Seite:Die Gartenlaube (1875) 512.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Das unglückliche Schicksal Preußens griff auch zerstörend in die Familienbande des fürstlichen Ehepaars, und zwar durch den Tod des heldenmüthigen Prinzen Louis Ferdinand, des Bruders der jungen Fürstin Radziwill.

Am preußischen Königshof lebten damals vier nahverwandte, junge, glückliche Ehepaare. Der König und seine schöne Louise, Prinz Ludwig, sein älterer Bruder, mit ihrer reizenden Schwester (später Königin von Hannover), Prinz Wilhelm, sein jüngerer Bruder, mit der edlen Prinzessin von Homburg und das Radziwill’sche Paar. Die Kinder dieser fürstlichen Paare spielten zusammen und wurden später die innigsten Freunde: Der herrliche Park des Hôtel Radziwill vereinigte sie ganz besonders oft, denn an den Stadtschlössern der anderen hohen Herrschaften fehlten meistens die Gärten. Kaiser Wilhelm hat als Knabe den Radziwill’schen Park sehr oft besucht und erinnert sich desselben noch jetzt mit lebhafter Vorliebe.

Das Palais Radziwill in Berlin.
Nach einer photographischen Aufnahme.


Fürst Anton Radziwill erhielt nach dem Friedensschluß die Statthalterschaft in Posen und lebte mehrere Jahre fern von Berlin. Sein Wirken auf dem schwierigen Posten wurde von allen Parteien als versöhnlich und wohlthuend anerkannt. Als er nach Berlin zurückkehrte, waren seine Kinder meistens erwachsen, und die gesellschaftliche Bedeutung des Palais Radziwill trat nun in ein neues glänzendes Licht.

Der Fürst vereinigte die feine Lebensart seiner Nation mit deutscher Gemüthlichkeit. Er war ein Beschützer aller Künstler und Gelehrten, wie ihn Berlin bis dahin noch nicht gekannt. Namentlich pflegte er die Musik; noch im höheren Alter war er thätiges Mitglied der Singakademie. Wenn der schöne, weißlockige Greis erschien, wurde ihm zu Ehren immer ein classisches Musikstück aufgeführt, dem er voll Andacht zuhörte, um erst später mit den Anwesenden und seinem Freunde Zelter zu plaudern. Seine Faustcompositionen ließ er mehrere Mal in seinem Palais aufführen; berühmte Schauspieler wirkten darin gleichzeitig mit fürstlichen Dilettanten. Er besuchte auch oft einfache, bürgerliche Cirkel, um gute Musik zu hören und gemüthliche Unterhaltung zu pflegen.

Die Krone seines Herzens und seines Hauses war seine holdselige Tochter Elisa; ihre liebliche Schönheit bezauberte Jung und Alt. Sie war die Mädchenblume, die, für eine Liebesidylle geschaffen, den königlichen Paladin fast von den Stufen des Thrones hinabgelockt hätte. Leider mußte sie früh verwelken. Sie starb 1834 in Freienwalde an einem Brustleiden. Während ihrer Krankheit verlor sie ihren geliebten Vater, aber sie erfuhr es nicht; ihre Angehörigen legten immer die tiefe Trauer um ihn ab, wenn sie die Kranke besuchten, und zwangen sich zu heiteren Gesprächen.

Nach dem Tode des Fürsten Anton wohnten seine beiden Söhne, Fürst Wilhelm und Fürst Boguslav, im Palais Radziwill; beide waren mit Töchtern des Fürsten Clary aus Oesterreich vermählt und besaßen eine zahlreiche Nachkommenschaft. Auch die Fürstin Czartoryska, eine jüngere Schwester Elisa’s, hatte mehrere Kinder, sodaß jetzt zwölf Erbportionen geschaffen und deswegen das Palais verkauft werden mußte. Beide fürstliche Familien lebten bis zum Tode ihrer Häupter einträchtig in dem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_512.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)