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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


und schloß: „Magst Du nun an den Zauber in diesem kleinen Bilde glauben, oder nicht, Mutter, so viel ist gewiß, daß das Mädchen selbst mir’s angethan hat für mein ganzes Leben. Ich weiß Alles, was Du mir vernünftiger Weise einwenden kannst; es giebt keinen Grund gegen die Verbindung, den ich nicht selbst tausend Mal durchdacht hätte. Wie oft habe ich mich einen Unsinnigen gescholten, wenn ich mir alle Hindernisse vergegenwärtigte! Und doch war kein Verstand stark genug, diese Sehnsucht meines Herzens zu bannen. Alle Deine Vorstellungen, Deine Bitten, Deine Klagen werden ebenso machtlos sein. In mir steht es fest, daß ich nicht glücklich sein kann, wenn Juliette nicht die Meine wird. Es ist beschlossen und unabänderlich: ich fahre nach Paris und halte um sie an. Liebt sie mich, wie ich sie liebe, so kann es keinen äußeren Widerstand geben, der unüberwindlich wäre.“

Arnold selbst hatte schwerlich erwartet, daß seine Mutter sich schnell seinen Wünschen fügen werde, aber auf eine so heftige Opposition, wie ihm nun entgegentrat, war er nicht gefaßt gewesen. Nicht nur sah sie ihren eigenen Lieblingsplan zerstört, es war ihr auch ganz unfaßlich, wie Arnold sich in eine Französin habe verlieben können, und wenn diese Neigung sich nun doch einmal auf so wunderliche Weise in sein Herz geschlichen habe, wie er nicht sofort einsehe, daß der Roman schlecht enden müsse. Sie bestürmte ihn, sich nicht in sein Unglück zu stürzen, und erkrankte ernstlich, als er zäh an seinem Vorhaben festhielt. Onkel Helmbach wurde in’s Geheimniß gezogen und um Rath gefragt. Der alte Herr gab ihr in Allem Recht, sprach mit Arnold „ein ernstes Wort“ und kam dann doch mit der trostlosen Nachricht zurück, es sei mit dem Trotzkopfe nun einmal nichts anzufangen. „Ich glaube übrigens,“ sagte er schließlich mit so verschmitztem Lächeln, wie sein gutmüthiges rundes Gesicht irgend aufbringen konnte, „die Sache ist gar nicht so gefährlich, wie sie scheint. Er hat sich in seinen Eigensinn verrannt, und kann nun nicht heraus. Nach seiner eigenen Darstellung ist es ja noch keineswegs gewiß, daß die junge Dame ihm eine gleich zärtliche Neigung entgegenbringt. Vielleicht würde er schnell zur Vernunft kommen, wenn er bei einer offenen Werbung seinen Irrthum einsehen müßte. Und wenn sie ihm wirklich gut sein sollte, werden ihre Eltern einwilligen? Tausend gegen eins zu wetten: nein! Dann muß er sich’s doch aus dem Kopfe schlagen, und uns kann er keine Vorwürfe machen. Es ist zu bedenken.“

Die Commerzienräthin sann nach, und diese Gründe leuchteten ihr ein. Aber die Gefahr, der er sich in Frankreich aussetzte? Die Zeitungen waren voll von Berichten, wie übel man den Deutschen dort überall begegne, wo sie sich unter der noch immer feindselig aufgeregten Bevölkerung sehen zu lassen wagten. Ihres Lebens wären sie nicht sicher, am wenigsten in Paris. Da Arnold, der schon in der Hauptsache gewonnenes Spiel hatte, diese Besorgnisse als ganz übertrieben verlachte, stellte nun die gute Frau ihr Ultimatum: allein lasse sie ihn auf keinen Fall reisen, wenn aber Helmbach ihn begleiten und vor unbedachten Schritten behüten wolle, möge er thun, was er nicht lassen könne. Onkel Helmbach, der durchaus kein Held war, zog zu dieser Entscheidung ein recht saures Gesicht, meinte dann aber doch, es empfehle sich wirklich, wenn ein älteres Mitglied der Familie an Ort und Stelle sich über die näheren Verhältnisse unterrichte und gleichsam die Sache ordnungsmäßig in die Hand nehme. Er wollte das Opfer bringen.

Arnold ließ sich recht gern den Onkel gefallen, der ihm ein lieber Reisegesellschafter und gewiß kein eifriger Widersacher war. Und so fuhren die Beiden denn eines Tages bei gräulichem Herbstwetter zur Bahn, gelangten glücklich über die Grenze und stiegen in Paris aus.

In der Stadt hielt man sich nicht lange auf. Der alte Herr war zwar neugierig genug, das moderne Babel kennen zu lernen, fühlte sich aber doch zu unbehaglich in dieser fremden Umgebung, um Wünsche zu äußern. Er glaubte jedem, der ihnen begegnete, abzumerken, daß er ihn mißtrauisch beobachtete, und namentlich verursachte ihm jeder Polizeibeamte, an dem sie vorüber mußten, heimliche Schauer.

„Herr, mein Gott,“ sagte er beklommen, „wenn ich hier von Deiner Seite abgedrängt werde, so bin ich rein verloren; ich kann ja nicht einmal französisch sprechen.“

Arnold mußte über den Mentor lachen, den ihm seine Mutter so wohlweislich beigegeben hatte. Um ihn zu beschäftigen, ermittelte er das Comptoir von Charles Blanchard und führte ihn dorthin. „Du sollst ja meiner Mutter auch Auskunft über die äußeren Verhältnisse der Familie geben,“ sagte er. „Nun, Herr Blanchard ist Kaufmann; sieh Dich in seinem Comptoir um, und Du wirst darüber besser unterrichtet sein, als durch einen Blick in den Salon.“ Onkel Helmbach nickte. Er hätte zu jedem anderen Vorschlage ebenso genickt.

Das Geschäftslocal lag in einem stattlichen Hause der Cité. Menschen in allerhand Röcken gingen aus und ein; es war ein lebhaftes Treiben in der Einfahrt nach dem Hofe zu und auf der Treppe, die nach dem eigentlichen Comptoir führte. Sie standen ein paar Minuten und beobachteten. Dann traten sie ein. Mehrere Zimmer hintereinander waren mit Schreibtischen besetzt. Arnold fragte einen jungen Menschen, der Wechsel in ein Buch eintrug, nach dem Chef. Herr Blanchard sei seit einiger Zeit kränklich, wurde ihm geantwortet, und komme nicht täglich nach der Stadt. Der Herr dort im hintersten Zimmer sei aber der Procurist und werde jede gewünschte Auskunft ertheilen. Es war Arnold lieb, seinen alten Wirth nicht hier begrüßen zu müssen. Er erkundigte sich bei dem Herrn, an den er gewiesen war, indem er sich ihm als einen Kaufmann vorstellte, ob es dem Hause vielleicht genehm sein würde, wenn er für dasselbe in Deutschland Bestellungen auf Rothweine vermittele; er dürfe einen guten Absatz versprechen. Der Franzose kniff die Augen zu, zog den Mund breit und sagte:

„Ich bedaure – Herr Blanchard macht principiell mit Deutschland keine Geschäfte. Wenn Sie aber Verbindungen in Oesterreich …“

Arnold zuckte die Achseln. Die Sache war damit abgethan. Er hatte sich schon verabschiedet, als ihm einfiel, nach Victor zu fragen. Der Geschäftsführer wurde aufmerksamer.

„Sie kennen den Herrn Lieutenant persönlich?“

„Ich habe die Ehre.“

„Er steht mit seinem Regimente in Paris und wohnt …“ Die Wohnung wurde genannt.

„Ich danke Ihnen.“ Arnold faßte seinen Onkel unter den Arm und entfernte sich.

Der Franzose begleitete ihn bis zur Thür. „Darf ich um Ihren Namen bitten, mein Herr?“

Arnold grüßte zum Abschiede. „Er thut nichts zur Sache. Ich werde den Herrn Lieutenant aufsuchen.“

Als sie die Straße entlang gingen, meinte Helmbach: „Hm, hm! Das Geschäft hat ein Ansehen. Aber verstand ich recht, daß sie mit Deutschland nicht handeln wollen?“

Arnold lachte. „Das sind Marotten, die ihnen selbst mit der Zeit sehr unbequem werden müssen.“ Innerlich nahm er diese Abweisung keineswegs so leicht. Wenn der alte Herr uns noch immer nicht seinen Rothwein gönnt, überlegte er, was wird er erst für Augen machen, wenn ich seine Tochter … Onkel Helmbach zog einen ähnlichen Schluß, schwieg aber diplomatisch.

Arnold bedachte, ob er sogleich den Lieutenant aufsuchen solle. Dieser konnte ihn bei seinen Eltern einführen, er konnte aber auch in Frankreich ein ganz Anderer geworden sein, als in Deutschland, seinen Beistand versagen und ihm bei seinem Vater einen schlimmen Empfang bereiten. Diese Befürchtung überwog. Er fand es praktischer, erst durch seine Visite in der Villa eine vollendete Thatsache zu machen. Er nahm einen Wagen, holte das Gepäck ab und verließ die Stadt in der Richtung der Ortschaft, in der sich das Feldlazareth befunden hatte. Er erinnerte sich eines Gasthofes nicht weit davon, der freilich im letzten Winter leer gestanden hatte oder von Officieren als Quartier benutzt war. Jetzt zeigte sich die Wirthschaft wieder im besten Gange. Rose ließ halten und bestellte zwei Zimmer.

Sie wurden genöthigt, ihre Namen und den Ort, woher? in ein Buch einzutragen. Gleich darauf erschien der Hôtelbesitzer selbst. „Aus Deutschland, meine Herren?“ fragte er etwas verdrießlich.

„Allerdings.“

„Darf man wissen, in was für Geschäften …?“

„In eigenen.“

„Sehr gut. Aber welcher Art, wenn ich fragen darf …?“

„Sie sind sehr neugierig, mein Herr.“

„Entschuldigen Sie! Es ist mir zur Pflicht gemacht –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_278.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)