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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Alterthums. Wenn dieses auch nicht die erhabensten Muster der Menschenliebe kannte, welche in den ersten Anfängen des Christenthums hervorleuchten, so fehlte ihm doch auch jene priesterliche Verfolgungswuth, welche durch Ketzerverbrennungen die Welt in Schrecken setzte und hinterdrein mit ruhiger Ueberlegung sogar menschenmörderische Inquisitionen heilig zu sprechen wagte.

Bis zum heutigen Tage bleibt die geschichtliche Wahrheit bestehen, daß ohne religiöse Freiheit in dem doppelten Sinne Unabhängigkeit der Völker von den Fesseln der Priesterherrschaft und außerdem der Selbstbeschränkung des Gewissens durch unmittelbare Hingabe an Gott weder wirthschaftliche noch auch politische Freiheit auf die Dauer Bestand haben könne. Der Name einer Staatsverfassung thut dabei gar nichts zur Sache. Wenige Gemeinwesen befinden sich in einem solchen Zustande politischer, religiöser und wirthschaftlicher Verwahrlosung wie die Mehrzahl der südamerikanischen Republiken.

Den bedeutsamsten Fortschritt auf der Bahn zur Befreiung unseres Volkes erkennen wir in der Reformation. Sie heißt in ihrem innersten Grunde: Selbstverwaltung der an die Nachfolge Christi gebundenen Gewissenspflichten ohne priesterschaftliche Vermittlung; allgemeines Priesterthum in Haus und Gemeinde; allgemeine Wehrpflicht in dem Gebrauch des Schwertes, das Christus nach seinen eigenen Worten zur Ueberwindung des Bösen in die Welt gebracht hat; Verwerfung jeder Stellvertretung in diesem Heerdienste der Liebe. Was bedeutet Priesterherrschaft Anderes als Stellvertretung Gottes in irdischen, des menschlichen Gewissens in göttlichen Dingen?

Freilich ist mit diesen Grundsätzen der in ihrer Jugendfrische aufleuchtenden Reformation fast nirgends Ernst gemacht worden. Wie man die Herrschaft des mittelalterlichen Papstthumes einen großartigen Fürstenstaat über die menschlichen Seelen nennen darf, so nenne ich die Glaubensherrschaft protestantischer Consistorien und ihrer theologisch verknöcherten Bekenntnißformeln den Feudalismus des kirchlichen Kleinstaatenthumes. Den innigen Zusammenhang zwischen religiöser und politischer Volksfreiheit hat insbesondere der Dichter des verlorenen Paradieses nachdrücklich hervorgehoben. Milton, in gleichem Grade fromm und freisinnig, sagte: „Ein Geistlicher, der sich blindlings und unbedingt auf Bekenntnißschriften verpflichtet, sollte seinem Vornamen als den ihm zukommenden Geschlechtsnamen das Wort ,Sclave’ hinzufügen!“ Und ein anderes Mal: „Ketzer ist auch derjenige, welcher zwar das an sich Richtige glaubt, aber nur aus dem Grunde, weil es ihm der Priester befohlen, ohne daß er selbst die Wahrheit geprüft hätte.“

Die Unvollkommenheiten der wirthschaftlichen und politischen Freiheiten im gegenwärtigen Zeitalter erklären sich wesentlich daraus, daß die Macht der in religiöser Ueberzeugung wurzelnden Gewissenspflichten und ihre Gewalt über das Volksleben von den gebildeten Mittelclassen am meisten verkannt wird. So schwankt die Welt zwischen dem Drucke der Priesterherrschaft und einer auf eine einseitige Verstandesschärfung hinarbeitenden, um das Gemüthsleben unbekümmerten Aufklärung, welche aus berechtigter Abneigung gegen das altkirchliche Formelwesen auch die religiösen Triebfedern der Menschheit verwirft. So geschieht es, daß Viele aus Haß gegen die Priesterherrschaft der thierisch magnetischen Kraft materialistischer Genußsucht verfallen und Andere aus Furcht vor einem alles Sittliche leugnenden Materialismus sich unter das schützende Dach einer verrotteten Priesterherrschaft zu flüchten suchen.

Nur solche Völker können niemals zurückfallen in politische Knechtschaft, denen der Glaube an ihre göttliche Bestimmung ewiges Leben spendet und damit die Befreiung wird von feiger Furcht vor den Gewaltmitteln der Unterdrückung. In den also befreiten Völkern wird die heilige Dreieinigkeit der politischen, wirthschaftlichen und sittlich-religiösen Freiheit immer mit und durch einander zusammenbestehen und in jedem Einzelnen die dreifache Pflicht der Selbstbeschränkung stets gegenwärtig und thätig erhalten: als Staatsbürger durch die Mitarbeiterschaft in der Uebung der vom Volke freiwillig zu übernehmenden Pflichten gesetzlichen Gehorsams; als Haushalter in der Mehrung der nationalen Geistesschätze, wobei jede Arbeit als ein Beitrag zu den Gemeingütern begriffen werden muß; als Weltbürger durch die Macht, welche in dem Gebote der Nächstenliebe ruht.

Das Maß und der Höhengrad der politischen Freiheit, deren ein Volk fähig ist, läßt sich durch geschichtliche Untersuchung ermitteln. Es entspricht durchaus der Stärke des im Volke vorhandenen Gemeinsinnes, dem Maße freiwilliger Gesetzlichkeit, der Tiefe seiner religiösen Beweggründe, dem Verständnisse für die Regel der Gegenseitigkeit der Dienstleistungen im wirthschaftlichen Leben. Nur in demselben Maße, als diese Befähigung zur Freiheit wächst, können die äußeren Machtmittel der Staatsregierungen ohne Gefahr verringert werden. Und alles Wachsen geschieht langsam. Anfangs unfrei geboren, wie jedes Kind noch heute völlig abhängig von seiner nächsten Umgebung, ist die Menschheit dem gewältigen Schulzwange des Staates unterworfen worden, um, durch die große Erzieherin Weltgeschichte fortgebildet, die Bedingungen ihres Wohlseins selbstständig erkennen und üben zu lernen.

Das geschichtliche beurkundete Zeugniß der Reife kann nur dasjenige Volk empfangen, welches gewillt ist, die Freitreppe zu dem Heiligthume seiner staatlichen Cultur aufzumauern aus der unzerstörbaren Zusammenfügung jener drei Stufen der politischen, wirthschaftlichen und religiösen Freiheit und keine dieser Stufen baufällig werden zu lassen. Dieser Wille, welcher gleich ehernen Bildsäulen von jenem edeln Roste der Ueberlieferung bekleidet sein sollte, den des Künstlers Auge mit Wohlgefallen betrachtet, besteht aber nur dann gegenüber den Gesetzen der Verwitterung, wenn wir alltäglich an der Mehrung und Erhaltung politischer, wirthschaftlicher, sittlich-religiöser Geistes- und Charakterbildung im Volke arbeiten und nicht lediglich darauf vertrauen, daß die Staatsregierungen allein oder Andere für uns in den Kampf ziehen zur Abwehr der unserm Volksleben feindlichen Mächte.

Rom und das Mittelalter können nicht lediglich durch die juristische Macht der Gesetzesparagraphen auf die Dauer überwunden werden; denn ähnliche Gesetze haben auch in früheren Jahrhunderten bestanden, ohne daß die Priestermacht daran zu Grunde gegangen wäre. Alles, was bis jetzt von staatlicher Seite gegen die Hierarchie unternommen wurde, bedeutet nur ein Vorpostengefecht. Der Entscheidungskampf wird nur in der Volksschule ausgefochten werden. Den endlichen Sieg verbürgt uns nur der heilige Geist, welcher durch die Seele des ganzen Volkes hindurchflammend und hindurchströmend auch auf dem religiösen Gebiete zum Befreiungskampfe treibt, um unser Volk zu einem reinen, formelfreien Christenthume emporzuheben.

Auf dem Punkte, wo wir stehen, überblicken wir hinter und vor uns die Schlachtfelder, auf denen die Schatten der Erschlagenen mit uns kämpfen für die Erstürmung jener Höhen, welche die schwer gepanzerten Schaaren der Herrschsucht, des Eigennutzes, der Heuchelei, sowie sämmtliche Abgötter der rohen und der verfeinerten Gewinnsucht besetzt halten. Ehe wir diese Höhen nicht gewonnen haben, kann auch Pfingsten nicht das liebliche Fest der Maien für Deutschland wieder werden. Und den Frieden der Menschheit bringt nur der germanische Nordwind, welcher auf den Flügeln eines reineren, menschheitlichen Glaubens den seelendorrenden Scirocco der römischen Priestermacht über die Alpen in seine Wüste zurückjagt.




Auf der Frankfurter Pfingstweide.

Die Wohnungsnoth der letzten Jahre hat sich auch auf die Thierwelt ausgedehnt. Zwar sind die in freier Natur sich herumtummelnden Geschöpfe Gottes nicht von diesem Theile der socialen Frage berührt worden, aber die in der Gefangenschaft lebenden Insassen des zoologischen Gartens zu Frankfurt am Main sind in Gefahr gewesen, obdachlos zu werden.

In den Jahren 1857 und 1858 hatten einige Thierfreunde Frankfurts einen zoologischen Garten in’s Leben gerufen, aber nur als bescheidenen Versuch auf gemiethetem Terrain. Das neue Institut erfreute sich des allgemeinsten Beifalls und trug wesentlich zum Entstehen ähnlicher Gärten in anderen Städten bei.

Die Erlangung eines Grundstückes, auf welchem die Anstalt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_334.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)