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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Rechnen wir zu den bezeichneten fürstlichen Personen noch die Menge der Bevollmächtigten mit ihrem Beamtenanhange und sonstigen Begleitern, die durch dieses seltene Ereigniß herbeigezogenen Capacitäten der Künste und Wissenschaften und die große Menge von Abenteurern aller Art und beiderlei Geschlechts, welche diesen Zusammenfluß höchster Personen und deren Reichthum und Genußbedürftigkeit auszubeuten gekommen waren, so gewinnen wir ein Bild von dem überreich belebten Treiben während des Congresses. Man sagt, es habe damals ein Zustrom von mehr denn hunderttausend Fremden stattgefunden. Die politischen Angelegenheiten wurden auf dem Congresse bekanntlich nur sehr beiläufig betrieben, und eine ununterbrochene Kette von Lustbarkeiten trat an die Stelle ernster Verhandlungen. So war denn auch das Witzwort des sarkastischen Fürsten de Ligne: „der Congreß tanzt, kommt jedoch keinen Schritt vorwärts“ für diese Versammlung durchaus bezeichnend.

Denn der Wiener Congreß hat bekanntlich im Laufe einer siebenmonatlichen Thätigkeit seine Aufgabe auch kaum annähernd gelöst, sondern fand vielmehr durch Napoleon’s unvermuthete Rückkehr ein plötzliches Ende.

Daß unter den angegebenen Verhältnissen die Damenwelt auf dem Congreß eine besonders dankbare Aufgabe für ihre Thätigkeit fand, versteht sich von selbst. Ueberdies war diese Thätigkeit eine ebenso angenehme wie lohnende, ganz abgesehen davon, daß die Damen dabei sowohl rein persönliche, wie fremde Interessen verfolgen konnten und zugleich die Gelegenheit fanden, Eitelkeit, Ehrgeiz und die Neigung zu Vergnügungen zu befriedigen. Diese so gewichtigen Momente hatten denn auch eine überaus große Anzahl der hochgestellten Damen aus allen Himmelsgegenden nach Wien geführt, woselbst sie während des Congresses eine fast hervorragendere Rolle, als die Diplomaten selbst spielten, ja mit diesen, wenn auch nur hinter den Coulissen, in ihren politischen Bestrebungen in der wirksamsten Weise rivalisirten. Ueberdies galt es, in den zur Unterhaltung der hohen Gäste eröffneten Salons die Wirthinnen zu machen, Lustbarkeiten aller Art zu ersinnen und wo möglich den Glanz und den lobenden Ruf anderer Salons noch zu übertreffen. Dies war aber bei dem fürstlichen und vornehmen Stande der Gäste, bei deren nicht eben kleinen Ansprüchen und der Uebersättigung derselben in Folge der von den kaiserlichen Wirthen dargebotenen überreichen Genüsse eben keine kleine Aufgabe.

Kaiser Franz war in dieser Beziehung unerschöpflich. Den Festlichkeiten bei der Einholung der Fürsten und Fürstinnen reihten sich die Feste in der Hofburg, in Schönbrunn und Laxenburg und die öffentlichen nationalen Feste, wie das Friedensfest, die Gedächtnißfeier der Schlacht bei Leipzig am 18. Oktober, die Zauberfeste bei Metternich, Carroussels, Schlittenfahrten, Eislauf, Maskenbälle, Ausflüge nach Ungarn, Jagden und hundert andere Vergnügungen und Festlichkeiten an. Ueberdies hatte sich der kaiserliche Wirth auch die Aufgabe gestellt, daß nicht nur jeder Tag, sondern sogar jede Tageszeit mit der angenehmsten Unterhaltung und Festlichkeit ausgefüllt würde. Die große Vorliebe des Kaisers von Rußland und des Königs von Preußen für militärische Exercitien beachtend, war er bedacht, dieselben sowohl durch an jedem Vormittage abgehaltene Paraden wie durch Manöver zu befriedigen. In den späteren Vormittagsstunden fand alsdann Empfang bei den Kaiserinnen und Königinnen statt; die eingetroffenen Fürsten und ihr Gefolge machten ihre Aufwartung bei Hofe und den bereits anwesenden fremden Persönlichkeiten.

Um zwei Uhr wurde die Mittagstafel in der Burg abgehalten, woselbst in dem Kaisersaal und in den Nebensälen täglich mehrere hundert Gäste speisten. Bei schönem Wetter machten die fremden Gäste noch einen Spaziergang auf der Bastei, und man sah daselbst den Kaiser Alexander gewöhnlich Arm in Arm mit dem Prinzen Eugen Beauharnois gehen, den König von Preußen mit den Königen von Baiern und Dänemark und die mit jedem Tage sich mehr vergrößernde Menge eingetroffener fremder Fürsten mit ihren Familien. Es herrschte bei diesen Spaziergängen die größte Ungezwungenheit. Die Fürsten gingen, wie in einem Badeorte, einfach bürgerlich gekleidet einher und verkehrten in der freundlichsten Weise mit einander und mit dem sich dabei in reicher Anzahl einfindenden Publicum. Daß die fürstliche und sonstige vornehme Damenwelt auf diesen Spaziergängen stets vertreten war, darf kaum bemerkt werden; fand sie doch daselbst die bequemste Gelegenheit, gesehen und bewundert zu werden.

Da nach der Tafel noch eine offene Zeit bis zum Abend blieb, so wurde diese durch Spazierfahrten in den Prater ausgefüllt, wo das zahme, daselbst gehegte Rothwild bis an den Wagen der Gäste kam und von diesen mit Brod gefüttert wurde. Falls nicht Feste in der Burg oder andere besondere Vergnügungen zu besuchen waren, zerstreute sich alsdann die Gesellschaft, und Jeder suchte sich Unterhaltung nach seinem Geschmack, theils in den Salons schöner und geistreicher Frauen, theils in der Oper, dem Ballet, Schauspiel, den Lust- und Possenspielen des Volkstheaters in der Leopold- und Josephstadt, oder in den Spectakelstücken des Theaters an der Wien und in dem Circus im Prater.

Unter den gekrönten Häuptern waren es ganz besonders der Kaiser von Rußland und der König von Preußen, welche sich der allgemeinsten Verehrung erfreuten, namentlich jedoch war es der Erstere, dessen leutseliges und heiteres Benehmen ihn schnell zum Liebling der Wiener gemacht hatte, die sich fast täglich eine neue, erheiternde Anekdote von ihm zu erzählen wußten.

Ein in der That allerliebstes Geschichtchen, das zur Charakteristik des russischen Kaisers und seiner Vorliebe für einen heiteren Scherz, sowie für das Treiben in der Hofburg während des Congresses dienen dürfte, hat sich erhalten und ist folgendes:

Dem Kaiser Alexander war es nicht entgangen, daß von der Tafel in der Hofburg vor seinen Augen oft die köstlichen Braten und Pasteten nach dem Tranchirtisch gebracht wurden, ohne jedoch wieder zur Tafel zurückzukehren, worüber er sich gerechter Weise wunderte und welcher Umstand seine Aufmerksamkeit erregte. Eines Mittags wiederholte sich dieses wunderliche Begebniß. Es wurde nämlich in des Kaisers Nähe ein kunstvoll verzierter Fasan, dessen Füße und Schnabel vergoldet waren, auf die Tafel gesetzt. Die Trüffelfüllung des Fasans berührte die Geruchsorgane des Kaisers überaus angenehm und erregte seinen Appetit darauf. Dieser Umstand und die früher gemachten Erfahrungen hinsichtlich des räthselhaften Verschwindens leckerer Gerichte veranlaßten ihn, sein Augenmerk diesem königlichen Vogel ganz besonders zuzuwenden, da er sich bei dem Braten nicht mit einer bloßen Augenweide zu begnügen wünschte. Trotzdem war der Vogel bald seinen Augen entschwunden und kehrte auch nicht zur Tafel zurück, wie so viele andere Braten. Dies erregte des Kaisers Aerger, und früher als gewöhnlich verließ er den Saal und begab sich durch einen Seitencorridor ohne alle Begleitung nach seinen Gemächern. Indem er an einem der Fenster des Speisesaals vorüberging, wurde seine Aufmerksamkeit von dem Farbenspiele eines Federschweifs, welcher zwischen der Gardine der Fensternische hervorragte, angezogen. Sogleich fiel ihm der seinem Genuß entzogene Vogel ein; er trat näher, zog die Gardine zurück und fand zu seiner Ueberraschung in einem Handkorbe auf silberner Schüssel den Fasan auf einem Reste von mehreren noch uneröffneten Flaschen edelsten Burgunders und Tokayers. Kein Beobachter befand sich in der Nähe, und so trug der Kaiser, von einem plötzlich in ihm auftauchenden Gedanken bestimmt, den gefüllten Korb in sein Zimmer. Am nächsten Morgen ließ er den Kaiser Franz zu einem Frühstück in seinem Zimmer einladen. Der Erstere, obwohl durch diese ganz ungewöhnliche Einladung nicht wenig überrascht, fand sich doch zur bestimmten Zeit bei ihm ein und war überaus erstaunt, als er auf dem Frühstückstische nichts weiter vorfand als den gefüllten Korb und Alexander erklärte, seinen Gast als Tafel- und Kellermeister bedienen zu wollen. Das Erstaunen des Kaisers Franz löste sich in die größte Heiterkeit auf, als Alexander darauf ihm die näheren Umstände, durch welche er zu diesen Delikatessen gelangt war, in der scherzhaftesten Weise mittheilte. Kaiser Franz zeigte sich dadurch jedoch durchaus nicht überrascht, sondern meinte nur gleichmüthig:

„Schaun’s, so geht es halt bei uns im Kleinen her; nun können’s sich eine Vorstellung davon machen, wie’s bei Ihnen im Großen hergehen thut.“

Man sieht daraus, wie geschickt der Kaiser es verstand, seine Hofhaltung in Schutz zu nehmen. Man nannte diesen kaiserlichen Scherz einen „Pagenstreich“ und belachte denselben von ganzem Herzen.

Neben diesem Scherz erregte auch derjenige große Heiterkeit, daß Alexander sämmtliche Fürsten, welchen Kaiser Franz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_402.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)