Seite:Die Gartenlaube (1875) 486.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Mahnung, wie man die Berührung einer frischen Wunde spürt; ein kleiner Zwist nach der freundlichen Begegnung schien unvermeidlich, ward aber im Entstehen durch das Eintreten des welschen Bilderhändlers abgeschnitten, der mit einem Brette voll Gypsfiguren auf dem Kopfe hausiren ging. Das Ansehen der um den Herrentisch gereihten Gäste schien ihm einen guten Handel zu versprechen; er nahm daher seine Figuren herab und fing an, sie anzupreisen und zum Verkaufe einzuladen. Es waren Brustbilder von Jesus und Maria und Gestalten von Heiligen. Mitten unter den frommen Gestalten war auch die eines kleinen heidnischen Liebesgottes, ein geflügelter Amor, der mit schelmischem Lachen die Spitze eines Pfeiles prüft.

Die Erwartungen des Händlers wurden jedoch nur sehr mäßig erfüllt; die Waare wurde wohl durchgemustert, aber Niemand hatte Lust, zu kaufen. Der Schlösselbauer und der Grubenmüller wußten nicht, wie sie das zerbrechliche „Gelump“ nach Hause bringen sollten und verließen die Stube. Dieser hatte einen Handel mit dem Wirthe abzumachen. Jener wollte in den Stall, um nach seinen Braunen zu sehen. Nur der Geometer blieb zurück – er lag trotz alles Unglücks noch immer im Banne von Mechtild’s Augen und kreiste immer näher um dieselbe, wie ein gelber Nachtfalter um die Kerze, die ihm bald die Flügel verbrennen soll. Er lechzte darnach, mit dem Mädchen ein paar Worte zu wechseln, wenn er sie auch für sich verloren geben mußte, und auch Mechtild zeigte keinen Widerwillen gegen seine Annäherung. Kein weibliches Wesen wird einem Manne deshalb gram, weil er sie liebt, auch wenn sie nicht daran denkt, ihn zu erhören. Ihre Blicke begegneten denen des Gelben durchaus nicht unfreundlich, wenn sie auch den Arm ihres Hochzeiters keinen Augenblick aus dem ihrigen ließ. Dieser ward es nur zu wohl gewahr. Die Funken der Eifersucht begannen in seinem sonst so ruhigen Gemüthe zu sprühen.

Mechtild war die Einzige, welche an den Gypsfiguren Gefallen fand, besonders gefiel ihr der Amor mit dem Pfeile; sie hatte einmal in irgend einem ihrer Bücher davon gelesen und trug eine unklare Vorstellung dessen in sich, was die Statuette bedeuten sollte. Auch die minderbelesene Kuni betrachtete den hübschen Buben mit Wohlgefallen – sie hatte keine Ahnung seines symbolischen Sinnes. „Was ist denn das für ein Bübel?“ sagte sie. „Gewiß ein Engerl, weil er Flügel hat. Und was macht er denn mit dem Pfeile, den er in den Handeln hat?“

Nun war für den Geometer der erwünschte Augenblick gekommen, sich in’s Gespräch zu mischen und zugleich Mechtild eine Gefälligkeit zu erweisen; er sah, daß sie den Amor gern besessen hätte und sich doch scheute, denselben zu kaufen. Er begann von dem Liebesgotte der Griechen und Römer zu erzählen, von seiner Allmacht und Unbezwinglichkeit, von der Sicherheit, mit der er seine Pfeile versende, und von den bitteren Schmerzen, die Mancher zu erdulden habe, den er getroffen. Er schloß damit, daß er den Amor kaufte und Mechtild bat, denselben als ein kleines Verlobungsgeschenk von ihm anzunehmen, Niemand besser als sie eigne sich zur Besitzerin des unbezwinglichen Gottes der Liebe. Mechtild nahm erröthend und nicht ohne Zögern das Geschenk an, das in so zierlicher Weise gegeben wurde, sie wehrte sogar dem Schenker nicht, ihre Hand zu fassen, um sich doch auch dafür dankbar zu bezeigen. Es war vergebens, daß Zachariesel ihr den Arm preßte und drückte und ihr in eifersüchtigem Grimme zuflüsterte, sie solle den Amorl doch ja nicht annehmen – das schicke sich nicht.

Kuni war es heiß über die Wangen geflogen, weil ihre Unwissenheit so beschämend an den Tag gekommen; sie fühlte sich unbehaglich in der Gesellschaft und sah sich nach der Thür um, den Vater aufzusuchen; Mechel, die auch von Verlegenheit nicht frei war, bat sie jedoch zu bleiben und dann den Gang zu den Verkaufsbuden mit ihr gemeinsam zu machen. Sie konnte nicht wohl anders und blieb; Mechtild beauftragte den Bräutigam, die Gypsfigur auf den nächsten Tisch zu stellen, aber ja recht behutsam, daß ihr nichts geschehe; wie die Spatzen auf einen Kirschbaum, von welchem die Vogelscheuche entfernt wurde, schoß der Geometer auf den endlich einmal leer gewordenen Platz an Mechtild’s Seite und war eben im Zuge, ihr seine Ueberraschung und schmerzliche Verwunderung über Alles auszusprechen, was seit seiner Anwesenheit in der Grubenmühle mit ihr vorgegangen war, als es hinter ihm polterte und klirrte und der Amor mit abgebrochenem Kopfe und zerschmetterten Beinen auf den Stubenboden kugelte. Zachariesel hatte seinen Auftrag etwas gar zu behutsam ausgeführt und in dem Bestreben, Mechtild nicht aus dem Auge zu verlieren, die Figur neben die Tischplatte in die Luft gesetzt oder gar in geheimer Bosheit mit Absicht fallen lassen.

„O weh, jetzt ist das schöne Engerl in tausend Trümmer gegangen,“ rief Kuni und machte sich daran, die Scherben aufzulesen; Mechtild aber fuhr mit zornrothem Gesichte auf den Missethäter zu. „Was ich halt immer sag’,“ rief sie, „Du bist und bleibst ein dummer Bub. Läßt er die schöne Figur fallen, als wenn’s ein Stück Holz wär’. Du hast Recht, wenn Du Deinen Namen behalten willst, Du bist ein recht tappeter Zachariesel.“

Der Bursch erröthete bis unter das Stirnhaar. „Oho, Du brauchst mich deswegen nicht vor allen Leuten dumm zu machen,“ entgegnete er fester, als sie es sonst von ihm gewohnt war. „Ist schon der Mühe werth, Mechel, daß Du wegen der paar Gypsbrocken einen solchen Lärm aufschlägst, und wenn Dir gar so viel daran gelegen ist, dann kauf’ ich Dir eine andere – brauchst Dir’s nicht schenken zu lassen von wildfremden Leuten.“

Mechtild betrachtete den Zürnenden mit geheimem Vergnügen; noch nie war er ihr so hübsch vorgekommen, und die unverhohlene Eifersucht, die aus seinen Worten und Blicken hervorloderte, hatte für sie etwas so Wohlgefälliges, daß sie darüber nicht einmal hörte, daß er sie schon wieder Mechel genannt hatte. Lachend trat sie vor ihn hin, klopfte ihn auf die Backe und sagte: „Laß es nur gut sein, Franzel, und sei nicht harb! Es ist mir nur so herausgefahren im ersten Zorne.“

Sie sah ihn glücklich an. Er faßte ebenso vergnügt ihre beiden Hände; das war für den Geometer zu viel – er eilte hinaus, und die Thür schlug hinter ihm krachend in’s Schloß. Auch Kuni folgte ihm; sie konnte nicht mehr wie anfangs lachen über das „verliebte Gethu’“ der Beiden; sie fühlte sich davon angewidert und wollte hinaus, ehe Mechtild ihre Entfernung gewahren würde.

Erstaunt trat sie einen Schritt zurück. Die Thür war von den Burschen umstellt, welche den günstigsten Augenblick zur Ausführung des längst geplanten Scherzes für gekommen hielten. Sie standen in weitem Kreise und schickten sich an, dem Liebespaare zum Spotte ein im Volke wohl bekanntes Spiel aufzuführen, dessen Inhalt darin besteht, daß ein Vater, dem ein Knabe geboren worden, mit dem Meßner und dem Nachbar darüber berathschlagt, welchen Namen der neue Weltbürger erhalten sollte. Die beiden Vorsänger, welche den Meßner und Vater vorstellten, begannen, die Uebrigen sangen den Endreim im Chore mit. Der Meßner schlägt dann Namen um Namen vor, aber an jedem findet der Vater etwas auszusetzen und kommt nach jedem Vorschlage schüchtern und mit verschämtem Zögern auf den Namen Zachariesel zurück, indem er erst die Vorsilbe einzeln und abgebrochen mehrere Male wiederholt, dann aber mit dem innigsten Behagen den ganzen Namen hervorjubelt. Der Streit der Liebenden über ihre Namen war den Burschen eine kostbare Gelegenheit, war ja doch das Lied, als wäre es eigens für diesen Anlaß gemacht.

Der Vater sang:

„So woll’n wir berathen, liebe Männa,
Wie wir den kleinen Buben nenna …“

„Virgili“ sang der Meßner, und der Vater erwiderte: „das ist mir z’herrisch.“ „Pamphili“, fährt der Meßner fort, aber der Vater wehrte wieder ab und meinte: „das ist mir z’närrisch.“ Dann begann er erst etwas unsicher, bald aber immer lauter und zuversichtlicher „Za – Za – Za –“ und schloß unter allseitigem Jubel mit den Endreimen:

„Zacharieserl wär’ nett und Zacharieserl wär’ schön,
Zacharieserl wär’ deutlich und leicht zu versteh’n.“

Sie kamen nicht weiter, denn der Träger dieses Namens war auf den Meßner losgesprungen und hielt ihn fest an der Gurgel gepackt. Die Anderen wollten dem Cameraden helfen, und in einem Augenblicke hingen Alle in einem Knäuel aneinander, wie ein abgehender Bienenschwarm – es war nahe daran, daß der zweifachen Lustbarkeit des Trinkens und Singens noch die dritte folgen sollte, die des Raufens.

Mechtild war schreiend in eine Ecke entflohen; Kuni schien

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_486.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)