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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Burg aufsteigenden Garten eingerahmt. Die Fürstin Fürstenberg ist eine ihrer Schönheit wie ihrer Launen wegen bekannte Dame. Diese Launen haben ihrem seligen Gemahle viel Geld gekostet. Einen Pariser Hut, der tausend Franken gekostet, dem Schooßhündchen zum Apportiren hinzuwerfen, war ihr eine Kleinigkeit. Minder kostspielig war ein anderer burlesker Scherz, den sie in Scene setzte. Sie wettete eines Tages mit ihrem Gemahle, daß sie die Gassenstrecke vor ihrem Palais viel besser reinfegen würde als irgend Jemand anderes, und ehe der Fürst es zu hindern vermochte, war sie unten, hatte sich eines Besens bemächtigt und fegte energisch darauf los. Der Fürst besaß in Lana bei Prag einen ausgedehnten, prächtigen Thiergarten, den er bis in seine verborgensten Partien mit Fahrwegen durchsprenkeln ließ, damit seine Gemahlin das Wild vom Wagen aus wegschießen könne. Heute ist die an königliche Pracht und Verschwendung gewöhnte Frau auf eine sehr mäßige Rente angewiesen. Man sah sie im verwichenen Jahre häufig in Baden-Baden in Gesellschaft der Lady Dudley, der gefeierten englischen Schönheit, deren Gemahl ein so sonderbarer Kauz sein soll. Es geht die Sage von dem gebrechlichen Manne, der vierzig Jahre älter als seine Frau und ebenso häßlich wie diese schön ist, daß er in dem Wahne lebe, er würde eines Tages von einem Eichkätzchen entbunden werden. Um dasselbe nun nicht zu verlieren, trägt er den unteren Theil des Körpers in Sackleinewand eingenäht. Es ist das derselbe Lord Dudley, dessen auf zwei Millionen Pfund geschätzter Familienschmuck ein so großes Aufsehen auf der Wiener Weltausstellung erregte. Die Fürstin Fürstenberg ist eine Nichte jenes Generals Khevenhüller, welcher dem Fürsten Windischgrätz bei der Beschießung Prags im Jahre 1848 secundirte. Sein famoses, den Fürsten zur Fortsetzung des Bombardements animirendes Wort: „Noch eine Pille, Durchlaucht!“ ist ein geflügeltes Wort geworden.

Da, wo das Palais Fürstenberg aufhört, fängt eine wahre Mördergrube an. Fast jedes Haus ist dort der Schauplatz einer unheimlichen Mordaffaire gewesen. Hier wurde eine Geldverleiherin von einer Schuldnerin in der grausamsten Weise massacrirt. Daneben klebt ein Häuschen am Felsengemäuer jenes Hohlwegs, den Wallenstein hier durchbrechen ließ, um seine Armee aus der Stadt hinauszuführen. In diesem Häuschen wohnte eine aus drei Personen bestehende Familie, welche ein gewisser Masson insgesammt in einer Nacht umbrachte. Dieser Masson war eine räthselhafte Persönlichkeit. Er hatte unter dem ersten Napoleon in Spanien gedient und besaß einen Abschied vom französischen Divisionscommando in Saragossa, in welchem der eigentliche Name des Verabschiedeten ausradirt und durch den geschickt hingemalten Namen Masson ersetzt war. Wahrscheinlich war er von der französischen Armee desertirt und hatte einen Cameraden umgebracht, um sich seiner Legitimationspapiere zu bemächtigen.

Aber kehren wir von dieser Excursion, die wir in die Nachbarschaft der stillen Allee unternahmen, wieder in diese letztere zurück, um noch einer Persönlichkeit zu gedenken, die sich vor Jahren in derselben zu ergehen pflegte. Dieselbe gehörte weder zu den vertriebenen, noch zu den abgedankten Fürstlichkeiten, sondern zu dem gleichfalls weitverbreiteten Geschlechte der Prätendenten. Seit Jahr und Tag spielt sie drüben im Lande der Kastanien eine prononcirte Rolle, und es ist in ihrem Namen sowie in jenem des Princips, das sie vertritt, in den letzten drei Jahren mehr Blut vergossen worden, als sie je zu verantworten im Stande ist. Der Mann, der als hochaufgeschossener Knabe mit seinem Hofmeister im Anfang der sechsziger Jahre die stille Allee täglich auf und nieder zu wandeln pflegte, ist Don Carlos, der Prätendent von Spanien. Der Enkel jenes Don Carlos, der zehn Jahre lang mit seiner Nichte Isabella um den spanischen Thron kämpfte, bis ihn Espartero zwang, nach einer entscheidenden Niederlage Spanien zu verlassen und in Oesterreich eine Zuflucht zu suchen, wo er unter dem Namen eines Grafen Montemolin lebte und starb, bewohnte Jahre lang mit seinem jüngeren Bruder Alphons das Schloß auf dem Prager Hradschin, und man sah die beiden braunen, schwarzhaarigen und schwarzäugigen Jungen mit ihrem Hofmeister, einem Jesuiten, in einer alterthümlichen Hofequipage, die ganz zu den Grundsätzen paßte, welche ihnen der Jesuit einimpfte, durch die Stadt fahren. Als es in Oesterreich zu tagen begann, gefiel es den Jesuitenschülern nicht mehr recht in Prag – dafür kam bald darauf ein anderer spanischer Alphons als Flüchtling nach Oesterreich, um im Wiener Theresianum, der österreichischen Beamtenabrichtungsanstalt, gedrillt zu werden.

l.




Georg Herwegh.
Literarisches Stimmungbild.


Vierunddreißig Jahre sind jetzt verstrichen, seit im Verlage des literarischen Comptoirs in Zürich und Winterthur (Julius Fröbel) der erste Band der „Gedichte eines Lebendigen“ erschienen. Vom Jahre 1841 bis 1845 folgten die neuen Auflagen rasch und zahlreich aufeinander. Wenigstens die des ersten Bandes. Und heute? – Die „Gedichte eines Lebendigen“ sind aus dem deutschen Buchhandel so gut, wie verschwunden. Es giebt zwar Anthologien, in welchen „Ich möchte hingeh’n, wie das Abendroth“ und zwei oder drei nicht tendenziöse Sonnette unseres Sängers Aufnahme fanden, aber die Zahl derjenigen, welche den Namen Herwegh wirklich aus seinen Gedichten kennen, ist bei der neueren Generation eine verschwindend kleine geworden. Man weiß aus den politischen Tagesblättern, daß es einen Dichter Namens Herwegh giebt oder, richtiger gesagt, gab, denn nun ist er ja todt. Dieser Dichter veröffentlichte von Zeit zu Zeit und bei seltenen Gelegenheiten einige Verse, von denen man nicht ohne Recht sagen darf, sie seien das gereimte Phrasenprogramm einer Partei, welche nicht leben und nicht sterben konnte, weil sie genau nur das wußte, was sie nicht wollte, und das war Alles, was die Weltgeschichte producirte und in den Zeiträumen der Gegenwart mit Nothwendigkeit produciren mußte. Wir sind zu weit vorgeschritten, als daß uns Spott und Satire noch erbittern dürfte, und wir fühlen, daß wir noch nicht so weit vorgeschritten sind, um „ohne Sorgen für den lieben andern Morgen“ die Ideale nur im süßen Nichtsthun der absoluten Verneinungen zu suchen.

Die Herwegh’sche Gelegenheitsmuse fand die kühlste Aufnahme. Selbst Fritz Gerstäcker, der einmal so galant war, eine Lanze mit ihr zu brechen, konnte sie nicht davor retten, daß sie „sitzen blieb“, wie schlechte Tänzerinnen auf dem Balle.

Und doch war Georg Herwegh ein „Dichter von Gottes Gnaden“, ein poetischer Genius in des Wortes größter Bedeutung. Und doch gab es eine Zeit, wo er ganz Deutschland, wie ein Tyrtäus, elektrisirte und entflammte, und wahrlich nicht allein durch die Freiheitsphrasen, die er zündend hinauswarf, sondern auch durch den Reichthum der Gedanken und der ungezwungenen poetischen Bilder, sowie durch seine Formvollendung.

Ich habe den Dichter persönlich gekannt. Ich duzte mich mit ihm; seine Gedichte haben auf meine ganze Lebenslaufbahn einen entscheidenden Einfluß gehabt. Die Ereignisse trennten uns bald. Was ich über den Menschen Herwegh von Zeit zu Zeit vernahm, konnte keine Anziehungskraft ausüben, konnte mich aber auch nicht bestimmen, über den Menschen zu urtheilen, obgleich mir geistig und gemüthlich nahestehende Personen Partei waren. Ich sah nur die alte Erscheinung wieder einmal bestätigt, daß mit seltenen, seltenen Ausnahmen das Exil – und auch das Selbstexil – den Genius des Menschen demoralisirt, wenn mit dem Exil nicht die Resignation verbunden ist, vom alten Schauplatz abzutreten. Der Exilirte, welcher das nicht kann, bleibt auf dem Standpunkte stehen, den er einnahm, als er in’s Exil wanderte. Man sagt, die geblendete Nachtigall träume im Käfig stets vom Frühling, und deshalb sänge sie das ganze Jahr. Man glaubt aber nicht mit ihr an ihren Traum und an ihren Gesang.

So ist das Exil. Es ist ein Käfig, in welchem wir geblendet sitzen und träumen. Wir träumen das Leben weiter, welches unsere Phantasie im Wachen geträumt hat, ehe uns das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_318.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)