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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


fehlte es nicht; zuerst ließ man natürlich die Damen leben, aber nicht allein die anwesenden, sondern auch die vielen anderen daheim an der Elbe und am Rheine etc., und beim Nachtische, wo eine große Torte neben der Bowle paradirte und wo (ich muß es durchaus sagen, denn es ist die Wahrheit) meine Früchte allseitigen Beifall fanden, hielt der Banquier eine sehr humoristische, aber etwas kunterbunte Rede – wir hatten schon alle der Bowle stark zugesprochen – in welche er Moses und Pharao, Kleopatra und Jenny Lind, Bismarck und den Suezcanal und Gott weiß wen und was sonst noch Alles hineinbrachte und die mit einem Hoch auf den Doctor und seinen unvergleichlichen Trank schloß. Der Engländer schoß unter dem lauten Hurrah, das dieser Rede folgte, seine Doppelflinte ab, zum nicht geringen Schrecken der Damen; aber das Echo, das an den ungeheueren Wänden der Pyramiden entlang und bis in die Wüste hineinrollte, gefiel ihnen so sehr, daß sie nachher selbst um Wiederholung der Schüsse baten.

Die Kanonade hatte übrigens noch mehr Beduinen herbeigelockt, die sich zu den anderen gesellten, welche in ziemlicher Entfernung in verschiedenen Gruppen am Boden hockten; gleich darauf erschien auch der Scheich von Gizeh, der von der Ankunft des Bey’s gehört hatte und gekommen war, um Sr. Excellenz und den übrigen erlauchten Herrschaften seinen unterthänigsten Respect zu bezeugen. Der Orientale spricht bei solchen Gelegenheiten immer in den höchsten Superlativen. Der Bey antwortete in unser aller Namen sehr freundlich und ließ dem Scheich, der in seinem bunten Turbane, mit dem weißen faltenreichen Gewande und den gelben Lederpantoffeln sehr malerisch aussah, Früchte und Cigarren reichen (Wein durfte er ja als Mohamedaner nicht trinken) und nahm auch seine Begleitung nach der Sphinx an, wo wir den Kaffee trinken wollten. Dies hatten wir nämlich schon vorher auf Vorschlag des Malers beschlossen, um unserer nächtlichen Partie noch einen weiteren originellen Reiz zu geben. Der Scheich ließ zwei Fackeln anzünden und durch zwei seiner Leute vorauftragen; wir gaben unseren Dienern noch die nöthigen Befehle wegen des Einpackens, wobei ihnen natürlich die Reste des Soupers überlassen wurden; der Doctor stellte zu seiner Bowle, die noch nicht ganz geleert war, einen besonderen Wächter, und dann machten wir uns auf den Weg. Hinter uns zogen die Beduinen als Gefolge, aber sie hüteten sich wohl, uns irgendwie zu belästigen, weil sie den Scheich in unserer Gesellschaft wußten.

In gerader Richtung liegt die Sphinx, von der zweiten Pyramide nur wenige hundert Schritt entfernt, da aber das Terrain sehr uneben ist und durch Felsentrümmer aller Art unterbrochen wird, so dauert der Weg eine kleine Viertelstunde. Er ist aber jedenfalls, wenigstens nach europäischen Begriffen, eine Abendpromenade der seltensten, ja wunderbarsten Art. Zur Rechten die bis in den Himmel hineinragenden Pyramiden, vom Mondlicht ganz mit Silber übergossen, und hinter ihnen die mattgelbe Wüste, bis in die Unendlichkeit hinein sich verlierend; zur Linken das überschwemmte Nilthal, aus dessen unabsehbarer Wasserfläche einzelne Palmengruppen und Fellahdörfer als Inseln hervortreten, im Wasser selbst das Spiegelbild des Mondes in zahllosen Silberwellen vervielfältigt und der Boden, auf dem wir wandeln, von Monumenten aller Art übersäet, die nicht nach Jahrhunderten, sondern nach Jahrtausenden zählen und die uns die Wiege der gesammten Menschheitsgeschichte vor die Seele rufen. Und nun – bei einer Wendung des Weges – das gewaltigste dieser Wunder: das furchtbare Wüstenphantom, die Sphinx, die nun schon vier, ja nach Anderen gar sechs Jahrtausende nach Osten schaut, „und kein Sterblicher weiß, was sie bedeutet und was sie sinnt.“

Die Fackelträger hatten sich mit ihren brennenden Kienspähnen zu beiden Seiten der Sphinx postirt, und die flackernden Flammen warfen gespensterhafte Lichter auf das Riesenantlitz, das trotz aller Verstümmelung noch immer einen gewaltigen Ausdruck hat; man breitete einige mitgenommene Decken zum Sitz für die Damen aus, und wir Anderen machten es wie die Beduinen, das heißt, wir hockten mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden, eine Positur, die gar so unbequem nicht ist, Notabene, wenn man sich etwas darauf versteht. Der Kaffee, den uns der Scheich auf arabische Manier in kleinen Schälchen und unter vielfachen Complimenten, serviren ließ, war köstlich, echter Mokka, das Lebenselixir der Wüstensöhne.

Auf einmal hörten wir zwei Schüsse schnell aufeinander und, seltsam genug, wie hoch aus der Luft kommend, und während wir erstaunt uns in Muthmaßungen ergingen, sahen wir einige Leuchtkugeln von der Spitze der Cheopspyramide aufsteigen. Nun hatten wir auch die Lösung des Räthsels: „Der Engländer!“ riefen wir einstimmig und bemerkten zugleich, aber erst jetzt, daß er nicht unter uns war. In dem allgemeinen Trubel des Tafelaufbruchs hatte Keiner an ihn gedacht. Der Anblick der steigenden Leuchtkugeln und einiger kleiner Raketen, die sich im Zerplatzen als goldener Sternregen auflösten, war über alle Beschreibung schön; die Pyramiden schienen durch diese Lichteffecte in’s Unendliche zu wachsen, und als das Feuerwerk, dem noch zwei Schüsse folgten, vorüber war, standen sie in der Silberfluth des Mondes nur noch verklärter da.

Das war also die versprochene Ueberraschung des Engländers, der auch, als er sich nach einer Viertelstunde wieder bei uns einfand, allgemeinen Dank erntete, und nicht Dank allein, sondern auch Bewunderung für seine kühne That. Denn diesen Namen verdiente die nächtliche Pyramidenbesteigung, noch dazu, da er, wie wir nachher erfuhren, von nur einem Beduinen begleitet war, der ihm nicht einmal behülflich gewesen, sondern ihm nur seine Flinte und das Päckchen Feuerwerk getragen hatte.

„Ich schlage vor, dem Gentleman den Rest der Bowle abzutreten,“ sagte der Banquier, „es ist die höchste Belohnung, die mir in diesem Augenblick einfällt.“

Aber der Doctor erklärte, er habe noch eine Flasche Champagner in petto, der wir noch vor unserer Abfahrt den Hals brechen würden und zwar zu Ehren dessen, der Gottlob den seinigen nicht gebrochen. Die beiden Damen hatten mittlerweile aus kleinen Wüstengräsern und einer zierlichen gelbblühenden Eispflanze eine Art Kranz geflochten und dem Engländer trotz seines Widerstrebens, aufgesetzt; so führte ihn der Maler bis dicht unter die Sphinx, und die ganze Gesellschaft, die Beduinen mit eingerechnet, die unmerklich den Halbkreis um uns herum immer enger gezogen hatten, applaudirte mit lebhaftem Händeklatschen.

Unbeweglich schaute das Riesenweib auf die bunte, lustige Scene; die Fackeln waren erloschen, der Vollmond dagegen stand fast im Zenith und machte die Nacht zum Tage, aber zu einem märchenhaften Tage, wie wenn die Helle durch Silberschleier gedämpft wäre … die echte Tieck’sche „mondbeglänzte Zaubernacht“, wie sie der nordische Poet vielleicht in seiner Phantasie geträumt, aber gewiß nie in Wirklichkeit geschaut.

Als wir auf das Plateau zurückkamen, standen die ruhig brennenden Kerzen noch auf dem Tische, aber der Tisch selbst war abgedeckt und leer, denn die Diener hatten bereits Alles wieder in die Körbe gepackt und in die Wagen geschafft. Nur von der steinernen Brüstung her leuchtete die silberne Bowle mit ihren Gläsern zu uns herüber, und vor ihr auf dem Boden kauerte der schwarze Ali und hielt getreulich Wache. Keine profane Hand hatte sie während unserer Abwesenheit berührt. „Was diese Wüste für Durst macht!“ rief der Banquier und vertheilte den Rest der Bowle so gewissenhaft wie möglich; aber der Doctor war mittlerweile zu seinem Wagen gegangen und kam mit der versprochenen Flasche Champagner zurück. Er ließ den Stöpsel knallen, füllte die Gläser und brachte die Gesundheit des „Pyramiden-Feuerwerkers“ aus, die allgemeinen Anklang fand.

Doch Alles, Alles geht hienieden zu Ende: volle Flaschen und Gläser, lustige Wüstenpiknicks und Ananasbowlen … mit anderen, mehr prosaischen Worten: Wir mußten an die Heimfahrt denken, obwohl es noch sehr früh war, wie der Bey ganz richtig bemerkte, denn es war erst ein Uhr nach Mitternacht. –

Am folgenden Abend saßen wir wieder auf dem bekannten Balcon im Hause des Beys, der uns zu einer kleinen Nachfeier eingeladen hatte. Das Gespräch drehte sich natürlich zumeist um die gestrige Partie, und der Maler zeigte bereits eine sehr gelungene Skizze unserer Kaffeegesellschaft am Fuße der Sphinx vor. „Wenn der Pinsel unser Piknick verewigt, da sollte doch auch die Feder nicht zurückbleiben,“ sagte der Banquier und wies dabei auf mich. Ich erklärte mich sofort bereit, eine Schilderung unserer Fahrt zu verfassen und nach Deutschland zu senden. Als dies der Doctor hörte, zog er mich ernsthaft des Seite.

„Ich habe nichts dagegen,“ sagte er, „aber ich bitte Sie nur, falls Sie der Bowle Erwähnung thun“ – „die soll obenan

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_219.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)