Seite:Die Gartenlaube (1875) 467.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


gleichmüthigen Wesen; es war das zärtliche Braut- und Liebespaar, mit dessen Hochzeitladung der Trompeterfranzl eben seinen Umritt durch den Gau angetreten hatte.

Die Glücklichen saßen Hand in Hand und sahen einander wie verzückt in die Augen: Sie gewahrten und beachteten nicht, daß sie so viele Zeugen ihrer Zärtlichkeit hatten und manch’ spöttischer Blick und Wink sich mit ihnen beschäftigte; für sie war die Ecke, in der sie saßen, eine selige Insel, und was darüber hinausreichte, war ihnen nicht mehr als das Brausen des Gewässers, das unmächtig an dem Ufer emporschlägt. Sie waren nur mit einander beschäftigt, hatten Aug’ und Ohr nur für einander und achteten auch der beiden Männer nicht, die, an einer andern Ecke sitzend, sich ebenfalls mit ihnen beschäftigten, und zwar mit verschiedenen Empfindungen.

Der Eine, in den standesmäßigen blauen Müllerrock gekleidet, auf dem breite Silberknöpfe prunkten, ließ auf den ersten Blick den behäbigen Landbewohner erkennen, der sich seines Reichthums mit Selbstgefühl und nicht ohne Eitelkeit erfreut und es nur als Zeichen gebührender Ehrfurcht hinnimmt, wenn ein minder bemittelter Bauer oder Söldner vor dem volleren Geldsack den Hut bis zur Erde zieht. Ein gutmüthiges, nicht übertrieben kluges Gesicht mit einer Krummnase, grauen Augen und grauen buschigen Brauen darüber verlor sich in einen so völlig kahlen Scheitel, daß es unmöglich war, die Grenze zu bestimmen, an welcher die Stirne endete und die Glatze begann. Die Hände behaglich über den Tisch gefaltet, sah er auf sein schmuckes Töchterchen hinüber und schien sein herzliches Wohlgefallen an ihr zu haben; dabei hörte er gelassen seinem Nebenmanne zu, der sich nahe zu ihm beugte und mit gedämpfter Stimme eifrig und eindringlich in ihn hineinredete. Der Nebenmann kennzeichnete sich sofort als entschiedener Städter; sein ganzer Anzug bestand aus gelbem Nanking; sogar die Schuhe waren aus diesem Zeuge gefertigt und auch der leichte auf dem Tische liegende Hut mit demselben überzogen. Die Kleidung gab ihm allerdings ein ungewohntes, selbst etwas wunderliches Aussehen, aber sein ganzes Wesen erschien als das eines feinen und anständigen Mannes, der nur etwas zu viel Wohlgefallen an sich selber finden mochte. Seine Gesichtszüge waren durch nichts ausgezeichnet, aber nicht unangenehm, und die unverkennbare Betrübniß, die sich in denselben ausprägte, verlieh ihnen sogar etwas Anziehendes. Er hatte die Goldbrille, die er gewöhnlich zu tragen pflegte, neben sich auf den Tisch gelegt, um bei seinem kurzen Gesicht das Glück des kosenden Paares nicht so deutlich gewahr zu werden. Als er mit seiner Rede zu Ende war, glänzte es in seinen wasserblauen Augen, daß man zweifeln konnte, ob sie in ihrer eigenen Farbe leuchteten oder von einem Thränentropfen, der in dieselben geschossen war.

Als er ausgesprochen, ließ ihn der Müller noch eine Weile auf die Antwort warten; er besann sich auf dieselbe und kraute sich die Platte, als juckten ihn die Haare, die vor langer Zeit dort gestanden. „Es ist das Alles recht gut und schön, Herr Gemeter,“ sagte er dann, sich den Berufsnamen des Gelben mundgerecht machend, „aber jetzt ist halt nichts mehr zu machen; das Mädel ist vergeben; die Hochzeit ist schon festgesetzt und der Hochzeitlader ist mit meinem Schweißfüchsel schon unterwegs – da beißt die Maus keinen Faden mehr ab, und ich kann mein Jawort nicht mehr zurück nehmen. So müssen sich halt der Herr Gemeter die Sach’ aus dem Sinn schlagen: ein Herr wie Sie, der findet zehn Weiber für Eine, und meine Mechel hätt’ für jeden Fall auch nicht hinein getaugt in die Stadt und zu den Stadtfrauen, und wenn ich deutsch von der Leber weg reden soll, so ist es mir am Ende auch lieber, ich habe das Mädel, das nun doch einmal meine Einzige ist, in der Nähe bei mir, als daß ich allemal eine Reis’ machen muß, wenn ich sie sehen und mich erkundigen will, wie es ihr geht …“

„O, mit alledem hätte es keine Gefahr gehabt,“ entgegnete der Geometer. „Ihre Tochter ist so begabt und aufgeweckten Sinnes, daß sie in kurzer Zeit in der Stadt und den städtischen Verhältnissen zu Hause gewesen wäre, und was die Entfernung von Ihnen betrifft, so hatte ich mir auch schon meinen Plan ausgedacht, wie dieselbe beseitigt werden könnte.“

„So? Wie wär’ denn das möglich?“ fragte der Müller, dem die Bewerbung des Stadtherrn unverkennbar schmeichelte. „Es ist zwar zu nichts mehr nutz, aber das möcht’ ich doch wissen, wie Sie das angestellt hätten, daß meine Mechel bei Ihnen in der Stadt und doch zugleich bei mir, in der Grubenmühl’ hätte sein können.“

„Nichts leichter als das,“ war des Geometers rasche Erwiderung, „es hatte dazu nichts anderes bedurft, als daß Sie eben auch nicht in der Grubenmühle geblieben wären. Sie sind ein so reicher Mann, Herr Müllermeister, daß Sie nicht nöthig haben, sich noch zu plagen und zu arbeiten. Sie haben sich in Ihrem Leben soviel geplagt und gearbeitet, daß Sie sich wohl eine verdiente Ruhe gönnen könnten.“

„Zu all’ den zwei Sachen sag’ ich justament nicht Nein,“ sagte der Müller mit selbstgefälligem Kopfnicken.

Der Geometer aber fuhr eifriger fort: „Sie sind ein Mann, der jeder Stadt als Mitbürger Ehre machen würde. Sie hätten nach meinem Sinne die Mühle verkauft, wären mit in die Stadt gezogen und wir hätten eine Familie ausgemacht. Sie hätten Ihre Jahre angenehm verbringen können; ich hätte Sie in die Gesellschaften geführt, in denen ich überall Mitglied und bekannt bin – am grünen Baum im Apollosaale, bei den Stahlschützen und vor Allem auf dem Hofbrauhauskeller, wo jeden Samstag die vornehmsten Beamten zusammen kommen, lauter Controleure, Revisoren, Secretäre und Commissäre, und ich weiß gewiß, in sechs Wochen hätten Sie gar nicht mehr daran gedacht, daß es eine Grubenmühle giebt.“

Der Plan behagte und schmeichelte dem Müller. Er sah sich ordentlich im Geiste schon in der vornehmen Gesellschaft sitzen und fuhr sich erregt über den kahlen Kopf, als wollte er die Gedanken beschwichtigen, die sich darunter zu regen begannen. „Hm,“ sagte er dann, „das haben der Herr Gemeter ganz fein ausgediftelt; das hätt’ sich justament hören lassen können, aber da hätten Sie halt früher das Maul aufmachen müssen. Warum haben Sie denn nicht gered’t, wie Sie zur Vermessung in die Mühl’ gekommen sind? Damals hat sich noch nichts angesponnen gehabt, und wenn Sie Ihre Ansprache bei dem Mädel angebracht hätten, wär’ sie vielleicht gerade so gut Ihre Hochzeiterin, als sie jetzt die vom Brunner Zachariesel ist.“

„Ich wollte nicht so mit der Thür in’s Haus fallen,“ sagte der Geometer, „ich dachte, in der kürzesten Zeit wieder kommen zu können, wurde aber an einen andern Ort zur Vermessung geschickt, und als ich nach vier Wochen wieder auf der Grubenmühle einsprach, war es zu spät und die Verlobung mit diesem unglückseligen Zachariesel bereits geschehen. Wie hätte ich ahnen können, daß sich so etwas ereignen, daß ein Mädchen, wie Ihre Tochter, so gebildet und im Kloster erzogen, sich an einen Bauer wegwerfen könnte.“

„Das müssen Sie nit sagen, Herr Gemeter,“ unterbrach ihn der Müller, der keinen Tadel seiner Tochter ertrug, auch wenn er selber nicht mit ihr zufrieden war; „die Grubenmüller-Mechel“ wirft sich niemals nit weg, und mit dem Zachariesel ist es auch nit so weit gefehlt. Ein Bauer ist er wohl, aber ein richtiger und so in das Mädel verschossen, daß er sie gewiß auf den Händen tragt: sonst ging er nicht von seinem Gut in die Mühl’ und wollt’ das Geschäft lernen und ein Müller werden. Wie ich halt sag’, der Herr Gemeter hätten halt früher sprechen sollen, nachher hätten wir vielleicht reden können von der Sach’ und von dem in die Stadt ziehn – jetzt laßt ihn die Mechel nimmer; jetzt hat sie sich einmal darauf gesteift. Das geht bei einem Kopf wie der ihrige so wenig wieder zurück, wie an einem Baum zuerst die Frucht kommt und nachher die Blüh’.“

„Ich sehe das wohl ein,“ entgegnete der Geometer betrübt, „und wenn ich’s auch nicht einsähe, müßt’ ich es glauben, wenn ich nur mit einem Blicke auf das Paar hinüber sehe, aber begreifen kann ich es immer noch nicht.“

„Da ist nicht viel zu begreifen,“ sagte der Müller, „ein sauberer Bursch’ ist er, der Zachariesel – das muß ihm sein Feind lassen; ein guter Lapp ist er auch, der Alles thut, was er ihr an den Augen absieht, und das ist ja das Liebste, was die Weiber haben wollen. Er hat von seinem Hofe drei gute Stunden bis auf die Grubenmühl’, und doch ist er schier jede Nacht herübergelaufen, bloß um ihr einen Blumenbuschen zu bringen, damit sie ihn, wenn sie in der Früh’ den Laden aufgemacht, gleich hat finden müssen. Hat aber noch eine andere Bewandtniß mit den Zweien,“ fuhr er etwas leiser fort, „und wenn dem Herrn

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_467.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)