba, allerdings eine geborene Biedefeld –‘

‚Sehen Sie,‘ fiel er begeistert ein, ‚ich habe mich nicht getäuscht. Sie ist es; sie heirathete später. O, sie wird mich auch wiedererkannt haben, war ich doch einer ihrer glühendsten Verehrer, freilich nur par distance – vom Parquet aus. Aber sie hat mich bemerkt; sie hat gelächelt; sie muß, wird sich meiner erinnern – ich hatte immer Nummer siebenzehn –‘

Ich verließ den entzückten Alten und begab mich nach Hause. Also eine Schauspielerin! Ja, sie mußte eine vorzügliche Künstlerin gewesen sein, denn ihre vornehme Haltung erschien durchaus nicht gemacht – wie ihr angeboren war sie.

Am Abend folgte ich der Einladung von Frau von Saremba. Ich fand in ihrem Salon eine Anzahl älterer Damen und Herren, die alle hochvornehme Namen trugen, alle ein wenig ‚kunstbegeistert‘ aussahen und sicher einst enthusiastische Verehrer dieser Kunstkoryphäe gewesen waren.

Und zwischen diesen etwas steifen Herrschaften schwebte Elsa, die wunderschöne Tochter der Dame des Hauses, einher, wie ein lustiger Elf, von leichten Tüllwolken umhaucht, in welchen Rosenblätter flatterten. Ich fühlte mich schnell zu der reizenden, echt jungfräulichen Erscheinung hingezogen, und auch sie schien meine heitere Unterhaltung den etwas trockenen Galanterien der alten Herren vorzuziehen.

Frau von Saremba machte mit gewohnter Liebenswürdigkeit die Wirthin. Nur bisweilen wollte es mir scheinen, als trage sie die Würde der vornehmen Frau ein wenig zu stark auf. Unwillkürlich verfiel ich in das aristokratische Vorurtheil, ihre Vergangenheit in Erwägung zu ziehen.

Bei meinem nächsten Besuche, den ich den Damen in Folge der Einladung machte, fand ich Frau von Saremba mit ihrer Tochter allein. Die Dame empfing mich sehr gütig. Else war zum Entzücken freundlich und kindlich vertraut. Sie zeigte mir ihre Blumen, Vögel, Malereien, Musikalien und Handarbeiten, ja, sie sang mir sogar, auf meine Bitte, mit lieblicher Stimme ein Liedchen vor. Und alles dies that sie in harmlosester Kindlichkeit, welche so vortheilhaft dem Benehmen unserer jungen Damenwelt von heute entgegenstand. Ich war schon ganz für das reizende Wesen eingenommen.

Von jetzt ab versäumte ich keine nur irgendwie passende Gelegenheit, bei den Damen vorzusprechen, erhielt auch bisweilen Einladungen zu ihren ‚kleinen Abenden‘, wie Frau von Saremba diese geselligen Versammlungen zu nennen pflegte.

Bei einem meiner Besuche fand ich denn die lange ersehnte Gelegenheit, von meiner armen Freundin zu sprechen. In möglichst beredten Worten versuchte ich den Jammer der Unglücklichen zu schildern, so daß Else’s schöne Augen sich mit teilnehmenden Thränen zu füllen begannen. Doch die Mutter hörte mich mit unbewegter Miene an; sie zuckte nur hier und da mit einem kühlen Ausdrucke des Bedauerns die Schultern. Man dürfe nicht allem Elend am Wege Glauben schenken, meinte sie dann. Sei diese Frau wirklich eine Saremba, eine Biedefeld, so hätten ihr sicher die Familien, auf ihre Bitte hin, Beistand nicht versagt. Die Sache käme ihr bedenklich vor, besonders die Aehnlichkeit der Geburtsnamen. Sie wittere einen Betrug, eine Ausbeutung vertrauensseliger Herzen. Sie rathe darum zur Vorsicht. Uebrigens werde sie gelegentlich über diese Frau Erkundigungen einziehen und sie in jedem Falle schonen, wenn wahre Noth vorhanden sei. Sie ersuchte mich zugleich, vorläufig diese Frau mit ihr, Anderen gegenüber, nicht etwa in irgendwelche Beziehung zu bringen. Sie habe als Wittwe vor Allem darauf zu achten, daß die Welt nicht Grund finde, über sie zu urtheilen.

Das klang klug und vorsichtig, aber doch auch ein wenig hart. Dafür leuchtete mir aus Else’s schönen Augen das innigste Verständniß für meine Theilnahme an der Noth meiner alten Freundin entgegen, ein Verständniß, das mich zu dem – wie ich es mir eingestehen mußte – schon heiß geliebten Mädchen herzinnig hinzog. Wie gern hätte ich mich ihr zu Füßen geworfen und für ihre holden Thränen ihr meine heiße Liebe gestanden! Doch solch ein süßes Geständniß will unter vier Augen geflüstert werden. Kein fremder Blick, selbst der einer Mutter nicht, darf Zeuge des Ineinandersenkens zweier rein liebenden Herzen sein. So wollte ich es, und so mußte es auch die reine Jungfräulichkeit Else’s wollen.

Ich suchte das geliebte Mädchen allein zu sprechen. Doch stets fand ich bei meinen Besuchen die Mutter zugegen. Der Anstand erheischte dies wohl, aber doch war es mir unbequem. Bisweilen wagte ich, meine Augen zu Else sprechen zu lassen, und eine holdbeglückende Antwort schien mir aus ihrem Blicke entgegenzuleuchten – aber bald begann diese stumme, wenn auch anregende Unterhaltung mir nicht mehr zu genügen – ich wollte, mußte in glühenden, hörbaren Worten reden und wollte gleiche von geliebten Lippen vernehmen.

Eines Spätnachmittags – die ersten Sterne begannen schon am Himmel aufzublitzen – bemerkte ich beim Heimkehren in Else’s Zimmer Licht. Die übrigen Fenster, welche zur Wohnung der Frau von Saremba gehörten, waren dunkel.

Ich hatte mich auf einer längeren Promenade im Thiergarten innerlich fast ausschließlich mit dem holden Kinde beschäftigt, hatte mir Alles wohl überlegt und mich gefragt, was wohl meinem Glücke entgegenstehen könne. Else schien mir nicht abhold. Ich habe einen guten Namen und hinreichende Mittel, um ihr eine mehr als behagliche Existenz zu bieten; durfte ich da nicht das

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