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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 19.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Ein kleines Bild.
Von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


„Was könnte es nützen,“ nahm Arnold wieder das Wort, „eine Frage hinzuzögern, die an Ihr gutes Herz zu richten der einzige Zweck meiner Reise hierher war. Ich weiß, Madame Blanchard – Herr Blanchard, Sie haben ein gutes Herz, das schon oft zu Gunsten reiner Menschlichkeit den Zwang beengender Vorurtheile durchbrochen hat. Ich sagte Ihnen gestern, daß ich gekommen sei, mir aus Frankreich eine Frau zu holen. Sie schienen’s für Scherz zu nehmen, aber es war wirklich, wie ich versicherte, mein ernsthaftester Ernst. Deshalb begleitete mich mein alter Onkel, um sich mit eigenen Augen für meine besorgte Mutter zu überzeugen, daß die Familie, aus der ich meine Wahl getroffen, die würdigste ist, und um zu bestätigen, daß ich frei über mich zu verfügen habe. Nun – das Mädchen dem mein ganzes Herz gehört, ist längst gefunden; es ist Juliette, Ihre Tochter.“

Blanchard stieß so heftig den Stock auf den Fußboden, daß seine Frau erschreckt auffuhr; als er sich dann vom Stuhle erhob, schüttelte die Hand auf der Krücke hin und her, die kleinen grauen Augen, weit aufgerissen schienen Feuer zu sprühen und die Lippen bewegten sich mit großer Schnelligkeit gegeneinander, ohne sogleich Worte formen zu können. Helmbach, der ein Unglück befürchtete, sprang auf und suchte den am ganzen Leibe Zitternden zu unterstützen; er wies aber den dargebotenen Arm zurück, trat einen Schritt gegen Arnold vor und rief:

„Geben Sie Frankreich – geben Sie – geben Sie Frankreich Elsaß und Lothringen zurück, und Sie sollen – Sie sollen meine Tochter zur Frau haben. Elsaß und Lothringen, mein Herr – Elsaß und Lothringen für meine Tochter!“

Die Aufregung machte seine Sprache wieder unsicher, tastend, zerstückt. Er sank in den Stuhl und wiederholte noch mehrmals leiser und leiser: „Elsaß und Lothringen – meine Tochter.“

Arnold, obschon sich ihm das Herz in der Brust zusammenkrampfte, suchte äußerlich ruhig zu erscheinen. „Sie fordern Unmögliches von mir,“ antwortete er. „Und wenn ich der deutsche Kaiser selbst wäre, diesen Preis für Ihre Zustimmung vermöchte ich nicht zu zahlen. Aber ich liebe Juliette, und Juliette –“

Der Franzose ließ ihn nicht aussprechen. „Unmögliches – Unmögliches –“ wiederholte er, „gerade wie Sie – wie Sie Unmögliches fordern. Mein Kind einem Deutschen – einem von denen, die vor kaum Jahresfrist hier als Feinde hausten, die mit Waffengewalt Paris – Paris – Paris …“ Die Gedanken gingen ihm aus; er brachte den Satz nicht zu Ende. Dann schienen sie, indem sein Blick durch das Zimmer irrte und die offene Thür seitwärts streifte, plötzlich eine neue Vorstellung aufzufassen und festzuhalten. Ein listiges Lächeln flog über sein Gesicht. „Ah! Unmögliches!“ sagte er spöttisch, „kann wohl sein! Gut! Da ist eine andere Aufgabe. Juliette ist beleidigt von einem jener Hunderttausende, die Paris belagerten. Sehen Sie dort den leeren Rahmen – man hat ihr Bild … ihr Bild hat man gestohlen – Juliette’s Bild, mein Herr! Nun denn! schaffen Sie’s zurück in jenen Rahmen, ha, ha, ha! und ich will glauben, daß Sie Juliette lieben.“

Der Eindruck, den er sich offenbar von dieser Anforderung versprochen hatte, deren Bedeutung ihm jenem märchenhaften: „bringe mir drei Haare aus des Sultans Bart!“ gleichzukommen schien, ging gänzlich fehl. Selbst Helmbach’s rundes Gesicht, das soeben noch ganz versteint ausgesehen hatte, schaute auf ein rasch hingeworfenes Wort seines Neffen plötzlich recht vergnügt d’rein. Arnold gab ihm einen Wink und sagte kopfnickend:

„Wenn das Ihr Ernst wäre ... auf diese Bedingung könnte ich wohl eingehen. Ich weiß: es ist Ihr Ernst nicht; Sie wollten meiner nur spotten. Aber wenn es nun ein glücklicher Zufall so fügte, daß ich Ihren Spott in Ernst zu verwandeln vermöchte – wollen Sie darin nicht den Spruch einer gütigen Vorsehung erkennen, die Sie auf diese überraschende Weise mahnt, das Glück zweier Menschen, die zusammen gehören, nicht zu stören? Im vollen Ernst also: geben Sie mir Juliette für Juliette’s Bild! In einer halben Stunde kann der Tausch bewirkt sein.“

Blanchard konnte sich in diese ganze unvermuthete Wendung nicht sogleich finden. Auf seinem fahlen Gesichte haftete noch jenes höhnische Lachen, aber seine Gedanken waren offenbar weit weg davon. Sie suchten, wie seine verschwommenen Augen, irgend einen Halt und konnten ihn nicht finden.

Seine Frau durchschaute schneller die Sachlage. „Wie, mein Herr,“ sagte sie, anscheinend gar nicht unangenehm überrascht, „Sie selbst machten in unserer Abwesenheit diesem Hause einen Besuch – Sie selbst eigneten sich Juliette’s Bild an?“

„Sie selbst – Sie selbst –“ wiederholte Blanchard, der nun gleichfalls zu begreifen anfing; „ah! Sie selbst.“

„Und das Bild zog mich Ihnen nach,“ fuhr Arnold fort. „Sie wissen nun, weshalb ich mich bei Ihnen einquartierte.“

„Und Sie konnten uns so lange in Ungewißheit lassen!“

„Sie werden meine Gründe verstehen, verehrteste Frau.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_309.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)