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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Eine Mutter sucht ihr Kind“.

So überschrieben wir im April 1872 eine Nachfrage nach dem Aufenthaltsorte des Töchterchens einer jungen Mutter, der das Kind widerrechtlich entrissen und seitdem vorenthalten sei.

Wir verschwiegen damals, daß diese Mutter von dem Vater des Kindes durch gerichtliche Ehescheidung getrennt, und daß Letzterer, als der schuldige Theil, nicht nur mit Gefängniß und dem Verbote der Wiederverehelichung bestraft, sondern auch verurtheilt worden war, der Mutter das Kind und ihr eingebrachtes Vermögen auszuliefern und jährlich eine bestimmte Alimentationssumme an sie auszuzahlen. Denn obwohl die Redaction der „Gartenlaube“ sich durch Einblick in die betreffenden Actenstücke des Obergerichts in Lüneburg und des Appellationsgerichts in Celle, sowie in Zuschriften und amtliche Zeugnisse der Irrenanstaltsdirection in Werneck und zahlreiche Briefe von der Wahrheit der Angaben der Frau von Estorff überzeugt hatte, so trat uns aus allen jenen Papieren doch ein so abschreckendes Familienbild entgegen, daß wir eine weitere Aufdeckung des Schleiers von demselben um so mehr vermieden, als für unseren Wunsch, der verlassenen Dame zum Wiederfinden ihres Kindes und dadurch, zu der Möglichkeit einer gerichtlichen Verfolgung ihres Rechts zu helfen, die einfache Anfrage genügen konnte.

Allerdings wurde dieser nächste Zweck auch erreicht. Es kamen so viele Nachrichten aus den verschiedenen Aufenthaltsorten des Kindes, daß der kurze und doch schon vielbewegte Lebenslauf desselben klar vorlag. Da Herr von Estorff von den deutschen Gerichten steckbrieflich verfolgt wird, weil er die ihm zuerkannte Gefängnißstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, so reiste er meist unter anderem Namen, und ebenso mußte auch das Kind seinen Namen in den einer „Julie Schack“ verwandeln lassen. Als Agnes von Estorff fand man es auf Schloß Ruckenstein in Krain wieder, dessen Besitzerin Herrn von Estorff geheirathet hatte. Von hier kam das Kind zu dem mit allen früheren Verhältnissen desselben bis dahin unbekannt gewesenen evangelischen Geistlichen in Laibach in Pension und Erziehung.

Nachdem auf diese Weise Frau von Estorff den Aufenthaltsort ihres Kindes und des Herrn von Estorff entdeckt hatte, gab sie durch ihren Rechtsanwalt in D., der bei den ehemals hannoverschen, jetzt preußischen Gerichten ihren Ehescheidungsproceß und die übrigen mit diesem in Verbindung stehenden Rechtsstreite vollständig gewonnen und die Verurtheilung des Verklagten wegen des von ihm begangenen Ehebruchs zu einer dreimonatlichen Gefängnißstrafe erwirkt hatten der Kronanwaltschaft in Lüneburg Nachricht davon und ersuchte diese, behufs Vollstreckung der mehrfachen gegen den Verklagten ergangenen condemnatorischen Urtheile das betreffende österreichische Gericht zu requiriren. Dieses Requisitionsgesuch wurde von dem Landesgerichte Laibach an das k. k. Kreisgericht in Rudolphswerth abgegeben, weil dorthin Ruckenstein, das Besitzthum der zweiten Frau des Herrn von Estorff, gehöre. Die nächste Folge desselben war eine Verfügung des k. k. Gerichts an den evangelischen Geistlichen in Laibach, das Kind in seiner Obhut zu behalten bis zum Ausgange des Processes.

Wir durften nun hoffen, von da an in kurzer Zeit unseren Lesern das erfreuliche Resultat unserer Nachfrage nach dem Kinde mittheilen zu können, ohne in die Familiengeschichte näher eingehen zu müssen. Da erschien im Inseratentheile von „Ueber Land und Meer“ eine „Mehrere Mitglieder der Estorff’schen Familie“ unterzeichnete „Erwiderung“ auf unsere Nachfrage nach dem vermißten Kinde. Dasselbe Schriftstück war vorher der Redaction der Gartenlaube, und zwar von der Hand des Herrn von Estorff selbst geschrieben, wie sich aus der Vergleichung mit anderen Briefen desselben sofort ergab, zur Veröffentlichung mitgetheilt worden. Wir hielten es deshalb für unsere Pflicht, das Original dieser „Erwiderung“ dem k. k. Landgerichte in Rudolphswerth einzusenden. Was darin der Welt preisgegeben war, ist das Aeußerste, was ein Mann einem Weibe gegenüber begehen kann. Herr von Estorff stellt sich hier als das unschuldige, beklagenswerthe Opfer absichtlichster Bosheit hin, jede, auch die geringste Schuld und Fehle von sich abwälzend. Und so listig war die Einsendung des Inserats geschehen, daß Herr Eduard Hallberger eine Gegenerklärung der Frau den Estorff zurückwies, weil die Einsendung jener „Erwiderung“ nicht vom Herrn von Estorff, sondern von einem ihm als durchaus ehrenhaft und zuverlässig charakterisirten Manne geschehen sei. Als wir aber als Resultat unserer Nachforschungen Herrn Ed. Hallberger berichten konnten, daß jener Mann „kein ehrenwerter Charakter, sondern soeben zu anderthalbjährigem Gefängnisse wegen Unterschlagung verurtheilt und als Anwalt abgesetzt sei“, und dem auch unsere Erkundigungen über Herrn und Frau von Estorff beifügten, schrieb Herr Hallberger sofort, daß er nunmehr es für seine Schuldigkeit halte und sich freue, durch kostenfreie Ueberlassung des erforderlichen Raumes für die „Erklärung“ der Frau von Estorff beitragen zu können, dem seiner Zeitung auf eine geschickte Art zugespielten „boshaften“ Angriffe auf die unglückliche Dame zu begegnen.

Diese Erklärung war die folgende:

„Die unwahren Anschuldigungen und Verleumdungen, welche angeblich von ‚Mehreren Mitgliedern der Estorff’schen Familie‘ in Nr. 51 dieses Blattes gegen mich veröffentlicht sind, rühren nicht von diesem sondern von dem von mir gerichtlich geschiedenen niederländischen Kammerherrn a. D., Freiherrn Georg Otto Karl von Estorff, her, von dessen eigener Hand geschrieben das Original, wie es der Redaction der ‚Gartenlaube‘ eingesandt war, bei den Acten der k. k. Staatsanwaltschaft zu Rudolphswerth bei Laibach niedergelegt ist. Durch welche Mittel derselbe mich in die Irrenanstalt zu Werneck in Baiern gebracht, übergehe ich hier, nicht verschweigen darf ich aber, daß er den Direktor der Anstalt, Professor Dr. Gudden, zu überzeugen suchte, mich beherrsche die Wahnidee, daß er mit einem Fräulein von Bünau aus Baiern, die er mir als Gesellschafterin aufgezwungen hatte, in einem sträflichen Verhältnisse lebe. Diese angebliche Wahnidee war aber so volle Wahrheit, daß von Estorff auf meine Anklage vom Obergerichte in Lüneburg und vom Appellationsgerichte in Celle des Ehebruchs überführt und zu drei Monaten Gefängniß, Herausgabe meiner Tochter und meines Vermögens verurtheilt wurde und ihm als schuldigem Theile die Wiederverehelichung untersagt ward. Diesem gerichtlichen Urtheile entgegen nahm von Estorff meine Tochter mit sich in die Schweiz und nach Oesterreich und brachte dieselbe als ‚Julie Schack‘ u. A. längere Zeit in einer Pension zu Wilhelmsdorf in Württemberg unter. Er selbst reiste ebenfalls unter den Namen Herr Schack oder Baron Schack. Zwölf Jahre hat er mir mein Kind und jeden Genuß von meinem Vermögen entzogen; zwölf Jahre lang lebe ich hier in der allergrößten Einschränkung, indem ich es ehrenvoller finde, lieber die härtesten Entbehrungen zu ertragen, als die Hülfe meiner Verwandten mehr, als wie dringend nöthig ist, in Anspruch zu nehmen. Meine Rechtfertigung steht wohl sonnenklar in den Acten der obengenannten Gerichte und der Kronanwaltschaft in Lüneburg. Da diese jedoch nicht an die Oeffentlichkeit gezogen werden können, so wird die durch die ‚Erwiderung‘ in 51 dieses Blattes selbst mit angegriffene Redaction der ‚Gartenlaube‘ meine weitere Vertheidigung gegen die auf mich gehäuften Anschuldigungen auf Grund derselben übermittelten Dokumente, Actenstücke und Briefe in die Hand nehmen.

      Mergentheim, den 16. November 1873.

Freifrau von Estorff.“

Was den Angriff auf die Gartenlaube betrifft, so nennt in seiner „Erwiderung“ Herr von Estorff unsere Anfrage nach dem Kinde „ein fälschliches Inserat“, und es liegt uns nun schon deshalb die Pflicht ob, der Oeffentlichkeit gegenüber den Beweis zu liefern, daß unsere Angaben „nicht fälschlich“ waren. Wenn wir nun damals, trotz dieser doppelten Veranlassung, nicht sofort mit der zugesagten „Vertheidigung“ und unserer „Rechtfertigung“ hervortraten, so geschah dies wiederum, weil wir von Woche zu Woche auf die Entscheidung des Gerichts hofften, weil wir einen günstigen Ausgang erwarteten und darum glaubten, daß der versöhnende Erfolg auch unsere übrigen Mittheilungen mildern könne.

Leider hatten wir uns in Allem getäuscht. Ihres Vermögens durch Herrn von Estorff völlig beraubt und schon in’s dreizehnte Jahr in äußerster Dürftigkeit lebend, hatte Frau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_472.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)