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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Sagenbuch, berauschend geträumt, die mich auf meinen Künstlerfahrten durch Deutschland und Oesterreich schon so oft freundlich gelockt und deren ruhmvolle Bretter ich doch noch nie hatte betreten können. Ich hatte mit dem Director Stöger ein Gastspiel für fünfzehn Abende abgeschlossen – im Mai 1835.

Ade! Auf Wiedersehen, traute goldglitzernde Elbe! Mit schnellrollenden Riesenwogen rauscht uns die stolze Moldau entgegen. Vom steilen Uferberge ragt altersgraues mächtiges Gemäuer auf, erglühend in abendrosiger Maiensonne – das ist der Hradschin, Böhmens vielhundertjährige Königsburg mit ihren glänzenden wehmüthigen Erinnerungen. Von hundert Thürmen läutet es feierlich-lieblich Ave Maria. Wir sind in dem alten schönen Prag.

Im stattlichen „Schwarzen Rössel“ waren behagliche Zimmer für uns bestellt. Mein erster Blick war natürlich nach dem Theaterzettel. „Romeo und Julia. Oper von Bellini. Romeo – Dlle. Sabine Heinefetter, erste Sängerin der italienischen Oper zu Paris.“ Das war zu lockend. Ich hatte Sabine Heinefetter schon 1827 in Berlin kennen gelernt, bewundert und liebgewonnen, als sie – „kurfürstlich hessische Hofopernsängerin aus Cassel – auf der Berliner Hofbühne Triumphe feierte, obgleich damals auch Henriette Sontag in Berlin sang. Schnell war ein wenig Toilette gemacht, und wir konnten in der Directionsloge noch den zweiten Act der liebenswürdigen Oper genießen, Romeo Liebe flöten hören, kämpfen und sterben sehen und nebenbei auch den Schauplatz meiner bevorstehenden Bataillen recognosciren. Niederlage oder Sieg – dazwischen giebt es für eine erste Liebhaberin auf Gastreisen nichts.

Ein wunderschöner Romeo! Eine schlanke, stolze und doch weiche Jünglingsgestalt mit edlen ausdrucksvollen Zügen, liebeglühenden beredten Augen, Feuer und Wahrheit im plastischen Spiele und hochdramatischen Gesange, reinstes Metall in der Stimme – so sah ich Sabine Heinefetter nach sieben Jahren noch schöner, noch vollendeter im Gesange vor mir auf den Brettern, umrauscht von dem Jubel der musikenthusiastischen Prager.

Ich freute mich, daß auch Heinefetters im „Schwarzen Rössel“ wohnten, der altrenommirten Künstlerherberge Prags. Am andern Tage machte ich der liebenswürdigen Collegin mit der Mutter einen Besuch, und wir knüpften an der Moldau die einst an der Spree so freundlich gesponnenen Freundschaftsfäden fleißig und fröhlich wieder an. Bei Sabine fanden wir ihre Mutter, eine gute alte Frau, einfach und bürgerlich behäbig und sehr redselig in ihrem geliebten Mainzer Dialect. Ihr rundes rosiges Gesicht strahlte stets wieder von der Glücks- und Ruhmessonne ihrer Töchter. Die zweite, Clara, gastirte in Wien als Julia, Weiße Dame, Alice in Robert dem Teufel etc. mit bestem Erfolge, und die jüngste, Kathinka, sah ich jetzt zum ersten Male in Prag. Sabine war dreißig, Kathinka erst fünfzehn Jahre alt. Glich Sabine einer Juno Ludovisi, so erinnerte Kathinka an eine Hebe von Canova. Ein reizendes Kind! Blühend wie die Frühlingsgöttin, leicht und anmuthbeflügelt wie Psyche, heiter wie ein Sonnenstrahl und glücklich wie ein Sonnenkind umgaukelte sie uns und trällerte mit ihrer lieblichen Silberstimme neckische Lieder; „wie ein närrischer Zaunkönig“ lachte sie selbst. Dabei flatterten die lichtbraunen, goldig schimmernden Locken um das glühende Gesichtchen, und die hellen Rehaugen glitzerten, wie wenn die Morgensonne über’s Waldbächlein huscht, das über blanke Kiesel plätschert. Das knospende Rosenmündchen blühte auf; lachende Perlenzähne schimmerten hervor, und in Kinn und Wangen lachten reizende Grübchen, in denen hundert neckische Schelme und Liebesgötter saßen. Die Mutter lachte stolz und glücklich mit ihrem Goldtöchterlein, daß ihre runden Wangen zu Päonien erglühten, und sah uns beglückt an, als wollte sie sagen: Ist meine Kathinka nicht ein Blitzmädel? Kann es der wohl jemals fehlen?

Sabine aber zog mich an sich und flüsterte mir mit einem Seufzer zu: „Ach, wie wird es diesem armen holden Schmetterlinge noch ergehen, wenn er erst allein, ungehütet und ungezügelt seinen Weg durch’s Leben suchen soll! Noch ahnt er nicht die Stürme, die ihn hierhin und dorthin verschlagen, nicht die Dornen an Rosenhecken, an denen so manch schimmernd Flügelstücklein hängen bleibt, nicht die feinen Netze, die ihn umstricken können. Kathinka ist ein glückverwöhntes, fast zu leichtherziges und leichtblütiges Kind; mir bangt vor der Stunde, wo ich es von mir lassen muß. Und doch sehe ich diese Stunde schon kommen. Kathinka hat den entschiedensten Beruf zur Coloratursängerin und eine glühende Sehnsucht zur Bühne – richtiger wohl: zu den Triumphen auf derselben. Bis jetzt habe ich sie allein ausgebildet. Im Herbste soll sie nach Paris gehen, um bei Cordoni ihre musikalische und theatralische Bildung zu vollenden. Die Gräfin Merlin und Maria Malibran wollen sie beschützen und in die musikalische Welt von Paris einführen, wie einst mich. Gott gebe, daß Alles gut gehe! Mir ist der Weg zur Bühne und über die Bühne nicht von allen Seiten so freundlich geebnet und mit Rosen bestreut, wie meiner jungen Schwester. Ich habe mir den Platz, den ich heute in der Oper einnehme, schwer erkämpfen müssen. Aber in diesem Kampfe erwirbt man sich auch nur, was der Kathinka so ganz fehlt: Lebensernst, Sicherheit, Charakter. … Kind, was manövrirst Du da schon wieder am Fenster, hüpfend und dienernd wie ein Eichhörnchen in der Drahtrolle? Gewiß machen die Studenten und Lieutenants wieder Fensterpromenade.“

„Natürlich, meine sehr ernsthafte Schwester. Denn dazu sind sie ja doch nur da auf den sonnigen Pflastersteinen dieser schönen Welt. Ach, es geht nichts über die Wonne und die Ehre, sich vom blankpolirten Militär und buntbebänderten und betroddelten Bruder Studio so massenhaft angebetet zu sehen.“ Und dabei spreizte sich das zierliche Persönchen mit so neckischer Coquetterie und so komischer Gravität, die anbetenden alten und jungen Officiere und die flotten Studenten auf der Fensterpromenade vor unserem Sopha parodirend, daß wir bald fröhlich in das kindliche Gelächter des „närrischen Zaunkönigs“ einstimmen mußten. Aber bei der guten Sabine mischte sich doch wieder ein kleiner Seufzer und ein bedenkliches Kopfschütteln der Sorge hinein. Sie war eine offene, ehrliche Natur, treu und wahr, gesund und praktisch. Sie verschmähte selbst die unschuldigste Coquetterie, nicht selten sogar zum Nachtheile ihrer Bühnenerfolge. Und das mit klarem Bewußtsein.

„Ich kann nicht Zärtlichkeit heucheln,“ sagte sie mir einst. „Für mich giebt es nur eine Liebe: ‚himmelhoch jauchzend‘, oder: ‚zum Tode betrübt‘. Darum bange ich auch so sehr um Kathinka’s flatterhaftes Schmetterlingsherz.“

Ja, Sabine Heinefetter hatte den Weg durch’s Leben, auf die Bühne und auf die jetzige Höhe ihres Künstlerruhmes nicht fo freundlich geebnet und ehrenbeglänzt vorgefunden, wie Kathinka durch die aufopfernde Liebe ihrer Schwester. Sie erzählte mir einst mit Wehmuth von ihrer freudelosen Kindheit und von den Demüthigungen, Rohheiten und Gefahren, durch die ihre blühendsten Mädchenjahre gegangen. In Armuth geboren, in Armuth und Unwissenheit aufgewachsen, mußte sie als zartes Mädchen durch die Straßen und Kneipen von Mainz wandern und zu ihrer armseligen Harfe Lieder singen, wie der rohe Haufe sie begehrte und bezahlte. Hunger thut weh – noch weher aber, Mutter und Geschwister und die alte Großmutter zu Hause hungern zu sehen. Da hörte einst ein edler Kunstfreund das schöne sittsame Mädchen zu ihrer klirrenden Harfe ein Volkslied singen, einfach, rührend und mit glockenreiner voller Stimme. Er geigte ihr die Scala und immer schwierigere Passagen und kunstvollere Figuren vor – und die arme Harfenistin sang sie nach dem Gehöre mit bewundernswürdiger Reinheit und Präcision nach. Jetzt erhielt Sabine ihren ersten Musikunterricht und Gelegenheit, in Schul- und geselliger Bildung viel Versäumtes nachzuholen. Schon 1824 konnte sie mit neunzehn Jahren zu Frankfurt am Main zum ersten Male die Bühne betreten. Sie sang in Weber’s „Euryanthe“ das Mailied. Ihre herrliche Stimme und Schönheit erregten Aufsehen, so daß Ludwig Spohr, seit einigen Jahren kurhessischer Hofcapellmeister, Sabine für die Oper in Kassel engagirte und sich ihrer weitern musikalischen Ausbildung liebevoll annahm. Er studirte ihr seine Opern „Berggeist“, „Jessonda“ und „Pietro“ ein. Sabine machte bei ihren glänzenden Mitteln, ihrem Fleiße und edeln Ehrgeize überraschende Fortschritte. Das brillante Gastspiel an der Hofoper in Berlin 1827 machte den Namen Sabine Heinefetter schnell zu einem berühmten. Berauscht von diesem Erfolge und dürstend nach der höchsten musikalischen Ausbildung, suchte Sabine ihren Contract in Kassel zu lösen. Der Kurfürst Wilhelm der Zweite verweigerte ihr die Entlassung … und da war die

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