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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

An der Hausthür begegnete er Kruttke. Der brave Mensch war gleich nach seiner Rückkehr aus Frankreich bei ihm als Comptoirdiener eingetreten und bewährte sich vortrefflich. Er selbst fühlte sich in seiner Stellung recht wohl; nur daß er niemals von der guten Madame Blanchard und von dem schönen Fräulein sprechen durfte, beschwerte sein treues Gemüth. Er wußte wohl, warum er schweigen mußte: es war ja eine unglückliche Liebe. Die mitleidige Seele litt schwer darunter und gab ihre Theilnahme nun wenigstens regelmäßig durch verständnißinnige Blicke zu erkennen. Er kam jetzt eben von der Post, trug ein Pack Zeitungen und Briefschaften in der Hand, und wollte mit dem bekannten wehmüthigen Ernst an seinem Herrn vorüber in’s Haus treten. Rose blieb stehen.

„Was bringst Du?“ fragte er. Er sah es ja; aber es war ihm Bedürfniß, sich durch ein Gespräch aufzuhalten.

„Die Postsachen, Herr Rose,“ antwortete Kruttke mit verhaltener Stimme. Er hatte sich’s angewöhnt, zu ihm, wie zu einem Kranken, leise zu sprechen.

„Hm – gut! Leg’s nur auf meinen Tisch. In einer kleinen halben Stunde denke ich … Weißt Du, Kruttke, der Brief, den Du mir einmal geschrieben hast –“

„Aus Frankreich, Herr Rose –“ Er erschrak sichtlich darüber, daß er das Wort ausgesprochen hatte, und räusperte sich.

„Du hast Recht gehabt: es giebt auch in Deutschland schöne und gute Mädchen, und eins davon soll nun meine Frau werden.“

„Ach! Herr Rose –!“ stieß Kruttke mit komischer Verwunderung heraus. Sein rundes Gesicht wurde blutroth, und die wasserblauen Augen richteten sich mit ängstlicher Frage auf den Principal, wie wohl seine Rede gemeint sei. Dann schüttelte er den Kopf und sah ganz verschämt zur Erde, als handelte es sich um sein eigenes Herzensgeheimniß. „Ach, Herr Rose –“ sagte er wieder in dem leise flüsternden Tone. „Sie machen einen ja blos zum Narren.“

„Durchaus nicht!“ versicherte Arnold; „aber ich kann Dir’s nicht übel nehmen, wenn Du mir nicht glaubst.“

„Denn das Beste wäre es ja,“ fuhr Kruttke lebhafter fort, den Zeigefinger in seine Halsbinde steckend und sie gewaltsam ausweitend, um sich mehr Luft zu schaffen, „und meine alte Mutter, zumal wo sie eine erfahrene Frau ist, sagt auch: ‚Es thut für den jungen Herrn nicht gut, daß er sich so lange Gedanken macht, und ist doch an keine menschenmögliche Aussicht nicht zu denken, und seine Frau Mutter grämt sich, und sein Herr Onkel hat eine Tochter‘ …“

„So, so! Ihr habt ja schon Alles in Ordnung gebracht.“

„Ach, Herr Rose – wenn man Ihnen doch gut ist –! Ich hab’ aber gesagt: ‚Der thut’s nicht – er ist wie verhext,‘ entschuldigen Sie, Herr Rose, das hab’ ich meiner alten Mutter gesagt, und sie hat ein Kreuz geschlagen, obgleich sie nicht katholisch ist, und hat gesagt: ‚der liebe Gott mag’s bessern!‘ Denn fromm ist sie, die alte Frau, das muß man ihr lassen, und gebetet hat sie gewiß alle Abend. Und wenn’s nun wirklich geholfen hat …“ Er streichelte Arnold’s Arm. – „Aber es ist wohl gar nicht Ihr Ernst?“

Arnold fühlte sich ganz eigen bewegt. … „Du sollst einen neuen Hochzeitsrock haben,“ sagte er, sich zur Heiterkeit zwingend, „und für Deine alte Mutter ein Kleid ganz nach ihrem Geschmack und eine Haube dazu. Nun aber reinen Mund halten, bis die Verlobungsanzeige in der Zeitung steht, hörst Du?“

Kruttke legte die Hand auf’s Herz. „Ach, Herr Rose – werde ich!? Also es ist wahrhaftigen Gott wahr? Na, blos die Freude von unserer Frau Commerzienräthin –!“ Er wischte mit dem Rücken der Hand eine Thräne fort.

Dabei kamen die Briefschaften in’s Schwanken; das Pack löste sich, und einige Stücke fielen auf die Erde. Er sammelte sie eiligst auf.

„Was war das für ein kleiner Brief in rosa Convert?“ fragte der Principal.

Kruttke suchte unter den Poststücken. „Wer kann wissen?“ sagte er, eins nach dem andern umlegend. „Ach, der da –! Vielleicht für die Frau Commerzienräthin, weil er doch rosa. –“

„Gieb einmal! – Nein, an mich.“ Arnold betrachtete sehr aufmerksam die Adresse. Sie war mit ganz feinen Schriftzügen, in französischer Sprache geschrieben. Er prüfte den Poststempel: Lausanne. Wer konnte an ihn aus Lausanne …? Er hatte gar keinen Bekannten dort. Und ein Franzose –? Seine Finger schoben sich auf dem Couvert hin und her, als wollte er den Inhalt prüfen: es war ein harter Gegenstand darin, kein Briefbogen. Plötzlich bemächtigte sich seiner eine ganz eigene Aufregung: der Brief zitterte in seiner Hand; er riß hastig die Hülle ab und zog die Einlage hervor – ein Blick darauf, eine schwankende Bewegung – er hielt Kruttke das Blatt vor und: „Mensch, was siehst Du da –?“ keuchte er wie athemlos.

Kruttke sprang zu und stützte ihn mit seinem Arm. Zugleich sah er auf das Blatt, und fühlte nun auch seinen eigenen Kopf taumeln. „Straf mich Gott!“ rief er, „das französische Fräulein!“

(Schluß folgt.)




Die Einfahrt bei Stockholm.
Von Eugène Peschier.
Mit Abbildung.


„Schön wie ein Traum“, so rief der englische Dichter Byron. als er auf der Höhe von Chêbres zum ersten Mal den herrlichen Leman, bergumkränzt, blauschimmernd tief unter sich liegen sah. Derselbe Ruf des Entzückens entreißt sich der Brust des Wanderers beim ersten Anblick der schwedischen Hauptstadt, er mag ihr zu Lande nahen oder auf der Ostsee. Er fliegt über den Felsboden des dem Meere entstiegenen Landes an düstern Tannen, an stillen einsamen Seen vorbei, hört nur den Hammer, der das Eisen schmiedet, oder die Axt, welche die Bäume des Waldes fällt; plötzlich ist er in tiefe Nacht begraben; er rauscht unter Södermalm, der Südvorstadt Stockholms hin, und kaum ist er der Tiefe entkommen und tritt auf den Riesendamm und die eisengeschmiedete Brücke, da schaut er dem traumhaften Mälarsee in das tiefblaue Auge und erblickt die schöne Stadt, die in zwei Wassern schwimmt. Noch gewaltiger, unvergleichlich schön ist der Eindruck, wenn der Reisende bei Malmö sich dem Dampfboot anvertraut, die Ostsee im Norden von Oeland durchfurcht und bei dem Leuchtthurm Landsort in die Stockholmer Scheren einbiegt, an der Seeveste Waxholm, an zahllosen mit Villen übersäeten Inseln vorbeifährt und plötzlich hinter einem Mastenwalde die Südvorstadt Stockholms wie ein riesiges Amphitheater emportauchen sieht.

Wiederum reiht sich Insel an Insel, vor Allem die schöne Thiergarteninsel, wo aus nacktem Fels ein wahres Paradies geschaffen ward und schon die Namen der lieblichen Landhäuser, Alhambra, Tivoli, Novilla, Manilla, Rosendal etc. duftige Märchen vor die Seele rufen, die noch nicht ahnt, daß das nicht lauter Lusthäuser sind, sondern theilweise Schöpfungen der Barmherzigkeit. Jetzt rasselt der Anker, lustig flattert die schwedische Flagge vom Castell der Schiffsinsel herab, und die Batterie donnert dem grüßenden Schiffe die Antwort entgegen. Umwogt von riesigen Nordfahrern, schwerbeladenen Kauffahrteischiffen, zierlichen Schaluppen und winzigen Nachen, die wie glänzende Mücken unter reichbefiederten Seevögeln im Sonnenlichte schwärmen, umflattert von den Flaggen des Nordens, setzt der Reisende den Fuß auf die prachtvollen Quadern des Quais, überwältigt von der imposanten Scenerie, die ihn umfängt. Diesen Schlußpunkt der Seefahrt, die Ankunft im Nordhafen Stockholms, führt uns unser heutiges Bild vor. Dem Besucher wird diese Einfahrt unvergeßlich bleiben. Stockholm gehört mit Neapel, Venedig, Antwerpen zu den Perlen der fluthumrauschten Städte.

Franz Wallner, der moderne Odysseus, der direct vom goldenen Horn am Bosporus zu den nordischen Buchten gewandert war, giebt in seinen „Nordlandfahrten“ dem Hafen der nordischen Hauptstadt unbedingt den Vorzug vor der als unvergleichlich gerühmten Einfahrt bei Stambul. Denn wer den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_314.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)