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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Helene Schubart weilte, vom Herzog mit einer jährlichen Pension von zweihundert Gulden unterstützt, in Stuttgart; ihr Knabe war in die Karlsschule gekommen, ihre Tochter in eine Bildungsanstalt für Mädchen, die Ecole des demoiselles, welcher die Gräfin Hohenheim vorstand.

Und endlich kam in der Einsamkeit mit der Reue auch die alte Liebe in das wankelmüthige Dichterherz zurück – Schubart sehnte sich nach Weib und Kindern.

Am 9. Mai 1784 ruft er seiner Gattin zu:

„Einzige! Nur daß ich den M. nicht ohne Brief fortschicke, muß ich Dir kürzlich sagen, daß ich Antwort auf ein Memorial erwarte, welches ich dem Herzog um die Erlaubniß zuschickte, mit Dir und den Meinigen sprechen zu dürfen.“

Dieses „Memorial“ selber ist weder David Strauß zugänglich gewesen, noch in dem umfangreichen Buche über die Karlsschule von H. Wagner enthalten; wohl nahe an hundert Jahre mag es unberührt in dem Actenbündel im königlichen Staatsarchiv zu Stuttgart gelegen haben, in welchem es jetzt aufgefunden wurde.

In schöner, deutlicher Handschrift, auf die Schubart besonders hielt, und für damalige Zeit auffallend guter Rechtschreibung lautet es mit der Aufschrift:

“Ad manus clementissimas!
Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Herzog und Herr!

M. Christian Friedrich Daniel Schubart bittet allerunterthänigst um die höchste herzogliche Gnade, nach beinahe achtjähriger Trennung seine Familie wiedersehen und sprechen zu können.

Es sind bereits achthalb Jahr, daß ich dem Schooße meiner Familie entrissen bin. Aber auch diese lange Zeit hat die Liebe zu meiner Gattin und Kindern nicht geschwächt, sondern vielmehr mit jedem Monde die zärtliche Sehnsucht nach selbigen vermehrt. Wie sehr wünscht ich also, aus dem Munde der Meinigen einmal den Dank für die unzähligen Gnaden zu vernehmen, wodurch sich Ewer Herzogliche Durchlaucht an dieser meiner armen Familie zu verherrlichen geruhten; auch wünscht ich ein dankvoller Zeuge von den Fortschritten meiner Kinder in Künsten und Wissenschaften zu seyn und dann mit Vaterfreuden gen Himmel zu schauen, um für Ewer Herzogliche Durchlaucht die Fülle jedes Seegens für Zeit und Ewigkeit von Gott dem Allbelohner herabzuflehen.

Da Ewer Herzogliche Durchlaucht gleich im Anfang meiner Gefangenschaft mir die huldreicheste Versicherung zu ertheilen geruhten, mich nicht auf immer von den Meinigen zu trennen, so wag ich’s um so mehr, Allerhöchst Denenselben die allerunterthänigste Bitte zu Füßen zu legen, mir nach beinahe achtjähriger Trennung von meiner alten am Grabe schwankenden Mutter, meiner Gattin und Kindern die allergnädigste Erlaubniß zu ertheilen, mich mit selbigen zuweilen besprechen und nach so langer, harmvoller Entfernung das Glück des Sohnes, Vaters und Gatten wieder empfinden zu können.

Meine Tochter widmet sich, wie ich vernehme, dem Theater und soll nach dem Zeugniß der Kenner ziemliche Talente verrathen. Wie glücklich würde mich Ewer Herzogliche Durchlaucht machen, wenn Allerhöchstdieselben gnädigst zu genehmigen geruhten, meiner Tochter zuweilen Unterricht in der Deklamation, Mimik, im schönen Gesange und auf dem Klavier ertheilen zu dürfen, um sie zu ihrem künftigen Berufe desto tüchtiger zu machen!! –

Ewer Herzogliche Durchlaucht denken zu groß und empfinden zu tief, als daß Allerhöchstdieselben nicht eine Bitte zu gewähren geneigt sein sollten, die der Erguß eines von Liebe und Sehnsucht erfüllten Herzens ist.

Inzwischen leg ich mein Schicksal auf’s neue Ewrer Herzoglichen Durchlaucht zu Füßen, mit der vesten Ueberzeugung, daß Gott, der Lenker der Fürstenherzen, auch Höchstdero großes Herz noch fernerhin zum Besten eines armen Gefangenen und seiner dürftigen Familie lenken werde.

Ich habe die Gnade mich mit einem Herzen voll innigster Dankbarkeit, der demüthigsten Hofnung und der allertiefsten Ehrfurcht zu nennen.

Ewer Herzoglichen Durchlaucht
     allerunterthänigsten treu devotesten Knecht
          Schubart.

     Hohenasberg, den 22. Mai 1784.

Daß der Herzog nicht allein geneigt war, die Bitte zu gewähren, sondern an gänzliche Befreiung des Dichters und seine Wiederanstellung gedacht, geht aus einem dem Memorial beigelegten Gutachten des Obersten Seeger hervor. Derselbe, pünktlich, klug und rechtschaffen, besaß als Intendant der Karlsschule des Herzogs ganzes Vertrauen. Er macht in dem genannten Schriftstücke, welches das Datum des 28. Mai 1784 trägt, seinem Herzog den Vorschlag, Schubart als Lehrer für die dem Theater gewidmeten jungen Leute anzustellen.

„Dem Theater selbst,“ heißt es in jenem Memorial, „aber gehet von jeher eine Person ab, welche nicht allein die Deklamation und Mimik, sondern hauptsächlich die Reinigkeit der deutschen Sprache zum allgemeinen Besten des Publikums mehr kultivirte.

Und diese hat Schubart, ob er gleich in seiner unterthänigen Bittschrift nichts davon berührt, so in seiner Gewalt, daß er gewiß mit allen hiesigen, vielleicht mit den meisten Schriftstellern Deutschlands darinnen um den Vorzug streiten kann.

In allen deutschen Sing- und Schauspielen, zu deren Aufführung der Capellmeister Poli weder Brauchbarkeit noch guten Willen besitzt, würde Schubart mit Nuzen am Clavier sizen und mit eben so großem Nuzen die noch nicht ausgebildeten jüngern Sänger und Sängerinnen auf dem Clavier fortbilden.

Es dürfte vielleicht noch verschiedene andere Fälle geben, wobey man sich des Schubart in Absicht auf seine Schreibsucht mit Nuzen, aber auch nicht ohne die größte Aufmerksamkeit bedienen könnte. Dahero ihme bey seiner Anstellung zur Verhütung aller künftigen Entschuldigungen solches, zwar beditten, aber in dem Anstellungs-Decret selbst, damit er sich keines akademischen Berufs rühmte, bloß als allgemeinen Ausdrucks: Theater, bedient, folglich auch kein Titel ertheilt, hingegen seine Besoldung, welche der bevorstehenden Aus Musterung der dem Theater gewidmeten jungen Leuten noch angehängt werden könnte, desto ergiebiger eingerichtet werden dürfte, damit er in den Fall gesetzt würde, sich aller Klagen so wohl in, als außerhalb des Herzogthums zu enthalten.

Ewer Herzoglichen Durchlaucht höhern gnädigsten Einsichten habe ich dieses mein unterthänigstes Gutachten in der tiefsten Ehrfurcht anheimstellen und erstadten sollen

Ewer Herzoglichen Durchlaucht
          unterthänigsttreu gehorsamster
               C. D. Seeger.

Auf beiden Schreiben findet sich, ganz gegen alles sonstige Herkommen, keine Randbemerkung des Herzogs; ein zweites Gutachten des gewissenhaften Obersten vom 31. Mai 1784, in welchem er sich auf herzoglichen Befehl „über die Wiederanstellung des Arrestanten Schubart bestimmter herauslassen soll“, bringt Strauß wörtlich.

Am 5. Juni klagt der Gefangene seiner Helene: „Auf mein Memorial ist noch keine Antwort gekommen. Ob dies Zaudern gut oder schlimm sei, wird sich bald zeigen.“

Es war schlimm. Ueber ein Jahr sollte es währen, bis er die Seinen wiedersah – erst am 5. Juli 1785 hielten sich die Langgetrennten zum ersten Male wieder umschlungen.

Längst war ihm indessen die Erlaubniß geworden, seine Gedichte dem Druck zu übergeben, auch seine heimlich in der Zelle verfaßte Biographie durfte er denselben hinzufügen. Dann hatte man endlich in Stuttgart über sein Schicksal entschieden und die Stellung für ihn gefunden, welche seinen Talenten angemessen war und der Welt gegenüber keinen Anlaß zu Klagen gab. Er wurde bekanntlich als Hof- und Theaterdichter mit sechshundert Gulden Jahresgehalt und der Verpflichtung, auch die Musik und Mimik des Theaters zu leiten, angestellt.

Am 18. Mai 1787 verließ Schubart den Hohenasperg, nach zehnjähriger Gefangenschaft.

In einer Audienz, welche ihm der Herzog gewährt, hat den Letzteren die berühmte Liebenswürdigkeit desselben ebenso bezaubert, wie schon so Manchen vor ihm:

„Letztern Freitag war ich lang bei dem Herzog in der Audienz. Ich muß gestehen, er war außerordentlich gnädig und versprach, mir das Leben von nun an leicht und angenehm zu machen. Er bestellte einige lateinische und deutsche Inscriptionen, die ich als Hofpoet – versteht sich – sogleich verfertigte. Ich habe nun keine Instanz als diesen meinen gnädige Herrn, gegen

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