Seite:Die Gartenlaube (1875) 339.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Mitteln wurden der Gesellschaft 350,000 Mark zur Verfügung gestellt, und weitere 550,000 Mark sind in etwa vierzehn Tagen gezeichnet worden.

So ist denn die Vollendung eines Unternehmens gesichert, das, den Zwecken der Wissenschaft dienend, zugleich für Jedermann eine Stätte der Erholung ist, auf welche Frankfurt wohl stolz sein darf und wie man eine ähnliche jeder größeren Stadt wünschen kann.




Hanne.
Zur Beherzigung für Viele.
(Schluss.)


„Ich legte mich in der Schulstube auf einige Bettstücke, vorgebend, daß ich unwohl sei und allein zu bleiben wünsche,“ erzählte die Großtante weiter. „Mein Aussehen bestätigte nur zu deutlich das Gesagte. Ohne daß ich den Wunsch aussprach, hielt die Mutter Winchen von mir fern – ich sah die Cousine nicht wieder, und am folgenden Morgen reiste sie ab.

Erst jetzt sagte ich meiner Mutter Alles. Das ließ sich ja nicht vermeiden und war bei mir in der langen ruhelosen Nacht zum festen Entschlusse geworden. Ob der Schlag mich noch so furchtbar traf, ob ich sehnlich wünschen mußte, von hier fort zu gehn, auf Nimmerwiederkehr, ich durfte es nicht. Aufgerichtet und mit gefalteten Händen saß ich die ganze lange Nacht hindurch und sah starr in’s Leere. In mir war Alles todt, als sei nur das Räderwerk zurückgeblieben und die Seele entflohen, verscheucht durch das schreckliche Wort: ‚Meine Braut ist Hanne längst nicht mehr.‘ –

Ja, ja, ich hätte fliehen mögen, weithin an das Ende der Welt, und niemals – niemals wiederkehren.

Es war eine helle Julinacht, und Mondlicht und Sonnenaufgang rangen mit einander, als noch Alles im festen Schlafe lag. Ich sah die alte Schulstube an, und die Wände und Bänke gaben mir den Blick zurück – wir verstanden einander. In diesen engen Mauern war ich geboren; hier hatte ich gearbeitet und mit dem Leben gerungen, seit der Vater gestorben, vor fast zwanzig langen Jahren schon. Ich mußte bleiben, mußte ferner die alte Mutter ernähren und geduldig ertragen, was Gott gesandt; wir durften nicht scheiden, die alte Schulstube und ich.

Ich lehnte den Kopf gegen den großen braunen Tisch, und eine weiche Ruhe kam über meine brennenden Gedanken. Ich wußte es, nur noch mein sterbliches Theil wirkte und schaffte fort – ich selbst war todt. –

Und am Morgen, nachdem Winchen abgereist, sprach ich mit der Mutter. Sie weinte leise und wollte mich an ihre Brust ziehen, mich trösten, aber ich schüttelte den Kopf und sah ihr fest in’s Auge. ‚Nun kein Wort mehr, Mutter, kein einziges! Wir müssen es tragen, und Gott wird Kraft geben, weil uns das Unglück schuldlos traf. Geh’ Du zu Hermann! Bring’ ihm den Ring und seine Briefe! Wozu fremde Leute einweihen?‘

Die alte Frau schluchzte laut. ‚Um des Himmels willen, Hanne, sprich nicht so unnatürlich ruhig, weine, weine, laß den Schmerz austoben! Du stirbst daran, wenn es so innerlich fortgährt. Zieh’ den Ring nicht ab, vielleicht –‘

Aber ich unterbrach sie. ‚Nein, Mutter, das wäre zu spät,‘ versetzte ich, ‚er muß jetzt die Cousine heirathen, wenn er will, daß ich ihn noch achte. Bitte, sprich nicht mehr davon!‘

Ich zog den Ring ab und überwand den heftigen Wunsch, laut heraus schreien zu dürfen, wie ich überhaupt im Leben immer gelernt hatte, das Nothwendige zu thun und nicht nach rechts noch links vom Wege mich verlocken zu lassen. Dann schrieb ich an Hermann, gab ihm sein Versprechen zurück und sagte, daß Alles verziehen sei. Als ich aber, am Fenster stehend, die Mutter fortgehen sah, meinen Ring und das ewig trennende Wort mit sich nehmend, da brach die mühsam behauptete Kraft. Eine zweite Ohnmacht folgte der ersten und ging über in ein Nervenfieber, das mich wochenlang an’s Krankenbett fesselte.

Meine Seele war stark geblieben, aber der Leib wäre fast erlegen. Ueber Eines half mir die Krankheit mit linder Hand hinweg, über das tödtlich schreckliche Mitleid der Bekannten. Als man mich wiedersah, da war die Sache nicht mehr neu, und ich sah auch zu hinfällig aus, als daß es Jemand gewagt hätte, mir noch Schmerz zu bereiten.

Winchen hatte nicht nach mir gefragt, Hermann dagegen jeden Tag; der Mutter war auch eine Geldsendung von unbekannter Hand zugegangen – natürlich von ihm. ‚Was sollte ich machen, mein Herzenskind?‘ fragte sie mit zitternder Stimme. ‚Du hättest keine Medicin bekommen, ohne dieses Geld.‘ Ich wendete mich ab. Das war bitter wie der Tod, aber – ich kannte es ja, was Leiden und Dulden ist. Ich war so grau, so alt geworden unter stetem Entsagen.

Und dann kam noch ein schrecklicher Tag, bevor wieder Alles im alten Geleise fortlief, der Tag, an welchem er und sie getraut wurden. Die Kirchenglocken klangen zu mir herüber, und ich saß mit gefalteten Händen am Fenster, regungslos, wie erstorben. Draußen spielte der Herbstwind mit welken Blättern, und so, ganz so sah es auch aus in meiner Seele. Die weißglänzenden Pappelblätter waren längst dahin; die Resede war verblüht und das Grün verweht – Alles, Alles todt.

Jetzt schwiegen die Glocken – nun sprach der Geistliche; nun wurde jener Eid geschworen, der mir das Herz brach. Ich drückte krampfhaft beide Hände auf die Brust – was konnte mir noch Schmerz bereiten, nun ich diese Stunde überlebt?

Und auch das ging vorüber, auch das trat zurück im ewigen Wechsel der Dinge. Ich unterrichtete wieder nach wie vor die kleinen Kinder im ABC; ich hielt ruhig die Tafel in der Hand, auf welche Winchen damals ihre Spielereien gezeichnet, und arbeitete fort wie immer. Nur sprach ich noch weniger, als sonst, und über meinem Haare lag es wie ein weißer leichter Reif.

So gingen Jahre hin, eintönig, ohne Unterbrechung wie ein Traum, den nur bisweilen eine Nachricht von draußen her unterbrach. Ich hatte weder ihn, noch sie wiedergesehen, aber fremde Leute sagten mir, daß es mit denn Geschäfte rückwärts gehe und mit Hermann’s Gesundheit noch mehr. Winchen war keine Hausfrau; sie hielt Dienstboten, gab Gesellschaften und putzte sich mehr, als es in ihren Verhältnissen angebracht war. Nachdem die äußeren Angelegenheiten schlechter und schlechter geworden, hatte Hermann sie freundlich gebeten, daß sie einlenken möge, so lange es noch Zeit sei, aber darauf folgten nur Thränen, Versprechungen und Schmollen ohne wirkliche Besserung. Was nicht ausbleiben konnte, das kam: die Gläubiger trieben ihn zum Concurs, und jetzt zerstörte der Gram den letzten Rest von Hermann’s Gesundheit. Er legte sich, um nicht wieder aufzustehen.

Das Alles erzählten mir geschäftig die Leute und glaubten vielfach sogar, etwas sehr Wohlthuendes, Tröstliches zu sagen, aber dennoch hielt ich die Sache für weniger arg, als es das Gerücht schilderte, bis eines Tages von Winchen ein Brief kam, in dem sie mich bat, für Hermann zu sorgen; es fehle ihm auf seinem Todtenbette am Nöthigsten. ‚Schaffe ihn in das Krankenhaus, Cousine!‘ schrieb sie, ‚bezahle noch Einen Monat – dann ist Alles vorüber. Mich wirst Du nicht sehen – dessen sei sicher!‘

Mir flimmerte es vor den Augen. Ich schluchzte laut, seit Jahren zum ersten Male. Wie mit einem Zauberschlage war die ganze Vergangenheit wachgerufen – Alles, was in mir geschlafen hatte, regte sich zu neuem Leben. Die Mutter sah mich fragend an; sie begriff nicht, was es sein konnte, das so heftige Wirkung hervorbrachte. Ich warf mich schluchzend in ihre Arme. ‚Lies, Mutter, lies! – Was sollen wir jetzt thun?‘

Da sah sie zu mir empor, nachdem ihr Blick den kurzen Brief überflogen. Ihre Stimme klang unsicher, und die Hand bebte, daß das Papier zu Boden fiel.

‚Hanne, Dein Stübchen liegt nach Süden – was meinst Du? – Wir holen ihn.‘

Ich antwortete nicht, aber meine Arme umschlangen sie fester, und unsere Thränen vermischten sich. Wie viel hatten wir Beide mit einander ertragen! Wie fest und treu ist der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_339.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)