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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Hanne.
Zur Beherzigung für Viele.
(Fortsetzung.)


„Von meinem Erkerstübchen aus sah ich Hermann und Malwine über die Straße gehen,“ fuhr die Großtante in ihrer Erzählung fort. „Sie gesellten sich zu den übrigen Promenirenden, und ich bemerkte, daß mein Bräutigam die Cousine vorstellte, ebenso, daß er die Achseln zuckte, als ihn Jemand aus der Gesellschaft anredete. Dabei drehte er sich um und sah zu unserm Hause zurück.

Mich überlief es heiß. Jetzt antwortete er wohl auf die Frage nach mir: ‚Ja, die arbeitet noch; die ist nicht herauszulocken – sie hat fortwährend zu thun.‘

Und immer böser, immer trotziger wurde es in mir. Als die plaudernde Gruppe nicht mehr zu sehen war, trat ich vor den Spiegel und studirte das eigene Aeußere. Das geschah zum ersten Male in meinem Leben. Sonst sah ich wohl flüchtig in das handgroße Glas, wenn ich ausgehen wollte, oder mich frisirte, aber nie hatte ich Zeit oder Neigung gehabt, vor demselben zu träumen. Heute that ich’s.

Ja, ja, die achtundzwanzig Jahre standen in lesbaren Zügen auf meiner Stirn verzeichnet. Die Frisur war einfach und der Anzug sauber, aber – was sagte das Alles im Vergleiche zu den braunen Sammetaugen meiner Cousine, zu ihrem weißen Teint und den seidenen Locken!

Ich hatte gearbeitet und gerechnet, so lange schon, – sie war ein lachendes, fröhliches Kind. Warum that mir der Unterschied so weh, warum träufelte er ein gährendes Gift in das sonst so ruhige Herz? Ich biß mich so lange auf die Lippen, bis das Zucken derselben vorüber war. Heute Abend wollte ich ja nicht weinen – um keinen Preis, und hätte mich der Zorn erstickt.

Als ich in’s Wohnzimmer hinab kam, versuchte Mama mich zu trösten und gegen Hermann Partei zu nehmen, aber ich schnitt ihr sogleich in unfreundlichster Weise das Wort ab. Nachher hat mir es oft leid gethan, wie hart ich die alte Frau behandelt, aber an diesem Abende konnte ich von Hermann nicht sprechen hören, konnte nicht zugeben, daß ich beleidigt worden sei – jeder Blutstropfen kochte in mir.

Als später die Beiden lachend und plaudernd nach Hause kamen, von mehreren Anderen begleitet und in der heitersten Stimmung, da ließ ich mich nicht mehr sehen. Mama sagte mit sehr trockenem Tone, daß ich bereits zu Bette gegangen sei.

Das war zum ersten Male ein offener Zank zwischen meinem Verlobten und mir; ich breitete unwillkürlich die Arme aus, als er die Treppe hinab ging – wie konnte ich ihn auch ohne ‚Gute Nacht‘, ohne Versöhnung fortgehen lassen!

‚Hermann‘, flüsterte ich leise, ‚Hermann!‘

Da stand er still unten bei der Hausthür, als habe er noch etwas vergessen. ‚Hanne,‘ hörte ich ihn halblaut rufen, ‚Hanne, schläfst Du schon?‘

Ich biß die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz zu schreien. Und wäre er fortgegangen für immer – ich konnte dem Eigensinne nicht gebieten. Er wartete noch einige Augenblicke, dann sprang er in schnellem Tempo die Treppe hinauf und legte den Mund an das Schlüsselloch. ‚Hanne, Du schläfst nicht, ich weiß es – sag’ mir ein gutes Wort!‘

Aber ich blieb stumm, ganz stumm. Alle sanften Regungen waren wie durch einen Zauberschlag in mir erstorben, sobald seine Stimme erklang. Wieder verging eine qualvolle Pause. Ich hörte ihn seufzen und leise husten, wie immer, wenn er in Aufregung gerieth. Seine Brust war nicht die stärkste. ‚Gute Nacht, Hanne,‘ flüsterte er mit traurigem Tone. ‚Ich will Dir doch einen ruhigen Schlaf wünschen, wenn Du selbst für mich keinen freundlichen Gedanken hast. Aber – möchtest Du nie mit Reue an diese Stunde zurückdenken müssen, Hanne!‘

Mich trafen die Worte wie glühende Tropfen, einzeln auf das Herz fallend, aber dennoch fühlte ich ein unaussprechliches Entzücken bei dem Gedanken, daß Hermann sehr wohl wisse, ich wolle nicht antworten. Er sollte sich grämen, das wünschte ich – eben weil ich ihn so sehr, so innig liebte. Mag das Jeder widersinnig nennen, der es nicht selbst erfahren hat; ich weiß doch, daß es Wahrheit ist.

Nachdem Hermann gegangen, und die Hausthür von Mama geschlossen worden war – der Ton schnitt mir durch’s Herz – beeilte ich mich, wirklich zu Bett zu gehen. Winchen sollte wenigstens meine entsetzliche Aufregung nicht bemerken. Ich drehte das Gesicht gegen die Wand und schloß die Augen, als ihr leichter Schritt die Treppe herauf kam. Mochte sie glauben, daß ich schlafe.

Malwine schlich leise an mein Bett heran und küßte mich. ‚Tan– Cousine,‘ flüsterte sie, bittend wie ein gescholtenes Kind, ‚sei mir nicht mehr böse! Sieh, wir haben Dir ein Bouquet gepflückt, die Anderen und ich – ach, es war himmlisch draußen vor der Stadt. Das nächste Mal mußt Du unter jeder Bedingung mit uns gehen, Hanne. Sieh einmal, das ist Waldmeister, und hier ein blaues Vergißmeinnicht – das hat Hermann für Dich gepflückt.‘

Ich drehte mich hastig herum. Warum nannte das Kind seinen Namen?

‚Malwine,‘ antwortete ich in strengem Tone, ‚man weckt nicht die Leute, um sie mit kindischem Geplapper zu unterhalten. Jetzt schweig’!‘

Und dann warf ich das Bouquet achtlos bei Seite und strich einige herabgefallene Blüthen – es war das Vergißmeinnicht – von der Decke herab, wie man etwas Unsauberes, Lästiges sorgfältig entfernt. Nur einer der kleinen blauen Sterne war in eine Falte gerollt, ganz nahe zu mir heran. Winchen konnte ihn nicht sehen – den ließ ich an seinem Platze und schloß die Augen, wie gelangweilt, erzürnt im höchsten Grade.

Als Malwine, bitterlich weinend, zu Bette gegangen war, lag ich die ganze Nacht, ruhelos und mit den qualvollsten Gedanken beschäftigt, ohne zu schlafen. Die kleine Blüthe hielt ich zwischen den Fingern – am Morgen war sie schwarzer Staub geworden.

Seit diesem Tage schien zwischen meinen Verlobten und mich ein Schatten getreten zu sein, der sich nicht wieder lichtete. So oft er bat, daß ich an Sonntagen oder am Abende mit ihm ausgehen möge, verweigerte ich meine Zustimmung, und eben so häufig folgte darauf ein stummes unerquickliches Beisammensein, bis endlich zuweilen Tage vergingen, in denen Hermann gar nicht zu uns kam. Ich wünschte mit brennender Sehnsucht den Zeitpunkt meiner Heirath herbei, um nur diesem unhaltbaren Zustande ein Ende zu machen. Früher, ehe Malwine in das stille ehrbare Haus eine so plötzliche Veränderung hineingebracht – ach, früher war Alles anders gewesen.

Und Hermann schien jetzt bitter zu werden, so oft er mit der Cousine von mir sprach. Hatte er noch kürzlich gelacht, als von meiner Pedanterie die Rede war, so klang sein Ton jetzt spöttisch. Einmal sprachen wir von Namen, und da meinte Malwine. daß doch ‚Hanne‘ ein ausgesucht häßliches Wort sei. ‚So gewöhnlich,‘ sagte sie in ihrer lachenden, muthwilligen Weise, ‚ich hätte mir eine ‚Hanne‘ nur als eine Magd mit großen dummen Augen und röthlichem Haare denken können, als einen weiblichen Hans.‘

Die Anderen lachten, nur ich nicht. Was ging das Kind mein Name an? Mochte doch das Wort Hanne so häßlich sein, wie es mochte, ich selbst war ja häßlich.

‚Wenn ich Johanna hieße,‘ plauderte das Kind weiter, ‚so dürfte mein Name nicht derartig zerhackt werden. Man müßte mich wenigstens Jone nennen.‘

Hermann lächelte. ‚Wie Du Alles in’s hellste Licht zu setzen verstehst, Winchen!‘ antwortete er. ‚Ach, das ist ein wahres Gottesgeschenk.‘

Mama zuckte die Achseln. ‚Pflegt gewöhnlich mit schlimmem Unkraute auf Einem Acker zu wachsen,‘ antwortete sie. ‚Leichter Sinn und – Leichtsinn, das ist nichts so sehr Verschiedenes.‘

Winchen erröthete stark. Ich sah das überhaupt in der letzten Zeit sehr häufig an ihr.

‚O,‘ sagte sie verwirrt, ‚Tante, das meinst Du gar nicht so. Ich finde, wir könnten die Cousine füglich umtaufen und aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_322.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)