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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


und die Pfeife in Brand gesetzt war. „Sieh, ich möchte so gern unsere Grafschaft unter Deiner Regierung zu einem kleinen Musterstaate machen.“

„Auf diesen Ruhm aber muß ich leider verzichten,“ entgegnete Max Theodor halb besänftigt, halb noch zürnend. „Wie lange werden diese Duodezländchen noch existiren? Unsere großen Nachbarn werden uns verschlucken, wie unsere Vorfahren die kleinen selbstständigen Dorf- und Schloßmagnaten verzehrt haben. Wir führen unser Scheinleben nur so lange, wie es der Gnade unserer Nachbarn beliebt.“

„Aber wir sollten dann wenigstens ein gutes Andenken unseres Strebens hinterlassen. Wir stehen dem Volke so viel näher, als diese Großen. Warum sollten wir es nicht patriarchalisch beglücken können?“

„Thue ich dies nicht? Bin ich denn etwa ein Tyrann, Lottchen?“

„Nein, Du bist gut, treu und freigebig gegen Deine wirklichen und vermeintlichen Freunde. Aber fördern wir Kunst und Wissenschaft, wie auch kleine Höfe sollen? Geschieht bei uns nur das Nöthigste für Schule oder Industrie? Wir leben einsam wie auf einer halbverschollenen Insel, weil uns selbst gute Landstraßen fehlen. Und obwohl wir mit dem Nöthigsten geizen, fehlt uns zu allem Nöthigen das Geld.“

„Ja, weiß der Kukuk, wie das zugeht!“ sagte der Graf nachdenklich.

„Oeffne die Augen, und Du wirst den Grund erkennen. Es kommt davon, weil unsere Domänen an die Günstlinge Deines Präsidenten zu Schleuderpreisen verpachtet werden, weil Deine unzähligen Rehe und Wildschweine selbst unsere reichsten Forsten zu Grunde richten. Ueber die maßlose Strenge gegen kleine Wildfrevel will ich jetzt nicht reden – das gehört nicht zum Thema. Aber glaubst Du, daß unsere Bauern Deinen Namen segnen, wenn sie am Morgen die junge Saat zerstampft, durchwühlt oder abgefressen finden? Glaubst Du so das Land zu bereichern?“

„Sie können Entschädigung fordern.“

„Und sich für diese Frechheit durch die bekannten drei Grenadiere Deines Präsidenten auf die Hauptwache abführen oder, was schlimmer ist, in endlose Processe verwickeln lassen.“

„Aber was um des Himmelswillen soll ich thun, Lottchen?“ sagte der Graf, der, durch das Gespräch sichtlich aufgeregt, den beschatteten Platz unter den Ulmen mit großen sporenklingenden Schritten durchmaß.

„Sieh die Dinge doch nicht immer durch die Brille Deines Präsidenten!“ entgegnete die Comtesse, indem sie vorsichtig ihrem Hauptzwecke näher rückte. „Herr von Straff sagt Dir zum Beispiel, daß das Hartmann’sche Schloßgut in Brandenfels, für Dich wie schon für unsern Vater die Quelle ewigen Verdrusses, nicht käuflich sei. Nicht wahr?“

„Das sagt er allerdings. Weißt Du das Gegentheil, Lottchen, und von wem? Wechselst Du etwa noch immer mit dem Domänenrathe duftige Billets?“

„Laß’ mir zunächst dieses kleine Geheimniß, Max!“ bat Charlotte. „Reite in diesen Tagen selbst nach Brandenfels hinüber, rede mit dem Domänenrathe und Du wirst sehen und hören.“

„Nun, wollen sehen.“

„Nein, versprich mir’s gewiß!“

„Meinetwegen. Bist Du nun mit mir zufrieden, Lottchen? Füge ich mich Deinem Pantoffel willig genug?“

Die Comtesse lächelte: „Kannst Du an Herrschergelüste glauben, wenn ich Dich mahne, selbstständig zu handeln? Noch Eines. Würdest Du, um das Gut zu erwerben, Deine Genehmigung zur Aufhebung des Majorats von Holderbusch geben?“

„Natürlich mit Freuden. Aber was hat das Majorat mit meinen Wünschen zu thun?“

„Auch das bleibt vor der Hand mein Geheimniß. Würdest Du endlich einem hübschen und braven Bürgermädchen ein Adelsdiplom verleihen?“

„Ich stelle eine ganze Eselshaut für dieses Pergament zur Verfügung,“ erklärte Max Theodor lachend. „Doch nun laß’ mich ziehen, Lottchen! Ich habe den Präsidenten zu einer wichtigen Conferenz bestellt.“

„So verdanke ich wohl auch dem Herrn von Straff die freudige Ueberraschung dieses Nachmittags?“ fragte die Comtesse scheinbar leichthin, aber mit einem forschenden Blicke. „Sag’ mir’s, Max! Ich mag dem Präsidenten keinen Dank schuldig bleiben.“

„Du bist ihm dafür nichts schuldig. Ich selbst kam auf diese gute Idee. Leb’ wohl, Lottchen, und habe Dank!“

Der Graf schritt, vom treuen Tyras gefolgt, aus dem Garten, die Comtesse aber eilte zu ihrer Kammerfrau.

„Diesmal hat sich der Pfeil gegen den Schützen gewandt, Frau Weiß,“ sprach sie mit einem sieghaften Lächeln. „Johann wußte um die Anwesenheit der jungen Leute und darum auch sein Herr. Der Präsident hat dann meinen Bruder zu ungewohnter Stunde nur deshalb aufgesucht, um mir diese Verlegenheit zu bereiten. Aber ich habe den Spieß herumgedreht. Hüten Sie sich, mein Herr von Straff! Ihre Macht ist zu Ende, sobald der Graf selbst sehen lernt.“

„Vortrefflich. Aber nennt meine liebe, erlauchte Comtesse dieses Spiel noch immer nicht Intrigue?“ fragte die kleine behäbige Frau etwas vorwitzig.

„Nein, Frau Weiß; denn meine Zwecke scheuen den Tag nicht.“




5.

„Setze Dich zu mir auf diese Bank, Anna! Ich habe Dich nach meinem Lieblingsplatze geführt, damit Du besser verstehst, warum der Comtesse und mir dieser Baum heilig ist. Sieh, hier lernten wir uns kennen. Der damalige Graf, der Vater des regierenden Herrn und der Comtesse, hegte eine besondere Vorliebe für sein kleines Schloß in Brandenfels und residirte hier sogar häufiger, als drüben in Schwalbenstein, obwohl die Nähe meines Schloßgutes ihm jeder Zeit ein Dorn im Auge war. Unsere Fürsten, mögen sie Kaiser oder Grafen heißen, hassen nun einmal Alles, was sie an das Ende ihrer Macht erinnert, und hier liegt diese Grenze wirklich allzu nah am gräflichen Schlosse selbst. Keine zehn Schritte von hier steht der Stein, welcher die Hoheitsgrenze zwischen der Grafschaft und dem Kurfürstenthume bezeichnet.“

Der Domänenrath Hartmann, der diese Worte an seine Tochter richtete, wies dabei mitten in das dichte Gebüsch hinein, welches die höchste Terrasse seines Gartens halbringförmig umgab.

„Der Tag, an welchem ich die ersten Worte mit Charlotten wechselte, liegt vor meiner Seele, als wären seitdem nur zwanzig Stunden statt zwanzig langer Jahre verflossen,“ fuhr Hartmann fort. „Hier auf dieser Bank und vor diesem Steintisch saß ich und ließ halb träumend meine Blicke über Berg und Thal weit in das Land hinein wandern. Da rauschte es hinter mir in den Büschen, und als ich mich verwundert umwandte, erblickte ich die Comtesse. Sie war zuerst sichtlich verlegen und erschrocken, denn der dicke Stamm des Baumes hatte mich bis dahin ihren Blicken verborgen. Aber sie faßte sich rasch, entschuldigte ihr Eindringen mit dem Wunsche, die herrliche Aussicht von hier einmal in aller Stille zu genießen, und ließ sich dann mit mir in Geplauder ein, das bald recht munter und unbefangen wurde. Wir waren ja Beide damals jung – wir fanden rasch Gefallen aneinander. War’s ein Wunder, daß uns anfangs ein scheinbarer Zufall und dann die offen zugestandene Absicht an dieser still verborgenen Stelle häufig, zuletzt täglich zusammenführte, daß wir uns liebten, ehe wir es uns selbst zu gestehen wagten?“

„Das Gegentheil wäre ein Wunder gewesen,“ erwiderte Anna, indem sie ihrem Vater mit einem innigen Blicke in das noch immer schöne und jetzt tiefernste Gesicht sah. „Wer sollte Dich nicht lieben, wenn er Dich kennt? Wer könnte mit der Comtesse zusammentreffen, ohne sie zu verehren?“

„So verschwiegen wir waren, unser Verhältniß konnte dennoch nicht für immer und aller Welt verborgen bleiben,“ fuhr Hartmann fort. „Die täglichen Spaziergänge der Comtesse in einer bestimmten Gegend des Schloßparkes waren zuletzt einem und dem anderen grübelnden Kopfe unter der gräflichen Dienerschaft aufgefallen; man hatte ihnen nachgespürt und ihren Zweck entdeckt. Da der Präsident von Straff schon damals, wie jetzt, die allseitige Spionage als beste Stütze seines Einflusses betrachtete und begünstigte, so wußte auch er bald um unser Geheimniß.“

„So hat dieser böse Mensch auch in Dein Leben feindlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_395.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)