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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Christian. „Und dazu kommt es auch noch in Betreff eines gewissen windigen Jemand. Wenn ich ihn nur einmal unter vier Augen fasse, so wahr ich Christian Blümchen heiße –“

„Der Oberlandjägermeister hat Sie also wirklich entlassen?“

„Was? Mein Herr? Dummes Zeug! Die gnädige Frau macht bei uns Alles, und sie hat mich auch fortgeschickt. Der arme, gnädige Herr, sehen Sie, der thut mir in der Seele leid. Das Lügen kann er nun einmal nicht lassen, und wer soll ihm nun helfen, wenn der Christian nicht mehr da ist? Es ist meiner Seel’ zum Erbarmen.“

„Ich verstehe nur nicht, wo Oberlandjägermeisters das Geld hergenommen haben, um Sie abzulohnen.“

„Das geht auch im Grunde uns Beide nichts an, Frau Weiß. Genug, die Gnädige hat mir meinen ganzen Lohn für die letzten fünfzehn Jahre bei Heller und Pfennig auf einem Brette hingezählt.“ Der Alte schlug an die vollen Taschen, daß es hell darin klirrte.

„Wunderbar, höchst wunderbar!“ bemerkte Frau Weiß kopfschüttelnd. „Was gedenken Sie jetzt zu thun, Herr Blümchen?“

„Ich geh’ nach Brandenfels. Da bin ich geboren, und dort kaufe ich mir nun für mein Geld ein Häuschen. Der Domänenrath Hartmann hat mir auch schon die schönsten Anerbietungen gemacht, wenn ich in seine Dienste treten will, und das thu’ ich noch heute.“

„Dann darf man Ihnen also gratuliren. Wir freilich kommen dabei am schlechtesten weg; denn wir verlieren hier eine treue Seele, auf die wir Alle große Stücke gehalten haben. Wir haben uns immer gut vertragen. Nicht wahr, Herr Blümchen?“

„Na ob! Sehen Sie, Frau Weiß, wahrhaftig, wenn Sie nur ein klein Bissel jünger wären, dann heirathete ich Sie noch jetzt auf der Stelle.“

„Ei, was Sie da sagen!“ lachte die Kammerfrau munter und ohne die mindeste Empfindlichkeit über Christian’s Naivetät zu verrathen. „Also ich bin Ihnen schon zu alt? Sie sind aber doch wohl mindestens zwanzig bis dreißig Jährchen älter als ich?“

„Das ist bei uns Mannsleuten ganz ein ander Ding,“ entgegnete Christian mit würdevoller Entschiedenheit. „Sehen Sie, ich habe mir die Sache ganz genau überlegt, Frau Weiß, aber es geht eben nicht, nein, es geht durchaus nicht.“

„Dann werden Sie freilich diese gute Idee aufgeben müssen,“ erklärte die Kammerfrau mit einem schelmischen Lächeln, das ihr recht gut stand. „Aber wir sind von unserem Gespräche abgekommen. Wie war das Unglück nur möglich? O, mein Himmel, was hat uns dieser unerwartete Vorgang für üble Folgen gebracht! Alles war so gut eingefädelt; es war die beste kleine Intrigue im Gange, die ich jemals in diesem langweiligen Schlosse erlebt habe. Und nun? Der Faden, den wir schon in der Hand hatten, ist zerrissen. Der Graf kann den Hund nicht vergessen und zürnt mehr als je auf den Domänenrath, ja, was das Schlimmste ist, er grollt auch meiner Comtesse, weil sie ihm den Rath gegeben hat, nach Brandenfels zu reiten. Sagen Sie mir, liebster, bester Herr Blümchen, wie war es möglich, daß der unselige Tyras sich losriß?“

Der Alte schüttelte den kurzgeschorenen Graukopf mit einem überlegenen Lächeln.

„Losgerissen? Na, Sie glauben doch das dumme Zeug nicht?“ fragte er dann.

Frau Weiß sah ihren Gast mit großen Augen an.

„Ob ich es glaube?“ wiederholte sie dann. „Aber, du lieber Himmel, was soll ich denn sonst glauben?“

Der Alte zeigte mit seinem massiven Zeigefinger nach der tiefbraunen Stirn.

„Na, aber Frau Weiß!“ rief er dann. „Können Sie sich denn gar nicht denken, daß der Hund sich gar nicht losreißen konnte?“

Frau Weiß blickte noch erstaunter drein.

„Sie machen Einen durch Ihre Redensarten ganz confus,“ rief sie. „Tyras ist doch nun einmal losgekommen –“

„Ja, losgekommen, das ist ein ander Ding. Aber er hat die Leine nicht zerrissen, sondern –“ Der Alte unterbrach sich selbst, um aus seiner Tasche das Ende eines derben Strickes hervorzuziehen, das er der Kammerfrau vorhielt. „Sieht die Leine wie abgenutzt aus, Frau Weiß? he?“

„Nein, sie scheint mir in ganz gutem Stande zu sein.“

„Sehen Sie sonst nichts?“

„Ich gestehe, daß ich weiter nichts Bemerkenswerthes finde.“

„Natürlich. Sie haben eben keinen Hundeverstand, wie Unsereiner. Solch eine Leine zerreißen zwei Hunde, wie der Tyras, nicht.“

„Aber – „Er ist doch losgekommen, meinen Sie. Na, ich setze den Fall, ich nehme mein scharfes Taschenmesser heraus und feile und schabe damit tüchtig an der Leine herum, etwa so, auf und ab, so zerreißt sie natürlich an derselben Stelle, wenn dann der Hund einen plötzlichen Ruck thut.“

„Wäre es möglich? So hätte Johann den Tyras absichtlich losgelassen?“

„Natürlich, Frau Weiß. Er hat es geschickt genug angefangen, der Sappermenter, aber ich sah es doch sogleich. Bis hierher hat der Schurke geschabt.“

„Und Sie theilten diese Entdeckung Niemand mit?“

„Wem denn? Der Graf war ja so zornig, wie ein Puthahn, wenn gepfiffen wird. Ich hätte meine tüchtige Tracht Schläge weggehabt, ehe ich mich nur mit ihm auseinandersetzen konnte, und ging ihm deshalb aus dem Wege. Oder etwa meinem Herrn, der an nichts weiter denkt als an seine Lügengeschichten? Oder dem Präsidenten? Da wäre ich vollends an den Rechten gekommen; denn der gerade hat mit dem Johann diese ganze Suppe eingebrockt.“

Die Kammerfrau schlug die kleinen rundlichen Hände zusammen. „Nein, das muß ich meiner Comtesse erzählen. Aber warum haben Sie nicht wenigstens an den Domänenrath geschrieben?“

Der Alte lachte hell auf. „Das möchte etwas Schönes geworden sein. Meinen Sie, ich hätte seit dreißig Jahren eine Feder angefaßt? Aber jetzt gehe ich hinüber, und dann soll der Domänenrath Alles wissen, wenn er’s nicht schon an dem anderen Ende des Stricks erkannt hat. Schönen Dank für die Bewirthung, Frau Weiß, und behüte Sie der liebe Gott derweil!“

Der Alte erhob sich, nahm Mütze und Rock und schritt nach der Thür.

„Nun, so gehen Sie mit Gott und viel Glück auf den Weg!“ sagte Frau Weiß in herzlichem Tone. „Apropos, ließe sich denn nicht eine Besprechung zwischen meiner Erlaucht und dem Domänenrath ermöglichen?“

„Warum nicht, wenn die Comtesse nach Brandenfels käme?“

„Das schickt sich nicht für sie. Hartmann muß hierher kommen.“

„Daß er ein Narr wäre! Er soll sich wohl einstecken lassen? Haben Sie denn noch gar nicht gehört, daß der Domänenrath seit dem Unglückstage Tag und Nacht durch Spione des Präsidenten bewacht wird? Sobald er über die Grenze kommt, nehmen sie ihn fest.“

„Gerechter Himmel! Auch das noch! Was nur meine Comtesse zu allen diesen bösen Nachrichten sagen wird.“

Da der Kammerfrau die wichtigen Neuigkeiten wie glühende Kohlen auf der Seele brannten, so hielt sie ihren Gast jetzt nicht länger auf, sondern entließ ihn rasch mit einem freundschaftlichen Händedruck, um dann sofort zur Comtesse zu eilen. Christian aber ging mit festen selbstbewußten Schritten über den Schloßplatz und dann den Burgweg hinab, um von dort seine Wanderung nach Brandenfels anzutreten. Er bog rasch entschlossen um den Garten des Präsidenten herum in den geraden und schattenlosen Feldweg nach Brandenfels ein und hatte bereits eine kurze Strecke desselben zurückgelegt, als er plötzlich nahe vor sich aus dem Graben ein bäuerlich gekleidetes Menschenkind auftauchen sah, das dort in aller Gemüthlichkeit geruht hatte und nun den letzten Streifen Speck auf einem handhohen Stücke Schwarzbrod in den Mund schob.

Die so unerwartet erschienene Figur des Bauern muthete den Alten alsbald heimathlich an. Ja, solche hellblaue Röcke mit kurzen Taillen und blanken Knöpfen, mit Bauschärmeln und langen baumelnden Schößen, solche runde breitkrämpige Hüte und hohe braune Gamaschen trug man nur in Brandenfels. Beim Näherkommen erkannte denn Christian auch in dem langsam und bedächtig daherschreitenden Wanderer einen alten Bekannten.

„Ei schönen guten Tag, Hannehendrich!“ grüßte er den Bauer freundlich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_411.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)