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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Der Domänenrath lächelte, statt die mindeste Furcht zu zeigen.

„Je nun, wir fügen uns in das Unvermeidliche,“ sagte er dann gelassen. „Man wird mich nicht Zeitlebens einsperren wollen.“

„Sie nehmen die Sache ruhiger, als ich dachte,“ sagte die Comtesse, fast ein wenig durch die Gelassenheit Hartmann’s verletzt. „Freilich wird Ihre Haft weder zu lange dauern noch zu hart sein, wenn mein Wort noch irgend etwas gilt. Aber bedenken Sie nicht, daß ich selbst vielleicht besondere Pläne verfolgen könnte, bei welchen mir Ihre Verhaftung einen gewaltigen Strich durch die Rechnung ziehen würde?“

„Dann freilich muß und werde ich frei sein um jeden Preis,“ entgegnete Hartmann entschlossen. „Darf ich etwas Näheres über diese Pläne erfahren?“

„Wenn Sie mir versprechen, daß meinem Bruder und einigen Herren vom Hofe, die Sie, wenn uns das Glück günstig ist, in Ihre Hand bekommen könnten, durchaus nichts Uebles widerfahren wird.“

„Muß ich das erst versprechen, Charl – Erlaucht?“ fragte der Domänenrath vorwurfsvoll.

„Nein, nein, ich bitte um Verzeihung! Darum kurz. Ich erfuhr schon gestern, daß irgend Etwas gegen Sie im Werke sei, aber nichts Sicheres – ich wußte nichts Sicheres. Als ich deshalb meinen Bruder aufsuchte, war er schon ausgefahren. Erst im letzten Augenblicke leider kam mir der Gedanke, daß wir die Herren in Ihrem Forste finden würden. Frau Weiß hat nachgeforscht und diese Meinung bestätigt gefunden. Nur um mich im Dunkeln zu lassen, hat Straff die Herren in seinem Wagen entführt. Wenn wir also die vornehmen Wilderer erwischen, so könnte das Lösegeld, das Sie, natürlich nur mit Vorsicht, fordern werden, uns aus allen Nöthen befreien. Eben deshalb bin ich die halbe Nacht hindurch geritten und habe auch für alle Fälle den Junker mitgebracht.“

„Prächtig!“ rief der Domänenrath mit blitzenden Augen. „Wie viel Mann stehen draußen?“

„Höchstens zwanzig, Herr Domänenrath,“ antwortete ein Brandenfelser, der dem Portale näher stand.

„So brechen wir hindurch! Wer steht zu mir, Ihr Leute?“

„Ich, ich, ich auch,“ rief es von allen Seiten.

„Keine Gewaltthaten meine Herren, wenn ich bitten darf!“ mahnte die Comtesse. „Mein Bruder liebt seine Garde und dürfte ihre Beschimpfung nicht wohl aufnehmen.“

Die Comtesse schritt den Anderen voran bis unter das Portal und wandte sich dann an den Gardehauptmann. „Hören Sie mich, Herr von Felsewitz!“ sagte sie mit möglichster Entschiedenheit. „Unterlassen Sie auf meine Verantwortung die Verhaftung!“

„Erlaucht, das geht meiner Seele nicht. Kenne den Grund meiner Ordre nicht, muß sie aber wirklich erfüllen.“

„So hören Sie mich, Herr Hauptmann!“ begann der Domänenrath, der inzwischen gleichfalls unter das Portal getreten war.

„Nein, Sie höre ich jetzt gar nicht!“ rief dagegen der Hauptmann, durch all das Eindrängen halb und halb außer sich gebracht. „Sie verhafte ich. Das ist er. Nehmt ihn fest, Ihr Leute!“

Die Gardisten drangen auf dieses Commando des Hauptmanns gegen Hartmann vor, der aber von seiner Tochter und der Comtesse schleunigst nach dem Inneren der Kirche zurückgezogen wurde. Einige entschlossene Männer aus dem Orte schlugen zugleich das schwere Thor hinter ihm zu und schoben dann noch die rostigen Eisenriegel von innen vor.

„Was machen wir nun Feld–. Ja so, der ist an der andern Seite. Eine ganz heillos verflixte Geschichte! Da drinnen soll ich ihn nicht verhaften, und heraus kommt er nun gewiß nicht, wenn er klug ist. Da können wir hier stehen bis übermorgen.“

Des weiteren Nachdenkens wurde der unglückliche Hauptmann durch ein ganz unerwartetes Ereigniß überhoben. Die Nachricht, daß eine Compagnie der gräflichen Garde eingerückt sei, hatte sich wie ein Lauffeuer durch den ganzen Marktflecken verbreitet und bald eine beträchtliche Menschenzahl unter den Linden des sonst so stillen Kirchplatzes versammelt. Von einzelnen Ortsbürgern, welche die Kirche ungehindert hatten verlassen dürfen, war dann unter der Menge auch der wahre Grund dieser Maßnahmen bekannt geworden und hatte unter derselben eine um so größere Aufregung hervorgerufen, als sich Hartmann der allgemeinen Liebe und Achtung erfreute.

„Des sullten mer nich liede, Kinger,“ hörte man einen der langröckigen Burschen dem anderen zuflüstern. „Wos? Verorretirt, wenn he vun der heiligen Communion kimmt? Die Kerls sull jo Dieser und Jener –“

„Host Rächt, Casper. Dos lieden mer nich. Nei!“

Schon blitzten zornige Augen; schon hoben sich sehr massive Arme und Hände und schienen die Schilderung, welche der unglückliche Hauptmann seinem Feldwebel von den Bewohnern des Ortes entworfen hatte, durch die That als sehr treffend darthun zu wollen.

Da trat noch zur rechten Zeit eine bekannte, untersetzte Gestalt unter die Menge.

„Macht keine Dummheiten, Jungen!“ rief er den rauflustigen Burschen zu. „Rebelljon gegen die hochgräfliche Garde ist immer ein garstiges, kitzliges Ding.“

„Wos? dos sagt Die? Sied Die dänn nich jetzt bi den Domänrothe in Diensten?“

„Nun freilich.“

„Un Die wullt Uren Härrn von den Kerls do fortschleppe losse? Pfui, schämt Uch was, Christion!“

Der Alte zwinkerte listig mit den Augen.

„Nur keine Rebelljon, sage ich,“ entgegnete er dann. „Seht, ich setze aber den Fall, es entstünde so ganz zufällig – versteht Ihr? – vor der Kirche ein kleines Gedränge. Glaubt Ihr, daß die alten, steifen Burschen da mit ihren Bärenmützen den Domänenrath aufhalten könnten?“

„Minner Six, Kinger, do hat der Christion Rächt. Dos giebt en Hauptspooß, Jungens. Kummt här! Aber stille, ’mont gonz stille! Jo, ich ho’s immer gesat, der Christion is ein Schlaukopp, wie’s kenn witer gät. Vurwärts!“

Bald hatte sich dicht hinter der schwachen Section, welche das Kirchthor besetzt hielt, ein Trupp jener verwegenen Burschen eingenistet, der zuerst blos neugierig zwischen den Schultern der Gardisten hinweg in das Innere des Portals zu blicken suchte. Die Sache erschien so unverfänglich und die jungen Leute traten so ruhig und bescheiden auf, daß der arglose Hauptmann gar nicht versuchen mochte, dieselben fern zu halten. Denn das sah doch nimmermehr aus wie eine Emeute, die mit Waffengewalt zu unterdrücken wäre.

Plötzlich jedoch und wie auf Commando änderte sich die Scene. Von einer starken Macht nach vorn gedrängt, schoben die den Gardisten zunächst stehenden Bursche den kleinen Trupp der Bewaffneten so unerwartet rasch zur Seite, daß die alten, ungelenken Bärenmützen gar nicht daran denken konnten, von ihren Kolben oder Bajonneten Gebrauch zu machen, um so weniger, als die nächsten jungen Leute selbst sich schimpfend und schreiend über die ungebührliche Drängelei dort hinten beschwerten.

„Halt! Bataillon halt!“

Der Hauptmann rief es umsonst mit aller Kraft seiner Lunge. In dichtem Knäuel drängte die Menge in das Portal. Was darauf geschah, entwickelte sich so rasch, daß selbst eine stärkere Macht den Vorgang nicht hätte verhindern können. Der Hauptmann, hülflos in eine Ecke hineingepreßt, bemerkte nur noch, wie hier und dort zerstreut eine der riesigen Bärenmützen wirbelnd in dem Getümmel herumgetrieben wurde, wie die Gardisten sich halb fluchend, halb lachend, aber ohnmächtig gegen die Uebermacht sträubten. Dann sah er, wie sich in seiner Nähe die Kirchthür öffnete und wie ein Hut, unter dem er den Domänenrath vermuthete und dessen Träger von den Versammelten vorwärts gezogen und gedrängt wurde, in stürmischer Eile durch die Menge nach dem freien Ausgange sich bewegte.

„Halt, halt! Gewehr zur Attaque rechts!“ hörte man den Hauptmann noch einmal befehlen. Aber schon war auch diese äußerste Maßnahme eine verspätete. Hartmann saß bereits auf dem Pferde der Comtesse und jagte in Carrière seinem sichern Schloßgute zu; der Hauptmann aber durfte mit besserm Rechte als jemals seinem rasch herbeigeeilten Factotum zurufen: „Feldwebel, in des Kukuks Namen, was machen wir nun?“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_427.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)