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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Schiller’s Lieblingsschwester.
Von Ernst Ziel.

Christophine Reinwald. geb. Schiller.
Nach dem Oelgemälde von Ludovika Simanoviz.

Das Capitel „Schiller und die Frauen“ ist von der Literaturgeschichte immer und immer wieder mit ungeschwächtem Interesse aufgenommen worden, und in der That ist der Schlüssel zum Verständniß der wichtigsten Entwicklungsphasen unseres Dichters nicht selten gerade auf diesem Gebiete zu suchen: gar nicht zu reden von der mythischen Laura des in der Schnürbrust der Karlsschule einherschreitenden Medicus Schiller – die Namen einer Charlotte von Wolzogen, einer Margaretha Schwan, einer Frau von Kalb und Charlotte von Lengefeld sind leuchtende Merkzeichen, welche ebenso viele Stationen auf dem Lebenswege unseres Dichters bezeichnen, auf dem Wege von der jugendlich unklaren Phantasterei zur Freigeisterei der Leidenschaft, von der Freigeisterei der Leidenschaft zu der Höhe einer ruhig schönen, vom Glanze der Idealität verklärten Liebe. Neben diesen Frauen, welche, bald dämonisch irreführend, bald beängstigend und ausgleichend, am Eingange der einzelnen Perioden des Schiller’schen Schaffens gleichsam als Pförtnerinnen stehen und diesen Perioden theilweise ihre geistige, ihre dichterische Färbung leihen, neben diesen Frauen begegnen wir im Leben des Dichters einer Reihe anderer weiblicher Erscheinungen, die zwar weniger bestimmend und bahnweisend in seine innere Entwickelung eingreifen, aber mit hingebender Liebe, wenn auch ohne Leidenschaft, sein Leben als liebevolle Ratherinnen und treue Freundinnen begleiten.

Unter diesen Freundinnen Schiller’s verdient den Namen der treuesten wohl keine so sehr, wie seine von ihm überaus geliebte Schwester Christophine; denn sie ist ihm sein Leben lang, wenn auch oft aus weiter Ferne, in unbeirrter Anhänglichkeit eine geistige Begleiterin und mitfühlende Genossin gewesen. Christophine gehörte nicht zu den sogenannten geistreichen Frauen. Dazu war ihr Naturell viel zu sehr auf das Praktische angelegt, ihre Bildungsschule eine zu bescheidene und der Kreis ihres Denkens ein zu enggezogener. Nicht eine geistreiche Frau, nein, sie war etwas Besseres, etwas Gott und den Menschen Wohlgefälligeres: sie war ein echtes Weib voll Natur und Wahrheit, tief und beharrlich von Gemüth, scharf und klar von Verstand und mit gesundem Blick, mit einer unentwegten Energie und maßvollen Sicherheit des Handelns ausgerüstet – Eigenschaften, welche sie ihrem Bruder besonders dann zu einer stets verständigen und gewandten Bundesgenossin machten, wenn es galt, sich mit der Außenwelt in einer schwierigen Lage abzufinden.

Sie hatte viel Verwandtes mit Schiller. Ihr Herz war, wie das seine, von einer zugleich besonnenen und lebensfrohen Idealität erfüllt und schlug lebhaft für alles Große und Hohe in Menschheit und Natur; eine freudige Begeisterung trug sie allem sittlich und geistig Erhabenen, eine frische, markvolle Zornmüthigkeit allem Verkehrten und Verschrobenen, allem Anmaßenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_329.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)