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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Wäre mir der Gegenstand gleichgültig gewesen, ich hätte das Geheimniß nicht so lange gehütet. Aber vom ersten Augenblicke an bemächtigte sich meiner ein Zwang … ich konnte ihm keinen Widerstand entgegensetzen. Und als ich dann Juliette selbst sah und die tiefste Neigung –“

„Ah! nichts, nichts, nichts!“ fiel Blanchard ein, der nun seine frühere Haltung wiedergewonnen hatte. „Ich glaube noch nicht einmal daran, und wenn wirklich – wenn wirklich –“

„Das Bild befindet sich in meiner Brieftasche,“ versicherte Arnold; „es bedarf nur eines Ganges nach meinem Hôtel –“

„Und wenn wirklich,“ fuhr Blanchard fort, ihn mit der Hand zur Ruhe weisend, „ich habe Ihnen schon gesagt: es ist unmöglich. Ueber meiner Tochter Hand ist auch bereits verfügt.“ Er wandte sich ab und schien damit das Zeichen geben zu wollen, daß ihm die Entfernung des Besuchs erwünscht sei.

Arnold trat zu ihm und legte die Hand auf seinen Arm. „Wenn mich Juliette liebt, Herr Blanchard –“ sagte er mit bewegter Stimme.

„Es ist nicht – darf nicht sein. Juliette ist meine Tochter.“

„Und Sie wollen ihr Herz nicht befragen?“

„Nein.“

„Sie glauben die Verantwortung –“

„Ich weiß, was ich Frankreich schuldig bin. Wir sind besiegt, aber wir haben die Achtung vor uns selbst nicht verloren, mein Herr. „Es giebt unauslöschliche Feindschaften. Kein Wort weiter!“

Arnold sah sich wieder vor der Mauer ohne Pforte, die nun in raschem Sturme zu nehmen gänzlich mißglückt war. Wie der Soldat, der seine Kräfte ohne jeden Erfolg erschöpft hat, fühlte er sich plötzlich ganz muthlos und keiner weiteren Anstrengung fähig. „Vergebens – Alles vergebens,“ sagte er zu seinem Onkel, der sich in der peinvollsten Lage befand und jetzt keine andere Antwort hatte, als ein Achselzucken und einen Blick gen Himmel, für den Arnold sich eine beliebige Auslegung suchen mochte.

„Ich glaube erwarten zu dürfen,“ nahm Madame Blanchard das Wort, „daß Sie uns unter solchen Umständen“ – sie wies auf ihren Mann – „Juliette’s Bild nicht länger vorenthalten werden. Es könnte für Sie, wenn Ihre Gesinnungen aufrichtig sind, woran ich nicht zweifle, nur den Werth einer sehr trüben Erinnerung haben. Uns aber müßte es nach dieser Eröffnung sehr peinlich sein, es in Ihrer Hand zu wissen.“

„Sie haben Recht,“ entgegnete der junge Mann. „Ich weiß, daß mir dieses Bild nur so lange gehören darf, wie die Hoffnung in mir lebt, Juliette selbst zu gewinnen. Noch gebe ich diese Hoffnung freilich nicht auf. Mein Antrag hat Sie überraschen müssen; Ihre Erklärung darauf ist in erregter Stimmung erfolgt – ich darf sie nicht als eine endgültige anerkennen. Sie werden Juliette hören – Sie werden mir gestatten, ihr selbst, wenn sie’s fordern sollte, das mir so theure Bild zurückzugeben. Ich nehme also noch nicht Abschied. Auf Wiedersehen!“

Ohne weiteren Einspruch abzuwarten, faßte er seinen alten Onkel unter den Arm und verließ mit ihm das Zimmer. –

Schweigend gingen sie über die Straße hin nach ihrem Gasthause.

An der Thür kam ihnen der Wirth entgegen. „Meine Herren,“ sagte er ganz verstört, „ich habe Ihnen eine sehr unangenehme Neuigkeit zu melden. In Ihrer Abwesenheit – der Himmel weiß, daß ich außer Schuld bin! – in Ihrer Abwesenheit ist der Maire mit einigen seiner Beamten hier gewesen. Man hat sich Ihre Zimmer aufschließen lassen, hat eine Haussuchung gehalten, Ihre Koffer eröffnet, alle Ihre Sachen –“

„Aber auf welchen Verdacht hin?“ fiel Arnold empört ein. „Was haben wir harmlose Reisende verbrochen –“

„Ach! nach der gestrigen Scene fürchtete ich gleich das Einschreiten der Polizei und des Gerichts,“ äußerte der Hôtelbesitzer mit lebhafter Gesticulation. „Was wollen Sie, meine Herren? Sie sind Deutsche, und Sie haben sich der Spionage verdächtig gemacht. Es mußte etwas geschehen, um die Leute zu beruhigen. Ich sagte Ihnen ja gleich, daß Sie sich sehr vorzusehen hätten. Uebrigens finden Sie Ihr Eigenthum unversehrt. Der Herr Maire hat nichts mitgenommen, als eine kleine Brieftasche, die sich in Ihrem Rocke befand –“

„Meine Brieftasche!“ rief Arnold. „Das nenne ich unverschämt.“

„Mäßigen Sie sich, mein Herr,“ bat der Hauseigenthümer. „Es handelt sich, wie ich annehmen muß, um einen gesetzmäßigen Act der Behörde, deren Anordnungen sich auch der Fremde zu fügen hat. Ich bin überzeugt, daß man Ihnen die Brieftasche zurückgeben wird, nachdem man in discreter Weise Kenntniß von ihrem Inhalte genommen. Was können Sie mehr verlangen?“

„Genugthuung! Ich eile auf die Mairie, und wenn mir dort nicht volle Gerechtigkeit wird, auf die deutsche Gesandtschaft. Lassen Sie mir sogleich den Wagen anspannen!“

Der Franzose lächelte giftig. „Keine Drohungen, mein Herr, keine Drohungen!“ sagte er. „Die Untersuchung wird ihren Gang haben.“

Die Brieftasche fehlte wirklich.

Auf der Mairie wurde Rose mit aller Höflichkeit empfangen. Er stand nun dem Manne gegenüber, mit dem er um ein Herz zu kämpfen hatte. Wußte, vermuthete, argwöhnte Herr Credillon, um was es sich für ihn handelte? Sein nichtssagendes Lächeln konnte darüber nicht aufklären; aber es hatte vielleicht Bedeutung, daß er dabei die Augenlider herabhängen ließ und wie unter einer Schießscharte hervor den Deutschen musterte. „Ich weiß, weshalb Sie kommen mein Herr,“ nahm er sogleich das Wort. „Entschuldigen Sie meinen Besuch in Ihrer Abwesenheit! Die besonderen Umstände verboten eine Anmeldung. Die Pflicht eines Sicherheitsbeamten –“

„Und wessen beschuldigt man uns?“ fiel Rose ein. „Womit rechtfertigt die Behörde diese Haussuchung?“

„Darüber hat sie sich schwerlich Ihnen gegenüber zu verantworten, mein Herr,“ entgegnete der Maire immer in demselben gleichmäßigen und höflichen Tone. „Aber ich stehe durchaus nicht an, Ihnen mitzutheilen, daß Anzeigen gegen Sie und Ihren Reisegefährten bei mir eingelaufen sind, die ich nicht unbeachtet lassen durfte. Die Masse ist aufgeregt, und Sie haben sich verdächtigt. Es mußte amtlich irgend etwas geschehen, um die Leidenschaften zu beruhigen.“

„Und meine Brieftasche –?“

„Ich habe sie an mich genommen, weil sie mancherlei Schriftstücke in einer Sprache enthielt, die ich nicht verstehe. Es war meine Pflicht, festzustellen, daß dieselben keinen Inhalt hätten, der auf einen unerlaubten Zweck Ihres hiesigen Aufenthaltes könnte schließen lassen. Ich zweifele keinen Augenblick –“

„Und wo befinden sich die Papiere zur Zeit?“

„In den Händen des deutschen Dolmetschers, den ich sofort ersucht habe, sie einer Durchsicht zu unterziehen.“

„Darf ich Namen und Wohnung dieses Herrn erfahren?“

„Wozu? Haben Sie die Güte, sich nach zwei Stunden wieder hier zu melden! Ich hoffe dann bereits in der Lage zu sein, die Brieftasche mit ihrem ganzen Inhalte wieder in Ihre Hände zurückgeben zu können. Wie gesagt, nur eine Präventivmaßregel – man soll mich nicht beschuldigen dürfen, nachlässig im öffentlichen Dienst gewesen zu sein.“

„Ich werde mich auf der Präfectur beschweren, mein Herr –“

„Das steht Ihnen frei, mein Herr, aber es ändert in der Sache selbst nichts, könnte jedoch leicht eine Verzögerung herbeiführen, die Ihnen schwerlich angenehm wäre, und die Angelegenheit unnöthigerweise compliciren. Nach zwei Stunden, mein Herr, nach zwei Stunden! Treffen Sie inzwischen gefälligst die Vorbereitungen zu Ihrer Abreise!“

„Es ist durchaus nicht meine Absicht –“

„O, ich bedaure, Sie ersuchen zu müssen, sich gewissen polizeilichen Anordnungen zu fügen, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit …“

„Auch wenn meine Papiere in voller Ordnung befunden werden?“

„Auch dann! Ich sehe mich außer Stande, die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen, daß Ihrer Person wegen Unruhen entstehen, die leicht Ihr Leben gefährden könnten. Ich erwarte Sie also nach zwei Stunden. Auf Wiedersehen!“

Er verbeugte sich tief und gab damit das Zeichen, daß er die Audienz als beendigt ansehe. Rose mußte sich überzeugen, daß jede Bemühung, durch seine Vorstellungen die Entschlüsse des Beamten zu ändern ganz fruchtlos sein würde. Im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_310.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)