Seite:Die Gartenlaube (1875) 264.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


gemacht werde, und sei aus dem Kriege, der so viel Leiden gebracht, auch gar nicht in der Stimmung heimgekommen, Feste zu feiern. Die Mama schüttelte den Kopf. Nun erst bemerkte sie, daß er nicht frisch aussehe.

„Sei ohne Sorge!“ sagte er hastig, „ich fühle mich ganz gesund und habe nur das Bedürfniß, mich in die alten Verhältnisse schnell einzuleben und sogleich wieder thätig zu sein.“

Das wollte der guten Frau gar nicht recht in den Sinn. Sie werde „den Doctor fragen“, meinte sie, „ob er nicht vor allen Dingen Erholung und gute Pflege brauche.“

Sein erster Gang war zu Onkel Helmbach. Der alte Herr mit dem runden glatten Gesicht, den buschigen grauen Augenbrauen und der hoch über die faltenlose Stirn hinaufgerückten kahlen Platte zwischen dem wohlfrisirten weißen Haar wurde ganz kreiselig vor Freude. Er umarmte und drückte ihn so herzhaft, daß sich die weiße Binde verschob und Clärchen hinterher sagen durfte, er sehe ganz liederlich aus.

„Nein diese Freude, daß Du wieder da bist, Junge!“ rief er ein Mal über das andere. „Du kannst gar nicht glauben, wie ich Deinetwegen gezittert habe. Wenn Dir da draußen etwas passirt wäre – das wäre ja auf mein Conto geschrieben, und zeitlebens hätt’ ich’s nicht wieder herunterbringen können. Ich hatte Deiner Mama doch gewissermaßen für den Sohn garantirt, und nun garantire einmal für so etwas, das sich selbst nicht ein Bischen schont und immer voran ist, und an gar keine Eventualitäten denkt.“ Er klopfte ihm auf die Backe, und seine Augen blitzten so hell, wie die beiden Diamantknöpfe in seinem Chemisette. „Na, und die Cigarren, haben sie Dir wirklich geschmeckt? Ich habe ein Kistchen für Dich bei Seite gestellt – eine wahre Kaiser-Cigarre, kann ich Dir sagen.“ Er nahm ihn wieder beim Kopf und küßte ihn rechts und links.

Cousine Clärchen wollte etwas von der Familie Blanchard wissen; sie war die Erste, die daran dachte. Arnold theilte ziemlich gleichgültig mit: wie die Villa aussehe und die Wohnung oben, was Herr Blanchard für ein eifriger Patriot sei und wie gut seine Frau mit Kruttke habe wirthschaften können.

„Es ist doch aber auch eine Tochter im Hause,“ bemerkte Clärchen ein wenig spitz.

„Freilich, freilich –“ bestätigte er mit erkünstelter Unbefangenheit, „Juliette – ein hübsches Mädchen, eine geschworene Feindin der Deutschen – wir haben so manchen Disput miteinander gehabt.“

„Wenn Du nur mit heilem Herzen zurückgekommen bist,“ meinte der Onkel schmunzelnd. „Ich kenne die Französinnen nur aus den Theaterstücken, aber da muß man sich immer vor ihnen in Acht nehmen. Geistreich und munter sind sie, aber Herz, was man so bei uns in Deutschland Herz nennt, haben sie nicht, und mit der Moral … ich will in Clärchens Gegenwart nichts davon sagen.“

„Die Franzosen haben ein eigenthümliches Vergnügen daran, sich auf der Bühne schlecht zu machen,“ antwortete Arnold; „man kennt sie nicht, wenn man sie nur von da her kennt.“

„Ich glaub’s gern,“ nickte Onkel Helmbach. „Wir haben’s ja auch an dem jungen Victor Blanchard erfahren. Für einen Franzosen ein ganz verständiger Mensch, kann ich Dich versichern – was, Clara?“

Das blonde Mädchen wurde roth. „Man unterhält sich recht gut mit ihm,“ meinte sie.

Der gefangene Officier wohnte noch bei der Commercienräthin. Arnold stattete ihm eine Visite ab und bestellte den Gruß aus dem elterlichen Hause. Er fand einen jungen Mann, der seinem Bilde nur noch wenig ähnlich sah. Die wenigen Monate mit ihren schweren Erfahrungen hatten ihn schnell gereift. Nichts mehr von dem komödienhaften Wesen, das auf eine Copie des großen Napoleon auszugehen schien, war an ihm zu bemerken. Er behandelte Arnold wie einen Freund seines Hauses und ließ sich sogleich sehr vorurtheilsfrei über die Seinigen aus. Er fürchte, seinem Vater gar nicht zu gefallen, äußerte er unter Anderem und werde Mühe haben, sich mit ihm über gewisse Dinge zu verständigen. Er wisse jetzt, daß man sich in Frankreich den Nachbar ganz unrichtig vorstelle, und sei nicht gesonnen, mit seiner bessern Einsicht hinter dem Berge zu halten. Uebrigens nahm auch er es für gewiß, daß es nach einigen Jahren zu einem zweiten Kriege kommen werde. „Wir werden dann nicht mehr für unser Uebergewicht kämpfen, aber für die Herstellung des verletzten Gleichgewichts. Unser Sieg wird dann für Sie keine Niederlage bedeuten; er wird, wie bei einem Duell, nur beiden Theilen die Möglichkeit geben, einander ehrlich die Hand zu reichen und auf Grund gegenseitiger Achtung einen der ganzen Welt erwünschten dauernden Freundschaftsbund zu schließen. Diese beiden Nationen, die sich in so Vielem ergänzen, müssen für das Wohl der Menschheit zusammen arbeiten; ihre Gegnerschaft bedeutet einen Rückschritt der Cultur.“

Das war das Zukunftsprogramm dieses jungen Franzosen, der sein Vaterland liebte und sich bemühte, auch dem siegreichen Feinde gerecht zu werden.

Man war weit genug auseinander, um Stunden lang eifrig disputiren zu können, und doch nicht zu weit, um sich deshalb erzürnen zu müssen. Arnold fühlte den Umgang mit Juliettens Bruder als eine Wohlthat; es war nun doch nicht jeder Verkehr mit der Familie abgebrochen, das Verhältniß setzte sich wenigstens in einem Gliede derselben fort, und neue Fäden wurden geknüpft, die sich vielleicht später fassen ließen. Victor wollte sofort das Quartier räumen, das, wie er wußte, früher von Arnold benutzt worden war, aber dieser litt es durchaus nicht. Seine Mutter mußte ihm ein Zimmer daneben einrichten lassen, sodaß sie nun nur eine Thür zwischen sich hatten, die unverschlossen blieb. An den ersten Tagen fanden sich auch nach bisheriger Gewohnheit Onkel Helmbach und Clärchen zu den Mittagsmahlzeiten ein. Victor war gegen die junge Dame die Aufmerksamkeit selbst. „Es ist gut,“ bemerkte die Commerzienräthin heimlich zu ihrem Sohne, „daß Du wieder da bist – diese Franzosen können sehr liebenswürdig sein.“ Er lächelte vor sich hin und drückte ihr die Hand.

Leider dauerte dieser nahe Verkehr wenig länger als eine Woche. Dann erhielt Victor einen Brief von seinem Vater nebst Geldeinlage, und was derselbe sonst noch enthielt, blieb nicht lange verborgen. Blanchard verlangte, daß sein Sohn das Rose’sche Haus verlassen und sich von jedem Umgange mit den Deutschen fern halten solle. Nachdem der Feind, wenn auch unter Bedingungen, die ihm wenig des Rühmens werth scheinen würden, gewagt habe, in Paris seinen Einzug zu halten, sei es für jeden Franzosen eine Ehrensache, seine Meinung über diese Barbarei nicht verkennen zu lassen. Uebrigens sei ja auch der junge Rose nicht mehr bei ihm in Quartier, und es schicke sich schon deshalb nicht, noch länger Gefälligkeiten anzunehmen, die auf Dank Anspruch erheben könnten. Victor zeigte Arnold diesen Brief, der ihm die Verlegenheit ersparte, seinen Rückzug zu motiviren. Er meinte, in der Hauptsache gehorchen und sofort eine Privatwohnung miethen zu müssen. Damit sei ja noch nicht gesagt, daß er durchaus seines Vaters Ansichten theile, wenn denselben schon eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen sei. Es könne ihm nur angenehm sein, auch ferner von Zeit zu Zeit bei so lieben und achtungswerthen Menschen anklopfen zu dürfen, und er werde nie vergessen, wie viel Freundliches er von ihnen … Es folgte ein Schwarm verbindlicher Redensarten, die vielleicht im Augenblicke ganz ernst gemeint waren, aber Arnold nur erkälteten. Sein Vornehmen, Victor in sein Herzensgeheimniß einzuweihen, blieb unausgeführt.

Der gefangene Officier hielt anfangs Wort. Bald aber wurden seine Besuche seltener und kürzer; seine Stimmung zeigte sich mehr und mehr verändert. Eines Tages meldete er, daß er die Erlaubniß erhalten habe, nach Frankreich zurückzukehren, und nahm sehr förmlichen Abschied. Arnold konnte es nicht über sich gewinnen, ihm auch nur einen Gruß an seine Schwester aufzutragen.

Ungefähr zu derselben Zeit langte ein Feldpostbrief an, dessen Aufschrift lautete: „An den jungen Herrn Rose, zu Hause in *** bei seiner Frau Mutter.“ Der brave Kruttke schrieb:

„Lieber Herr Rose! Wo ich mich unterstehe, an Ihnen zu schreiben, so geschieht es nicht aus Noth, daß Sie mir etwas geben sollen. Denn Gott sei Dank! wir haben jetzt vollauf und bekommen noch immer mehr, und meine alte Mutter soll bald wissen, daß sie einen Sohn hat, und daß nicht Alles darauf gegangen ist, denn es heißt, wir kommen nun nächstens zurück, und da wollte ich Ihnen nur benachrichtigen, daß ich noch lebe und daß ich ein anderes Quartier habe, wo es mir gar nicht so gut gefällt, denn ohne meinen Herrn Rose ist es doch nirgends

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_264.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)