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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


unserm Hause ist niemals eine Mißheirath vorgekommen, nein, niemals. In unseren Adern fließt kein Tropfen bürgerlichen Blutes, und wir haben uns namentlich niemals zu Geldheirathen erniedrigt. Wenn ich auch als Mutter schwach sein wollte, so könnte und dürfte ich dennoch nicht nachgeben. Ich habe dem Präsidenten heute mein adeliges Ehrenwort verpfändet, daß mein Sohn niemals ein bürgerliches Mädchen heirathen soll.“

„Ist das Ihr einziges Bedenken, gnädige Frau? Und solch ein Pappenstiel macht Ihnen Kopfschmerzen? Der Graf braucht ja die Jungfer nur zu adeln, so ist uns geholfen.“

„Das, ja das ließe sich allerdings hören,“ räumte Frau von Holderbusch ein.

„Und was das Geld der Jungfer betrifft, so brauchen sich gnädige Frau auch keine besonderen Sorgen zu machen,“ fuhr Christian mit einem seltsamen Lächeln fort. „Der Junker hat mir schon gesagt, daß er sein Schätzchen nicht um des Geldes willen heirathen will, daß er auf das Vermögen verzichtet und –“

„Wenn mein Sohn das gesagt hat, so ist er wahrhaftig ein Narr,“ erklärte die Gnädige sehr entschieden.

„Die Narrheit läßt sich halten,“ entgegnete Christian rasch. „Von jungem verliebtem Volke darf man es gar nicht anders erwarten. Das wäre mir ein schöner Bursche, der schon vor der Verlobung rechnen wollte, wie viel einmal seine Braut bekommt. Aber es giebt gewisse ältere Leute, die sonst ganz gescheidt sind und dann doch um curioser Ideen willen –“

„Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ unterbrach ihn die Oberlandjägermeisterin. „Was versteht Er von höheren leitenden Ideen! Kurz gesagt, wenn der Graf das Mädchen wirklich adeln wollte, so hätte ich im Grunde nichts Ernstliches gegen sie einzuwenden. Es ist meines Sohnes Sache, Seine Erlaucht den Grafen zu jenem Schritte zu bewegen, und das wird schwer genug halten. Denn Seine Erlaucht lieben den Domänenrath nicht, und unser Herr Präsident setzt natürlich Himmel und Hölle in Bewegung, um diese Erhebung in den Adelstand zu hintertreiben. Ich selbst halte mich neutral, wie es einer Frau von meinem Stande gebührt.“

„Sie werden so lange neutral bleiben, bis Sie es bereuen, gnädige Frau. Aber meinetwegen! Jeder nach seinem Geschmack, sagt der Franzose.“

„Wo es sich um adelige Ehre handelt, bereue ich nichts. Inzwischen erwarte ich von Ihm, daß Er mir über alle Vorkommnisse getreulich berichtet. Ueber alle ohne Ausnahme, versteht Er wohl? Unser Kurt hat zu Ihm Vertrauen und verbirgt Ihm nichts. Es ist also Seine Pflicht, mich über alle Mittheilungen des Junkers im Klaren zu erhalten. Will Er mir das versprechen?“

Das mahagonifarbige Gesicht Christian’s war während dieser Worte seiner Gnädigen noch um einige Farbentöne dunkler geworden, und seine breite Brust wogte dabei gewaltig auf und ab, als arbeite sie einem gewaltsamen Ausbruche entgegen.

„Nun, hat Er mich verstanden? Oder würdigt Er mich keiner Antwort?“

Die Frau Oberlandjägermeisterin betonte die letzten Worte so besonders scharf, daß Christian diesmal nicht schweigen konnte.

„Ich bin kein Narr und kein Verräther, gnädige Frau,“ sagte er dann. „Unsereins weiß auch, was Pflicht ist, und von einem Verräther frißt kein Rabe. Halten zu Gnaden, Frau Oberlandjägermeisterin!“

Damit machte der Alle rasch rechtsum Kehrt und ging mit wuchtigen, selbstbewußten Schritten aus dem Zimmer.

„Der Präsident hat Recht – der Mensch muß sobald, wie möglich, aus dem Hause,“ zischte Frau von Holderbusch zornig, sobald sich die Thür hinter Christian geschlossen hatte. „Seine lange Dienstzeit bei uns hat ihn übermüthig gemacht, sodaß er seine untergeordnete Stellung völlig vergißt. Er muß fort.“

Christian aber ging draußen von Neuem an seine schwere Arbeit.


3.

Im Arbeitszimmer des Kammerpräsidenten von Straff herrschte dieselbe Einfachheit, wie in der Wohnung des Oberlandjägermeisters. Die Möbel waren sämmtlich alt und unscheinbar und der mit fadenscheinigem, grünem Tuche bezogene Arbeitstisch, an welchem jetzt der gefürchtete Günstling des Grafen saß, hatte sicher mehr als ein halbes Jahrhundert erlebt. Der starkknochig und eckig gebaute, bejahrte, aber noch kräftige Herr, in dessen rothbraunes Haar sich bisher nur einzelne Silberfäden eingeschlichen hatten, blätterte in einem Actenstücke herum, in dem einer der massiv gebauten Finger eine besonders interessante Stelle anzudeuten schien. Herr von Straff war dabei in sein Studium so tief versunken, daß er nicht einmal von der Anwesenheit seiner Tochter zu wissen schien, obwohl die junge Dame schon wiederholt in wachsender Ungeduld durch leise, dann aber immer merkbarere Zeichen die Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken gesucht hatte.

„Nun, Papa, wie weit bist Du mit Deiner wichtigen Arbeit?“ fragte sie endlich. „Ist die Lectüre so außerordentlich interessant, daß Du für mich weder Auge noch Ohr hast?“

Der Kammerpräsident erhob bei dieser Anrede seinen Blick von den Acten und sah seine Tochter noch etwas zerstreut an.

„Wie weit ich bin?“ wiederholte er dann. „Interessirst Du Dich wirklich einmal für Das, was mir am Herzen liegt? Ich sage Dir, diese Acten, auf welche Du mit gewohnter Geringschätzung herabblickst, sind für mich ein Gegenstand von höchster Wichtigkeit. Der schlaue Wilddieb, von dem sie handeln, ist höchst wahrscheinlich derselbe, der jahrelang ungestraft in den gräflichen Forsten so arg gehaust hat. Er leugnet zwar noch, die sämmtlichen früheren Vergehen begangen zu haben, obwohl er beim Ausweiden eines Rehes betroffen worden ist und obwohl ich es an ernsten Ermahnungen zur Wahrheit nicht habe fehlen lassen.“

„Der Himmel behüte Jedermann vor Deinen ernsten Ermahnungen!“ warf Hulda bitter lachend ein. „Ich habe das Jammergeschrei des armen Menschen über den ganzen Markt herüber bis auf mein Zimmer hören müssen.“

„Und Dein stets so mildes und gefühlvolles Herz hat sich natürlich davon sehr gerührt gefühlt,“ bemerke der Präsident mit kaltem Spotte. „Für solche Schwächen hat Dein eiserner Vater nun freilich kein Verständniß. Ich sage Dir, der Bursche muß in jedem Falle gestehen. Ich brauche seine Bekenntnisse für ganz besondere Pläne und werde sie also zu erlangen wissen. Dem Himmel sei es gedankt, daß uns für solche Zwecke in unseren Wäldern die geeigneten Mittel von selbst und reichlich in die Hand wachsen.“

Der alte Herr machte mit der Hand eine so unzweideutige Bewegung, daß seine Tochter sich leise schaudernd abwenden mußte.

„Welchen besonders hohen Zweck kannst Du hier verfolgen?“ fragte sie dann. „Ist nicht unser Zuchthaus schon voll genug von Wilddieben? Was also kann Dir noch an dem Elende eines Verurtheilten liegen?“

„Du sprichst wie ein Kind,“ entgegnete Herr von Straff. „Wir beherrschen unsere Fürsten wahrlich nicht durch ihre Tugenden, sondern vor Allem durch ihre Schwächen. Glaubst Du, ich bliebe auf die Dauer der eigentliche Herr im Lande, wenn unser Max Theodor etwa stets nur gutherzig und freigebig wäre? Zum Diener eines sentimentalen Herrn bin ich nicht geschaffen. Aber Gott sei Dank, der Graf liebt mit blinder Leidenschaft die Jagd und haßt wie den Tod die Wilderer. An diesem Gängelbande leite ich ihn, wie ich eben will. Aber, da wir einmal von meinen Zwecken reden – hast auch Du sie gefördert, wie ich Dir rieth? Hast Du Dich, als der Graf gestern Abend mit Dir redete, über das unziemliche Benehmen dieses Junkers von Holderbusch beschwert?“

Ueber das Gesicht des Mädchens legte sich ein tiefer Schatten. „Nein,“ sagte sie fest, „das habe ich nicht gethan und werde es auch nicht thun.“

Der Präsident erhob sich von seinem Sessel und starrte seine Tochter mit einem zornglühenden Blicke an.

„Was? Du weigerst mir den Gehorsam?“ rief er. „Willst auch Du erfahren, daß diese Hand trotz meines Alters noch stark genug ist, um diese Grafschaft und daneben auch mein Haus zu regieren? Warum also hast Du meine Weisung nicht befolgt?“

„Einfach deshalb nicht, weil mir der Junker allzu gleichgültig ist,“ entgegnete Hulda unerschrocken.

„Du hast, wie es scheint, einen recht besonderen und auserlesenen Geschmack,“ bemerkte der Präsident mit spöttischem Lächeln. „Anderen Damen von gutem Adel mißfällt der Junker durchaus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_364.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)