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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Karl dem Vierzehnten Johann, glänzt statt der blutigen Fackel ein goldener Friedensstern über dem Lande und seinem schönen Königsschlosse.

Das prachtvolle Grand Hôtel, das mit einem Kostenaufwande von drei Millionen Reichsthaler errichtet wurde, schließt sich den schönsten Etablissements dieser Art würdig an. Es enthält ein eigenes Telegraphen- und Zollamt für die Reisenden. Die Gemächer sind theilweise fürstlich eingerichtet und ahmen treu die originellsten Style des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts nach. Von dem Dache aus genießt man jetzt die schönste Aussicht über Stockholm, die selbst die berühmte Rundschau vom „Moseshügel“ aus weit übertrifft.

Ein prächtiges Denkmal schwedischen Kunst- und Vaterlandssinns bietet das Nationalmuseum, im Renaissancestyl nach dem Muster mehrerer Paläste in Venedig erbaut und, wie diese, von der Fluth bespült. Die Hauptfaçade ist mit einer Vorhalle von einheimischem Marmor geziert, in den Nischen stehen die Brustbilder der berühmtesten Männer der schwedischen Neuzeit. Gleich beim Eingange bleibt der Besucher stehen, überwältigt von dem Eindrucke, den die Marmorstatuen der alten Götter Skandinaviens, von Fogelberg gemeißelt, auf ihn machen. Riesengroß stehen hier Odin, der Gott der Helden und der Dichtkunst, Thor, der Gott der wiedererwachenden Natur, und des kräftigen, die Fesseln brechenden Volksgeistes; über ihnen schwebt vom Balcon herab, zu welchem Marmortreppen führen, der holde Balder, der Gott des Frühlings und der Liebe, um den die Götter weinten und in dessen Tode sie die Götterdämmerung, ihren eigenen blutigen Untergang, ahnten.

Im Erdgeschosse wird eine wundervolle Sammlung von Ueberresten aus den drei Hauptperioden des schwedischen Alterthums, der Steinzeit, dem Bronze-Alter und der Eisenzeit, verwahrt; eben dort ist auch eine hübsche Ausstellung ägyptischer Alterthümer. In den ersten Stockwerken befinden sich das Sculpturmuseum und die Leibrüstkammer, im obersten Stockwerke, von oben beleuchtet, die Gemäldegallerie, welche früher im königlichen Schlosse prangte und die der königliche Besitzer hochherzig dem nationalen Museum schenkte.

Ich kann hier die Fülle der so mannigfachen Schätze, die täglich vermehrt werden und mehrmals in der Woche allem Volke zur unentgeltlichen Besichtigung offen liegen, auch nicht einmal andeuten.

Zum Schlusse will ich nur ein neben dem Nationalmuseum sich fast heimlich versteckendes Denkmal noch erwähnen, das ebenso kunstvoll wie originell ist. Seit 1867 steht hier an der ungünstigsten Stelle das Meisterwerk Colin’s, die Gruppe der Gürtelspanner. Sie stellt die alterthümlich schwedische Art des Zweikampfes dar. Beide Kämpfer wurden mittelst eines um die Mitte des Leibes geschnürten Gürtels Brust gegen Brust, verbunden und zerfleischten sich gegenseitig mit ihren Messern. Diese Zweikämpfe entstanden meistens bei hochzeitlichen Gelagen, und die dazu eingeladenen Frauen nahmen gewöhnlich für ihre Männer das Leichengewand mit.

Wenn dieses Denkmal an Kämpfe erinnert, so grausig wie die düstersten Blätter der blutgetränkten Edda, wenn es wenig stimmt zu der friedensvollen Umgebung, deren plätschernde Wogen jetzt von süßeren Mären plaudern, so mag dagegen die Bemerkung einen versöhnlicheren Schluß bilden, daß seit lange das Duell in jeglicher Form in Schweden mit entehrenden Strafen verfolgt wird, daß sich die zweitausend Studenten in Upsala in würdigerer Weise verständigen, und daß schönere Bande, als der furchtbare Gürtel, die Männer Schwedens zum edeln Wetteifer verknüpfen.

Ich, gedenkend der holden Tage, die ich in Stockholm verbracht, möchte schließen mit dem Verse, welcher der Edda entnommen ist:

Weißt du den Freund, dem du wohl vertraust,
Und erhoffst du Holdes von ihm,
So tausche Gesinnung und Gaben mit ihm
Und suche manchmal sein Haus heim.




Die stille Allee in Prag.


Sie ist ein historischer Boden, diese stille Allee. Man könnte sie die Lieblingspromenade entthronter Monarchen nennen. Es wimmelte in dieser Allee von abgedankten Kaisern und Kaiserinnen, von weggejagten Königen und verbannten Prinzen, von vertriebenen Großherzogen und Kurfürsten, soweit auf dem stillen, menschenleeren Hradschin überhaupt von einem Gewimmel die Rede sein kann.

Aber wenn man die Leute schildern will, muß man zuerst das Land zeichnen, – so will ich denn auch vor Allem sagen, was man unter der stillen Allee, im Volksmunde auch die Gimpelallee genannt, versteht. Sie ist eine Doppelreihe von Bäumen, die droben auf dem ganzen Hradschin vom Palais Toscana bis zur alten Königsburg sich hinzieht. Wenn man die Allee in der Richtung gegen die Burg hinabgeht, so hat man zur Rechten das düstere Kloster der Karmeliterinnen, die unter einer so strengen Zucht leben, daß sie sich der Länge nach auf die Erde werfen und das Gesicht auf den Boden drücken müssen, wenn ihnen zufällig im öden Klostergange ein Mann begegnet. An dieses unheimliche Kloster lehnt sich das castellartige Schloß der Schwarzenberg an – ein geradezu granitner Bau, dessen massive Mauern phantastisch bemalt sind. Dieser Feudalburg gegenüber erhebt sich der erzbischöfliche Palast, an welchen sich die Wohnhäuser der Domherren reihen, welche die stille Allee garniren.

Da so gut wie keine Privatleute diesen Stadttheil bewohnen, so ist der große Platz, dessen Mitte die Allee einnimmt, immer leer. Diese Verödung empfahl ihn aber gerade von jeher hervorragenden Persönlichkeiten, die in der Nähe residirten, und bestimmte sie, ihn zu ihrem Lieblingsspaziergange zu erheben.

Keine vierzig Jahre sind es her, daß täglich ein alter Mann die stille Allee stundenlang auf und niederwandelte, umplänkelt von einem rosigen Mädchen von zwanzig Jahren und einem leidend aussehenden etwa vierzehnjährigen Knaben, der ein wenig hinkte. Zuweilen auch geleitete eine Frau in mittleren Jahren den verwittert aussehenden Greis, der immer düster-feierlich dreinschaute. War es denn aber auch ein Wunder, daß er so traurig und verbittert einherschritt? Hatte er doch auf dem schönsten Throne der Christenheit gesessen, hatte er doch ein Land beherrscht, in welchem, einem alten Sprüchworte zufolge, unser Herrgott mit Vorliebe lebt. Oder sagt man nicht von Jemandem, dem es ausgezeichnet geht: er lebt wie unser Herrgott in Frankreich? Und der alte Herr war einmal König von Frankreich gewesen, hatte aber zu viel gebetet, um als solcher sterben zu können. Das Beten setzte er auch im Prager Exil noch fort, denn so oft der Erzbischof in vollem Pomp ein Hochamt celebrirte, saß im Oratorium in einer vergitterten Loge, ein Gebetbuch vor sich, Karl der Zehnte, Exkönig von Frankreich. Und neben ihm saß seine verwittwete Schwiegertochter, die Herzogin von Berry. Die Kinder aber, die ihn auf seinen Spaziergängen begleiteten, waren Mademoiselle von Frankreich, seine Enkelin, und Heinrich von Bourbon, sein Enkel, den man heute den Grafen von Chambord nennt.

Im Jahre 1836 kam Kaiser Ferdinand von Wien nach Prag, um sich daselbst die böhmische Königskrone aufsetzen zu lassen. Es war dies die letzte Königskrönung daselbst, und der neugekrönte König von Böhmen ließ es sich in den glänzenden Septembertagen des Jahres 1836 nicht im Traume beikommen, daß er Karl den Zehnten dereinst in der stillen Allee ablösen würde. Und doch kam es so.

Während bei den Krönungsfesten die Fontainen Wein sprühten und Tausende von Silberzwanzigern unter die jubelnden Massen geworfen wurden, schlich sich ein unheimlicher Geselle bei dem Volke zu Gaste ein, unter welches man Theile im Ganzen gebratener Ochsen und Tausende gebratener Gänse unter freiem Himmel vertheilte, während auf zahllosen Tischen, welche die Hauptplätze der Stadt bedeckten, das Bier auf des Königs Kosten aus den Fässern in die Humpen floß, drei Tage und drei Nächte lang. Dieser unheimliche Gast war die Cholera.

Karl der Zehnte floh vor ihm. An einem trüben Novembertage verließ er die Prager Burg, in welcher er drei Jahre lang

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_316.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)