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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


zünftig gemacht, die Beschäftigung damit zu einem besonderen Stande erhoben hatten. Früher wurde das Volksschauspiel nur von Liebhabern gepflegt, welche oft Schurzfell und Pechdraht zur Seite warfen, um sich den Cothurn unter die Füße zu schnallen, genau wie es uns Shakespeare in der Rüpelkomödie seines Sommernachtstraumes so drastisch ergötzlich vor Augen geführt hat. Er selber, der damals fast unbekannte Schwan vom Avon, soll mit einer englischen Bande in Deutschland Gastrollen gegeben haben, doch ist dies wohl nichts weiter, als unverbürgte Sage. Ueber den Canal sind aber vor 1852 niemals deutsche Schauspieler gekommen, um ihrer Muttersprache und deren dramatischen Meisterwerken im Lande Shakespeare’s Geltung zu verschaffen. Daher war das erste deutsche Theater in London, wie Eduard Devrient in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst mit Recht sagt, ein Vorgang, ehrenvoll und denkwürdig für die deutsche Kunst.

Die Idee zu der Unternehmung war ausgegangen von Dr. Heinrich Künzel, Professor der Geschichte, Literatur und Aesthetik am Polytechnicum zu Darmstadt. Es möge vergönnt sein, diesem bedeutenden Manne, dessen Name Tausenden wohl bekannt und auch den Lesern dieses Blattes nicht fremd ist, hier einen bescheidenen Denkstein der Erinnerung zu setzen. Er verdient ihn, wie Wenige. Denn wenn ein rastlos im Dienste der Menschheit hingeopfertes, reich begabtes, für alles Gute und Hohe begeistertes Leben dazu berechtigen kann, im Angedenken der Nachwelt zu leben, so darf sein Name nicht vergessen werden. Heinrich Künzel, geboren am 26. December 1810, war der Sohn schlichter, wohlhabender Bürgersleute, welche, ihre Zeit verstehend, Alles daran wandten, ihren Kindern eine vorzügliche Erziehung angedeihen zu lassen. Nachdem er das Gymnasium mit hohen Ehren absolvirt – er ist namentlich schon als junger Mann ein Meister in Handhabung der Sprachen, alter und neuer, insbesondere auch der deutschen, gewesen – widmete er sich anfänglich dem Studium der Medicin, war aber zu sensitiven Gemüths, um lange dabei auszuhalten, weshalb er zu demjenigen der Theologie und Philosophie überging mit der Absicht, sich später ganz dem Lehrfache zu widmen. Er studirte in Gießen und Heidelberg 1829 bis 1832; in letzterer Stadt erfreute er sich des regen Umganges mit Gervinus, Schlosser und Paulus. Nachdem er promovirt, trat er als Accessist ein bei der berühmten Hofbibliothek in Darmstadt, welche unter der Leitung seines Freundes und Gönners, Geheimraths Feder, eines seinerzeit bekannten Philosophen und Schriftstellers, stand. Die trockene Wühlarbeit im Bücherstaube würzte er durch gründliche Musikstudien unter dem alten Cantor Rinck, dem großen Organisten aus der Schule des Abts Vogler, und der beiden Weber, welche seinerzeit das kleine Darmstadt zu einer Heimstätte der Tonkunst gemacht hatten. Die leidigen Bibliotheksarbeiten sagten dem strebsamen Geiste des jungen Mannes übrigens nicht lange zu; er gab seine Stelle nach Jahresfrist auf und wandte sich nach Paris. Hier trat er in Beziehung zu allen hervorragenden Geistern der Zeit, insbesondere schloß er sich an die beiden Brüder Grafen Escudier, mit welchen zusammen er ein


Dr. Heinrich Künzel.
Nach einer Photographie.


Musikjournal gründete; gleichzeitig ward er Mitarbeiter am „Constitutionnel“ und an der „Revue des deux Mondes“.

In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit Anton Grafen Auersperg (Anastasius Grün), der ihm zeitlebens ein werther Freund geblieben ist, auch mit Heine, Börne, Constant, Hugo, Musset, Nodier etc. verkehrte er viel. Von großem Einflusse auf sein künftiges Leben waren die freundschaftlichen Beziehungen, in welche er zu Bunsen und dessen Familie trat; sie riefen ihn nach Großbritannien, welches von nun ab das Land seiner Vorliebe blieb. Er wurde mit den bedeutendsten Persönlichkeiten daselbst genau bekannt und bewegte sich in den höchsten Kreisen.

Mit Sir Robert Peel, Macaulay, Lord Brougham, Carlyle, Landseer, Benedict und Anderen stand er fortwährend in dem regsten Verkehre. In dem Bunsen’schen Cirkel lernte er fast Alles kennen, was England an Größen der Wissenschaft und Kunst besaß. Er wurde zum Local Secretary der Camden-Society ernannt, und ihm manche andere schöne Aussicht eröffnet, da zog ihn plötzlich ein Ruf in die Heimath, nach Frankfurt, wo er die Redaction des „Phönix“ übernahm. Er führte sie jedoch nur ein Jahr lang, dann eilte er wieder über den Canal, warm empfangen von zahlreichen Freunden, welche ihn nunmehr für immer zu fesseln gedachten. Auf Veranlassung Bunsen’s ersah ihn der Herzog von Sutherland, einer der reichsten und angesehensten britischen Peers, zum Erzieher seines Sohnes, des Marquis of Stafford, unter wahrhaft glänzenden Bedingungen, unter Anderem der Zusage einer Pfarrpfründe von achthundert Pfund Sterling nach Ablauf von vier Jahren. Allein in Künzel erwachte mit Allgewalt die Liebe zur deutschen Heimath. Er schlug das lockende Anerbieten zu Gunsten von Ritter Bunsen’s ältestem Sohne aus und ward Lehrer am Gymnasium zu Worms mit dem überbescheidenen Gehalt von siebenhundert Gulden, bald darauf Professor der Geschichte, der deutschen und englischen Literatur an dem Polytechnicum in Darmstadt. Gleichzeitig wurde er zum Lehrer der Prinzessin Marie von Hessen, der jetzigen Kaiserin von Rußland, ernannt, welcher er mehrere Jahre hindurch Unterricht im Englischen und in den schönen Wissenschaften ertheilte, bis zu ihrer Verlobung mit dem Großfürsten Alexander. Bei angestrengter Berufsthätigkeit – denn für achthundert Gulden verlangt man dort schon etwas! – gab Künzel doch seine Beziehungen nach außen nicht auf, sondern unterhielt den regsten literarischen Verkehr. Er schrieb in fast alle bedeutenderen Zeitschriften des In- und Auslandes, ebenso war er bei jeder gemeinnützigen Angelegenheit des öffentlichen Lebens immer an der Spitze, der Erste mit Rath und That – aber der Letzte, wenn es galt einen Lohn oder eine Auszeichnung einzuheimsen. Diese hat er immer den Armen im Geiste überlassen. Ihm galt es um die Sache, nicht um blinkenden und klingenden Dank. Wie übrigens der letztere in jenen Zeiten aufgefaßt wurde, geht aus einem uns vorliegenden Decrete hervor, mit welchem das hessische Oberconsistorium für jahrelange, vielfache Bemühungen als Dolmetsch des Englischen ihm, dem Professor, dem Manne der Wissenschaft, die hervorragende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_369.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)