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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Grundquadern des Schlosses entlang und mitten unter dem wüsten Gestrüpp der hier üppig wuchernden Disteln, Gelbwurzeln und Brennnesseln möglichst ungesehen nach dem Schloßportale hin zu schleichen. „Nun sage mir Einer, daß alle Verliebten unvorsichtig und thöricht seien!“ fuhr er in seinem leisen Selbstgespräche fort. „Kann ich denn nur behaupten, daß wirklich der Junker und sein Liebchen hier ein Rendezvous gehabt haben? Kleine Füße hat manches hübsche Zöfchen, und jeder Reitknecht trägt solche bespornte Stiefeln. Ich muß hier also schon lügen. Freilich wiegt eine Lüge nicht weniger als eine Wahrheit, wenn sie nur ebenso geglaubt wird. Aber mein Herr ist mißtrauisch und klug und, wenn er mich ertappt, auch noch brutal. Ich muß wahrlich nachher auf jede Gefahr hin zum alten Christian hinaufsteigen, um mich über den schiefgetretenen Sporn näher zu informiren. Vielleicht wirft er mich nicht die Treppe hinunter, wenn ich ganz besonders höflich bin. Liebe besänftigt die Bestien und Höflichkeit die Grobiane. Also –“ Johann ließ den Satz unvollendet und prallte erschrocken einige Schritte zurück, denn er hatte in der Nähe die ihm nur zu wohl bekannte tiefe und vollklingende Baßstimme des Grafen selbst vernommen.

„Nun lebe wohl, Lottchen,“ sagte der regierende Herr zu seiner Schwester, die ihn nach alter Gewohnheit aus ihren Zimmern bis unter das Portal begleitet hatte. „Hab’ Dank für Deine Begleitung!“

„Du schickst mich schon zurück, Max?“ fragte die Comtesse mit dem Tone eines leisen Vorwurfes in ihrer weichen Stimme. „Ist Dir so wenig an meiner Gesellschaft gelegen?“

„An Deiner Gesundheit liegt mir das Meiste auf dieser Welt,“ entgegnete der Graf. „Der Weg ist feucht und Ihr Frauenzimmerchen tragt bekanntlich eine so verteufelte Sorte von Schuhzeug, daß Einem angst und bange wird, wenn Ihr Euch nur um eine Fußbreite vom Parquet entfernt. Dort allein gehört Ihr hin.“

„So rauchst Du wenigstens heute Nachmittag Dein Pfeifchen in meinem Garten?“

„Nein, Lottchen, das wird leider nicht gehen. Ich habe schon einen Ritt nach dem Hirschsprunge angeordnet.“

„Noch einmal ausreiten? Ist denn Deine Kraft niemals zu ermüden?“ fragte die Comtesse mit einem komischen Seufzer.

„Nun freilich, allzuleicht ist das nicht möglich,“ entgegnete der Graf, indem er mit wohlgefälligem Lächeln an seinem kräftigen Körper über den graugrünen Jagdrock bis zu den hirschledernen Beinkleidern hinab sah.

„Schade, ich hätte noch mancherlei auf dem Herzen, was ich Dir sagen möchte.“

„Wird hoffentlich nicht so eilig sein Lottchen. Nicht wahr? Kann mir auch ohngefähr denken, was Dir wieder auf dem Herzen liegt. Du findest es zum Beispiel unbegreiflich, daß jetzt unsere Gelder so knapp sind, möchtest wieder einmal diese und jene Einschränkung empfehlen, etwa Abschaffung meiner Garde und dergleichen. Nicht wahr? Dir steckt noch immer ein einfacher Hofstaat, etwa wie der des Ulysses von Ithaka, mit dem mich mein Hofmeister einst gründlich gelangweilt hat, im Kopfe. Du meinst, wir könnten wohl auch wie jener hochselige Herr mit den höchsten Chargen eines Kuh-, Ziegen- und – mit Erlaubniß zu sagen! – Schweinehirten auskommen und Du selbst etwa mit einer Schaffnerin Eurykleia oder wie das würdige Frauenzimmer sonst hieß. Nicht wahr?“

„Du spottest.“

„Nein, ich amüsire mich nur bei dem Gedanken, welche Gesichter Deine steifleinene Frau Oberlandjägermeisterin von Holderbusch, geborene Freiin von Moosgrund, oder Dein noch hochmüthigeres Fräulein Hulda von Straff bei dem Vorschlage einer solchen Rangerniedrigung machen würden. Dem Volke kommt es ja nur auf den leeren Rauch der Titel an. Aber man muß die Treppen nicht von unten nach oben kehren, sondern von oben nach unten. Man darf nicht mit den armen Kerlen von Gardisten die Ersparung anfangen, sondern umgekehrt, Lottchen, ja, umgekehrt.“

„Das seltsame Vergnügen Deiner Garde gönnte ich Dir wahrlich von Herzen, wenn man nur nicht an den Nachbarhöfen darüber lachte, daß wir einen Oberst, einen Major und zwei Hauptleute für zwei so schwache Compagnien haben.“

„Laß’ sie lachen, Lottchen! Mag darum wahrlich den alten, ehrlichen Knasterbärten ihr kümmerliches Brod nicht kürzen.“

„Das war es auch nicht, wovon ich rede wollte,“ erklärte die Comtesse zögernd, „wiewohl ich die ewige Geldklemme bei dem Reichthume unserer Quellen wahrlich nicht begreife. Aber Du theiltest mir einige auf unseren Junker von Holderbusch bezügliche Thatsachen mit, welche Du vom Kammerpräsidenten erfahren hast und die mir Bedenken erregen. Ich möchte Dich überhaupt vor den Mittheilungen des Präsidenten warnen und –“

„Aha, aha,“ unterbrach sie der Graf etwas rasch und ungeduldig. „Weiß schon, daß Du den alten, rauhen Burschen nicht leiden magst, und weiß auch leider warum. Ich sage Dir aber, Charlotte, in dieser harten Schale liegt ein vortrefflicher Kern. Der Kammerpräsident ist treu wie Gold und dabei ganz uneigennützig. Er lebt trotz seiner hohen Stellung schlicht wie ein Bürger und Meister der Stadt und ist vor Allem ganz unbestechlich. Der Mann, das merke Dir wohl, steht felsenfest in meiner Gunst, und seine Stellung ist durch keine Intrigue zu erschüttern.“

„Was denkst Du?“ entgegnete die Comtesse, durch die letzten Worte des Bruders sichtlich ein wenig gereizt. „Kannst Du glauben, daß ich Intrigue spinnen werde?“

„Nicht böse sein, Lottchen!“ bat nun der Graf. „War nicht so schlimm gemeint. Weiß wohl, daß Du Dich selbst für eine Todfeindin aller Intriguen hältst.“

„Hältst?“

„Oder, daß Du es wirklich bist, obwohl Du im Grunde – auch ein Frauenzimmer bist. Lebe wohl, Lottchen!“

Der Graf pfiff seinem Tyras und ging dann im Geleite des treuen Thieres mit festen, sporenklingenden Schritten aus dem Portale des Schlosses in das Freie hinaus. So gewann der schlaue Lauscher draußen, dem kaum ein Wort von der Unterhaltung der gräflichen Geschwister entgangen war, genügende Zeit, sich vorsichtig vom Eingange zurückzuziehen und hinter einen nahen Pfeiler zu schlüpfen. Ein solcher Rückzug aber war dem Grafen gegenüber in solchen Fällen dringend räthlich. Der hohe Herr trug nicht vergeblich das massive Rohr in der Hand, sondern wußte auch, wenn er erzürnt wurde, davon höchst-eigenhändig kräftigen Gebrauch zu machen.

Erst als Max Theodor hinter den nahen Gebüschen verschwunden und der letzte Schall seines markigen Trittes verhallt war, wagte sich der schlaue Johann wieder in’s Freie.

„Das wäre schon etwas mehr,“ dachte er. „Jetzt läßt sich wenigstens hoffen, daß hier etwas vorgeht und daß man durch vorsichtiges Warten und Aufpassen auch etwas erfährt. Hat mein Herr den Junker angeschwärzt, so wird die Comtesse den jungen Herrn darüber hören wollen; denn sie traut dem Präsidenten nicht, hat auch allen Grund dazu. Vielleicht erfährt man so wenigstens, ob der Junker sich den linken Sporn schief getreten hat; denn dafür läßt mein alter Knauser schon einen Thaler springen. Also warten wir ein wenig! Die Luft ist ja rein, und dieses Murmelthier von Portier hat zum Glück seinen Winterschlaf schon im Sommer angetreten.“

Die Erwartung Johann’s sollte nicht getäuscht und seine Geduld auf keine allzu harte Probe gestellt werden. Er hatte die Tiefe des Portals kaum zwei Mal mit den leisesten Schritten durchmessen, als auch schon aus den Zimmern der Comtesse der silberne Klang einer Schelle zu ihm herüber drang.

Die Kammerfrau Weiß eilte auf dieses Zeichen in das Zimmer ihrer Gebieterin.

„Erlauchte Comtesse befehlen?“

„Ist Wilke zur Hand?“

„Zu dienen, Erlaucht! Wilke ist im Vorzimmer. Soll ich ihn rufen?“

„Ja. Ich kann dem Alten einen Weg nicht ersparen, der ihm bei seinem Alter und bei dieser Hitze gewiß recht sauer wird. Er soll zum Jagdjunker von Holderbusch hinaufsteigen und ihn bitten, rasch einmal zu mir zu kommen. Der Junker soll nicht erst große Toilette machen, sondern Wilke soll ihn hierher führen, wie er ihn eben findet.“

„Das klingt ja fast wie ‚lebend oder todt‘, Erlaucht,“ scherzte die behäbige Kammerfrau, während sie hinauseilte, um den Befehl zu vollziehen.

„Ich habe wichtige Dinge mit dem Junker zu reden,“ fuhr die Comtesse in ernstem Tone fort, sobald Frau Weiß zurückgekehrt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_347.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)