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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


blendete, dunkeln Behrenstraße hervor, indem er einen scharfen Blick auf mich warf, als ob er etwas suchte. Ich erkannte den jungen Mann sofort. Es war ein alter Freund, welchen ich seit Jahren aus den Augen verloren hatte. Er war Schriftsteller, hatte aber auch zugleich das Glück, reich und Baron zu sein.

Um sich mit etwas zu beschäftigen, war ihm eines Tages die Lust angekommen, einen vierbändigen Roman und zwei Bände lyrischer Gedichte zu – verbrechen, und bescheiden, wie er war, berichtete er mir lachend darüber, daß er glaube, nur sein tönender Name und andere klingende Mittel hätten ihm dazu verholfen, die Kinder seiner Muse gedruckt zu sehen.

Ich freute mich, den guten Jungen wiederzufinden, und trat hastig aus meinem zufälligen Verstecke hervor, indem ich ihm lachend beide Hände entgegenstreckte und ausrief:

„Suchst Du mich etwa, liebster Persin?“

Er fuhr erschreckt zurück. Doch bald flog ein freundliches Lächeln über sein Gesicht, und er ergriff meine Hände mit herzlichem Drucke.

„Ehrlich gestanden,“ entgegnete er heiter, „hab’ ich im Augenblicke Deiner nicht gedacht; glaubt’ ich Dich doch wer weiß wo – aber herzlich freu’ ich mich, daß ich Dich unverhofft gefunden.“

„Also ein Stelldichein? Verzeihung dem Indiscreten!“ sagte ich, „dann will ich nicht stören. Mit Deiner Erlaubniß such’ ich Dich morgen auf. Gieb mir Deine Adresse!“

„Bleibe!“ rief er launig. „Ich erwarte Niemand. Aber die Stelle, auf der Du stehst, ist historisch.“

„Ah –?“ sagte ich zweifelnd.

„Für mich wenigstens, Freund,“ entgegnete er mit einem seltsamen Gemische von Scherz und Ernst.

„Darf ich wissen –?“

„Hier, mein Freund, hier hab’ ich meine – Schwiegermutter gefunden.“

„Du bist vermählt? Da wünsch’ ich herzlich Glück.“

„Noch nicht, Bester. Uebermorgen erst soll meine Hochzeit sein. Ich war eben im Begriffe mir den noch fehlenden Zeugen zu suchen. Willst Du mir die Ehre erweisen, es zu sein?“

„Gern, lieber Persin. Aber verzeihe, ich finde es originell, daß Du Dir Deine Zeugen von der Straße nimmst. Du hast sicher nähere Bekannte –“

„Nein. Und dann ist der ganze Handel auch nicht so, wie er gewöhnlich zu sein pflegt. Wo wohnst Du?“ unterbrach er sich.

„Nicht weit von hier, Friedrichsstraße, Numero …“

„Wenn Du erlaubst, werde ich den Abend bei Dir zubringen und Dich in mein seltsames Geheimniß einweihen. Zugleich gebe ich Dir die Erlaubniß, die Geschichte, wenn sie Dir dessen werth erscheint, zu veröffentlichen.“

„Du bist sehr gütig. Jedoch fühle ich mich umsoweniger dazu berufen, als Du selbst Schriftsteller –“

„Du!“ drohte er mir lachend mit dem Finger, „spotte nicht! Im Augenblicke bin ich weiter nichts, will auch nichts anderes sein, als unsagbar glücklich. Aber lassen wir das – da sind wir an Deiner Hausthür. Interessirt Dich meine Angelegenheit, so tret’ ich ein.“

„Höchlich, bester Persin. Ich bin sehr begierig auf die Ehre, Deine Schwiegermutter kennen zu lernen, noch mehr aber wird es mich entzücken, Deiner gewiß reizenden Braut vorgestellt zu werden.“

Damit waren wir auf meinem Zimmer angekommen; ich reichte dem Freunde, der es sich auf einem Sessel bequem gemacht hatte, Cigarren, füllte unsere Gläser und ließ mich neben ihm nieder.

„Meine Braut wirst Du kennen lernen, o gewiß“ – es flog ein glückseliges Lächeln über sein Gesicht – „gewiß ist sie hübsch, für mich sogar schön, sehr schön. Aber so sprechen alle Verliebten, wirst Du sagen, alter Freund. Also, sie ist hübsch, und was mehr ist, engelgut. Wir bleiben nun einmal nicht jung, aber das Herz, Freund, das Herz darf uns nimmer altern und bleibt auch frisch, wenn wahre Liebe es erfüllt.“

„Und die Schwiegermutter?“ unterbrach ich lächelnd den Begeisterten. „Schwärmst Du in gleichem Maße für sie?“

Er blickte mich ernst an.

„Du wirst sie vorläufig nicht sehen, sie ist – nun, sie ist – krank.“

„Und Ihr feiert dessenungeachtet Eure Hochzeit? Höre, Freund, die Sache kommt mir immer räthselhafter vor.“

„Nun,“ rief er, wieder in seinen gewohnten heiteren Ton zurückfallend, „so unterbrich mich nicht immer mit Deinen Fragen, sondern höre gefälligst meiner Erzählung zu!“

„Ich bin ganz Ohr.“

„Ich flanirte vor einiger Zeit in dieser Gegend,“ fuhr mein Freund fort, „und als ich etwa hundert Schritte gemacht, stieß ich auf derselben Stelle, an der ich Dich heute gefunden, auf eine –“

„Schwiegermutter,“ warf ich lachend ein.

„Unterbrich mich nicht!“ rief er hastig. „Ich fand also an dieser Stelle, im Schatten einer Säule, ein zusammengeschrumpftes, dürftig bekleidetes altes Mütterchen, welches mit zitternder, demüthiger Stimme mich um eine Gabe anflehte. Mehr als diese Stimme war es die unbeschreibliche Bescheidenheit, ja Aengstlichkeit, mit welcher die Alte ihre gabeheischende kleine Hand mir entgegenstreckte – es lag eine gewisse Vornehmheit in ihren Bewegungen, die man bei einer Bettlerin zu finden nicht gewohnt ist, welche mich veranlaßte, nicht, wie ich wohl sonst zu thun pflegte, dem Bittenden achtlos ein Almosen zu reichen, sondern, ehe ich ihr ein Geldstück in die Hand drückte, einen forschenden Blick auf die alte Frau zu werfen. Dabei bemerkte ich, daß ihre Gestalt von einem breiten, langen, aus verschossener und zerrissener Seide bestehenden alten Mantel umhüllt war. Die arme Frau schien augenleidend zu sein, denn ein breiter Schirm umschattete ihr Gesicht, und über denselben hing noch ein dichter, schwarzer Spitzenschleier herab.“

„Also eine Bettlerin mit einem Schleier! Nicht übel!“ warf ich lachend dem Erzähler ein, indem ich zugleich sein Glas füllte.

„Ja,“ fuhr Persin fort, „und ich weiß nicht, was mich antrieb, dieser Frau meine ganze, nicht schwach gefüllte Geldbörse in die Hand zu drücken, um mich dann schnell abzuwenden. In diesem Augenblicke kam ein Schutzmann die Passage entlang. Seinen scharfen Augen war die Bettlerin wohl kaum entgangen. Jetzt fühlte ich mich am Arme festgehalten, und eine vor Angst bebende Stimme schlug flehend an mein Ohr. ‚O, mein Herr, der Sie so gütig waren – retten Sie mich dort – ein Schutzmann, der – ach, das könnte ich nicht überleben!‘

Der Ton, mit welchem die Unglückliche diese Worte sprach, war unbeschreiblich ergreifend und rührte tief mein Herz. Ich faßte, ohne lange zu überlegen, die auf meinem Arme ruhende Hand, welche leise zitterte, mit herzlichem Drucke und führte die alte Frau auf die Friedrichstraße zurück.

Der Schutzmann folgte uns.

‚Die Frau hat Sie angebettelt, mein Herr?‘ fragte er.

‚Nein,‘ log ich, zum Vortheile meines Schützlings, ‚es ist eine Verwandte von mir, die ich nach Hause geleite; ich bin der Baron Persin.‘

Der Schutzmann sah mich ein wenig erstaunt an, dann entfernte er sich mit kurzem Gruße.

Die alte Frau athmete tief und erleichtert auf. ‚Ich danke Ihnen,‘ stieß die Arme mühsam hervor, meinen Arm fester drückend. ‚Gott lohne Ihnen das! – ach, es wäre entsetzlich gewesen, und – und ich will es gewiß nicht wieder thun.‘

Sie hatte die letzten Worte leise, mehr wie zu sich selbst gesprochen.

Ich wurde aufmerksam.

‚Was –?‘

‚O, nichts, nichts!‘ fiel sie mir schnell in’s Wort. ‚Aber bedenken Sie, mein Herr, wenn ich hätte in’s Gefängniß gehen müssen – ich – ich, und was würde meine Tochter –‘

Sie brach jäh ab, indem sie ihren Arm aus dem meinigen zog und sich vorsichtig – wir waren indeß die Linden entlang bis zum düsteren Lustgarten gekommen – umschaute.

‚Ich danke Ihnen nochmals herzlich,‘ sagte sie dann, ‚auch für Ihre reiche Gabe. Ach, es thut so wehe, Almosen zu erflehen, aber es – muß eben sein. Nun find’ ich meinen Weg allein – man wird mich nicht wieder belästigen.‘“

„Du wirst einsehen,“ unterbrach sich der Erzähler, „daß all’ dies meine Neugier rege machen mußte. Ich gab demzufolge den Arm der Bettlerin nicht frei, sondern entgegnete ihr in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_495.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)